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österreichische Lyrik 1959

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DIE STERNENMÜHLE. Gedichte für Kinder und ihre Freunde. Von Christine B u s t a. Mit Bildern von lohannes G r ü g e r. Otto-Müller-Verlag, Salzburg. 32 Seiten in vierfarbigem Offsetdruck. Preis 53 S.

Das schönste österreichische Gedichtbuch des Jahres 1959 ist eines, das für Kinder geschrieben wurde

— für Kinder und ihre Freunde. Wie Christine Busta erzählt, hat sie diese Verse geschrieben aus Aerger über die vielen läppischen Reimereien, die heutzutage Kindern zugemutet werden und die sie als Bibliothekarin der Städtischen Büchereien in Wien in die Hand bekam. Von diesem Aerger freilich ist in den Gedichten nichts mehr zu spüren — sehr viel aber von der Freude und Beglückung, die jeder erwachsene Mensch aus dem Umgang mit Kindern zu gewinnen vermag und die nun Christine Busta, die dichterisch begnadete, stellvertretend für viele den Kindern zurückgibt.

Und nicht nur den Kindern! So sehr sich Kinder am Wohllaut, an den originellen Einfällen und Figuren (wie Haferschluck, dem frommen Löwen), an ' den einprägsamen Reimen auch freuen mögen (wie Freunde erzählen, ist die Freude echt und groß) — volle und reichere Beglückung werden die Erwachsenen in diesen Gedichten finden, alle, die sich gerne an das eigene Kindsein erinnern. Für sie kommt zum unbedachten noch das erkennende Genießen: das Erkennen der sprachlichen Raffinesse, der behutsam verborgenen Weisheit, der Einfachheit, die aus letzter Verdichtung wächst.

Ueber das Schreiben von Kindergedichten findet die moderne Lyrik hier und dort wieder zu einer alten Aufgabe der Dichtung: zum Freudespenden. Indes Christine Bustas „Sternenmühle“ erscheint, kommt in der Schweiz, im Otto-Walter-Verlag, das Buch „Zupp, der Li-la-Löwe“ von Hans Magnus Enzensberger heraus, der zu dem Halbdutzend deutscher Lyriker gehört, die wirklich etwas zu sagen haben.

Es wäre umständlich und akademisch, die Vorzüge und Feinheiten der „Sternenmühle“ hier lang und breit erörtern zu wollen; wir wollen lieber ein paar Zeilen zitieren: „Sternschneiden, wenn's schneit

— Zieh dein Mützlein auf die Ohren, / nachts hat's Engelhauch gefroren, / und der Wind mit seiner Scher' / schneidet Sterne, immer mehr. / Sterne dort und Sterne hier, / komm, wir kaufen Buntpapier, / und wir schneiden Sterne auch, / aber nicht aus Engelhauch, / weil wir ja nur Menschen sind. / HimmeJ-schnee schneit nur der Wind.“

Ueber dem Lob der Gedichte dürfen wir nicht dte Bilder von Johannes “Griieer vergessen. Mit K!ec?cher Zärtlichkeit und Farbenfreude gemalt, gehören sie zum Besten, was im deutschen Sprachbereich seit dem „Struwwelpeter“ an Kinderbuchillustrationen erschienen ist. — Ein Buch, das man stundenlang betrachten und aus dem man immer wieder vorlesen möchte.

DAS ANDERE SCHAF Gedichte und Geschichten von Christine Busta. Eingeleitet und ausgewählt von Dr. Viktor Suchy. Reihe: „Das Oesterreichische Wort“ -Stiasny Bücherei im Verlag Stiaswv, Graz. 128 Seiten. Preis 15 S.

