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Kulturpolitik im Alleingang

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Man kann etwas tun, wenn man's nur will. Wenn man's vermag. Auch im Alleingang. Auch heute noch, angesichts all der aufgeblähten Bürokratien und anonymen Apparate. Man kann zum Beispiel das literarische Bewußtsein aufhellen, verschiedene Welten der Schrift einander näherbringen, geistige Brücken bauen. Pon-tifex bedeutet „Brückenbauer“.

Der Pontifex, von dem hier die Rede sein soll, sitzt im Cafe Westend in Wien. Er heißt Zoltän Franyo und ist in der Monarchie Österreich-Ungarn geboren, in der Ortschaft Kismargita, die heute jugoslawisch ist. Er war einmal k. u. k. Leutnant der Kavallerie gewesen. Berufsoffizier. Und wurde dann Lyriker und Ubersetzer, Zeitungsherausgeber und Essayist. Mit neunzehn schrieb der junge Pontifex bereits Gedichte, debattierte mit den Gleichoder Andersgesinnten im Kaffeehaus und wollte die Welt durch Literatur erlösen. Sie ließ sich nicht. Es könnte ihr aber geholfen werden. Vielleicht.

Damals, 1906, lebte Franyo in Budapest und bald darauf in Wien. Zehn Jahre später, nach einer Verwundung an der Front, saß er in der Stiftskaserne, im Kriegsarchiv, neben Csokor, Polgar, Rilke und Stefan Zweig. Er war dann noch oft in Wien, zum Beispiel 1918 als Kulturattache der gerade erst ausgerufenen ungarischen Republik. Noch später studierte er alte Sprachen. Tote Sprachen. Er erweckte sie durch Ubersetzungen zum Leben.

Franyo wird im nächsten Jahr neunzig. Er lebt seit vielen Jahrzehnten in Timisoara oder Temesvär, ist also ein rumänischer Schriftsteller ungarischer und deutscher Zunge, ist seit mindestens fünfzehn Jahren regelmäßig in Österreich, verhandelt mit Ministern und Verlegern, ist Vertreter seines umfangreichen Werkes. Er betreibt Kulturpolitik im Alleingang.

47 Bücher hat Franyo bisher veröffentlicht. In 78 Anthologien sind seine Arbeiten vertreten. Er spricht oder versteht zwölf Sprachen: Sanskrit, Persisch, Altägyptisch, Altgriechisch, Lateinisch, Französisch, Serbisch, Italienisch, Deutsch, Ungarisch, Rumänisch und Chinesisch. Er übersetzt vor allem Lyrik ins Deutsche oder ins Ungarische. Natürlich macht er ungarische Dichter in deutscher Ubersetzung bekannt. Und selbstverständlich überträgt er deutschsprachige Poesie ins Ungarische.

Das letzte Werk gerade dieses Strebens ist eindrucksvoll: „Becsi läto-mäs“, also „Vision in Wien“, vor ein paar Monaten im Verlag Kriterion in Bukarest erschienen: 295 Gedichte von 86 österreichischen Autoren, von Franz Grillparzer bis Peter Handke. Beispielhaft ausgewogen ist die Auswahl. Michael Guttenbrunner und H. C. Artmann, Hans Heinz Hahnl und Friederike Mayröcker, Klaus Demus und Ernst Jandl, Christine Busta und Heidi Pataki sind gut vertreten (um nur einige zu nennen); Namen wie Gütersloh, Theodor Kramer, Lernet-Ho-lenia fehlen nicht; Gedichte von Max Meli, Paula von Preradovic, Franz Werfel, Richard Billinger werden nicht vergessen; Lenau, Hofmannsthal, Rilke, Csokor, Celan, Ingeborg Bachmann büden zahlenmäßig Schwerpunkte.

Nun ist gerade erst eine andere Anthologie österreichischer Lyriker in ungarischer Sprache erschienen: „Zeichen“ („Jelzesek“), im Europa-Verlag, in Budapest, herausgegeben von Gabor Hajnal, von zwölf verschiedenen Autoren übersetzt. Mit diesem Bändchen sollen die beiden bereits vorliegenden Anthologien ergänzt werden. Celan, Fritsch, Christine Busta, Artmann werden mit vielen Gedichten vorgestellt; die „Wiener Gruppe“ und der Auto renkreis um das Forum Stadtpark in Graz werden gewürdigt; Alfred Gesswein und Alois Vogel, Ilse Tielsch-Felzmann und Jutta Schütting werden in trefflichen Ubersetzungen vorgestellt. Doch das nur nebenbei, zum Thema: österreichische Lyrik in ungarischen Büchern. Zurück zu Franyo.

Vor ein paar Jahren konnte er in Wien eine Anthologie rumänischer Poesie der Vergangenheit veröffentlichen lassen, und nun ist auch die Fortsetzung bereits fertiggestellt: eine Zusammenfassung der rumänischen Lyriker der Gegenwart. Nur der Verleger fehlt. Vorläufig. Auch den ungarischen Poeten Ady will Franyo in einem repräsentativen Band vorstellen; die deutschen Ubersetzungen füllen ein längst vergriffenes Bändchen; neue sind seither entstanden; im kommenden Jahr wird Adys 100. Geburtstag gefeiert; für Franyo liegt in der Herausgabe dieses Buches auch die Erfüllung einer persönlichen Pflicht: er war mit Ady befreundet. Aber auch dieses Buch hat noch keinen Verleger.

Und also grübelt der neunzigjährige Pontifex im Cafe Westend über den Text eines Ansuchens an den zuständigen Minister, möchte - nicht aus Ei-

telkeit, nein, sondern nur, um der Angelegenheit mehr Gewicht zu geben -an seinen Herder-Preis erinnern, an den hohen Orden, der ihm von der Republik Österreich vor einigen Jahren verliehen worden ist, er sucht den Weg zu Redaktionen und Lektoraten. Stille umgibt ihn. Dies ist die Stille, in der das Wichtige entsteht; eine Stille auch, die in einer völlig kommerzialisierten Gesellschaft die einsame, kompromißlose, geistig gewichtige, allerdings schwer verwertbare Leistung umgibt. Franyo ist dennoch fröhlich. Trotz allem. Lachend überwindet er die Banausen: er überlebt sie./

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