Die Auswahl beruht zum größten Teil auf dem 1951 bei Herder in Wien erschienenen und inzwischen vergriffenen Band „Der Regenbaum“, bringt aber auch Gedichte aus „Lampe und Delphin“ (155 bei Otto Müller) und neuere, die inzwischen Im Bande „Die Scheune der Vögel“ publiziert wurden. Daneben stehen Geschichten: „Die Farben der Kindheit“, erstmals in den „Stimmen der Gegenwart“ veröffentlicht, kleinere Skizzen, die ..Bethlehemitische Legende“, seinerzeit vom Verlag Herder als Weih-nachts- und Neujahrsausgabe herausgegeben, und die Legende „Das Fischwunder“, die 1947 im Erzählerwettbewerb der „Furche“ mit dem ersten Preis ausgezeichnet wurde.

Es ist interessant, zu erfahren, daß die erste Gedichtveröffentlichung von Christine Busta im November 1946 in der „Furche“ erfolgte — noch unter dem Namen Dimt, dem Namen ihres 1944 gefallenen Mannes. Die ausführliche Einleitung fordert mehrfach zu Widerspruch heraus; besonders, wenn Dr. Suchy die Notwendigkeit der Sekundärliteratur betont und sagt, die moderne Dichtung verlange als notwendige Ergänzung die Interpretation. Gerade Christine Busta ist ein Beispiel dafür, daß auch heute geschriebene Gedichte sehr wohl aus sich selbst leben und einer Auslegung entbehren können. „Dunkle Stellen“ erhöhen, nach einiger Gewöhnung, nur die Lichtempfindlichkeit unseres Auges.

DIE SCHEUNE DER VÖGEL. Gedichte von Christine Busta. Otto-Müller-Verlag, Salzburg. 128 Seiten. Preis 45 S.

Christine Bustas Verse sind mehr im Himmel zu Hause als auf der Erde. Auch die „Scheune der Vögel“ ist nur ein Synonym für Himmel, eines der vielen, die sie braucht. So berühren uns diese Gedichte fern, fremd, verzaubert und dabei mild, als kämen sie aus einem Märchenland. Auch sie sind - wie die der „Sternenmühle“ — im Ton der Kinderverse geschrieben, aber verschlüsselt wie das Delphische Orakel. So vieldeutig und symbolisch die Aussage ist, so bleibt sie doch sprachlich einfach. Mir persönlich ist manches zu symbolisch, zu sehr umschrieben, und ich würde einen direkteren Ausdruck vorziehen.

Wenn aber Gegenstand und Symbol, Sprache und Bedeutung zur Deckung kommen, wie in „Funde“, „Chronik“ oder „Abschied“, entstehen Gebilde von großer Klarheit und Durchsichtigkeit, die zu den schönsten deutschen Gedichten der Jahrhundertmitte gehören. Als Beispiel sei „Schnee im Advent“ zitiert:

Lei6er wird nichts verkündigt: / so reden Liebende nachts,

die fern voneinander schlafen, / und finden am Morgen die fremde

Erde wieder als Nest / voll von himmlischem Flaum.

SPINDEL IM MOND. Gedichte von Christine L a v a n t. Otto-Müller-Verlag, Salzburg. 164 Seiten. Preis 59 S.

Neben und mit Christine Busta muß immer die Kärntnerin Christine Lavant genannt werden, die im gleichen Jahr (1915) geboren wurde und deren Werk ebenfalls vom Otto-Müller-Verlag betreut wird. Ihr neues Gedichtbuch „Spindel im Mond“ schließt unmittelbar an „Die Bettlerschale“ an, ist Fortführung, Erweiterung, Vertiefung der wenigen, schon im ersten Band immer wiederholten Themen, die um ihre Existenz als halbblinde, fast ertaubte Strickerin im Lavanttal kreisen und die vielen inneren Heimsuchungen, denen sie ausgesetzt ist, durch die Wortformel zu bannen versuchen. Wie groß ist die Sprachkraft der Lavant, daß wir ihr gebannt zuhören, ohne je zu ermüden, wie reich beschenkt sie uns mit immer neuen Funden! Die Dichtung der Lavant ist ein einziges, unaufhörliches Gedicht, ein inneres Tagebuch, der ins Unendliche fortgesponnene Lebensfaden. Welche Stelle wir lesen, wir haben ein Bruchstück vor uns; aber in ihm ist die ganze Welt-fituation dieser Frau anwesend.

Sehr gut, mit wenigen Strichen, deutet der für den Umschlag gewählte Holzschnitt von Werner Berg diese Situation an.

DER SPIELZEUGHÄNDLER AUS DEM OSTEN.

Neue Gedichte von Rudolf Feimayer. Reihe: Neue Dichtung aus Oesterreich. Bergland-Verlag, Wien. 76 Seiten. Preis 22 S.

Wie viel an originellen, zuweilen verblüffenden Möglichkeiten noch in der Form des traditionellen Gedichtes liegen, beweist dieser Band von Rudolf Felmayer. Was da so unauffällig und scheinbar sanft daherkommt, hat viele verborgene Pieken und Haken, Sprachpieken und Sprachhaken sozusagen, mit denen Felmayer das trifft und erangelt, was er will und, wie ich glaube, zuweilen noch etwas mehr.

Was für Christine Busta die Welt der Etrusker, ist für Felmayer der Osten, das alte China, wie es in Tuschzeichnungen, Steindrucken und den Versen t.n. -•&#9632;&#9632;> &#9632;•>&#9632;:>•-<>.<• •>'&#9632;>, <• &#9632; “•

iroVoM sw 3iw , tt vis,! mttaMviil Li-tai-po's lebt: ein Qi'ellgrund, aus dem er immer neue Befruchtung seiner Tagträumereien zu gewinnen vermag. Chinesisch lernen: das ist für ihn eine Liebeserklärung an die Welt. Er kommt zu uns als „Spielzeughändler au dem Osten“, der uns reich beschenkt mit einen himmelsteigenden Sprachdrachen und mit seinem erfrischenden Humor, auf daß wir selbst die Welt heiterer, östlicher sehen.

DIE GLÄSERNE KATHEDRALE. Gedichte von Heinz Politzer. Reihe: Neue Dichtung aus Oesterreich. Herausgeber: Rudolf Felmayer. Bergland-Verlag, Wien. 92 Seiten. Preis 22 S.

Heinz Politzer, geboren 1910 in Wien, gehört zu jener^ für uns verlorenen Generation, von deren Arbeiten wir bisher viel zu wenig Notiz genommen haben. Er unterrichtet derzeit am Oberlin College, Ohio, USA, nachdem er von 1938 bis 1947 in Jerusalem gelebt hatte. Als Essayist war er uns durch gelegentliche Publikationen — vor allem über Kafka — bekannt, als sehr sensiblen Dichter, der sprachlich reine Gedankenlyrik schreibt, lernen wir ihn jetzt erst richtig kennen. Das Buch schließt mit einer Huldigung an die deutsche Sprache, geschrieben auf englisch im Jahre 1943 — ein Paradoxon des Exils. Und ein Zeichen der in allen Verwandlungen unwandelbaren Liebe zur Heimat.

DAS SCHWERE LAND. Gedichte von Klaus D e m u s. S.-Fischer-Verlag, Frankfurt am Main. 52 Seiten.

Die Gedichte von Klaus Demus — geboren 1927 in Wien, lebt hier als Kustos an der Oesterreichischen Galerie im Belvedere — gehören zu den tiefsten und vieldeutigsten, die in diesem an Lyrikern gewiß nicht armen Lande geschrieben wurden. Es ist schwer, ja unmöglich, über sie in der Form eines knappen Zeitungsrefefats, das nur der ersten Orientierung des Lesers über die Produktion eines ganzen Jahres dienen soll, etwas zu sagen und dabei nicht am Kern vorbeizureden. Am ehesten lassen sie sich noch in die Nähe Paul Celans einordnen — aber das sei nur ein erster Hinweis und die Bitte an den Leser, sich mit diesen Gedichten näher zu befassen.

DIE ROSEN DER EINÖDE. Fünf Sätze für Ballett, Stimmen und Orchester von Thomas Bernhard. ,S.-Fischer-Verlag, Frankfurt am Main. 60 Seiten.

Dies sind fünf Stücke, fünf Sprachspiele, geschrieben zur Musik von Gerhard Lampesberg. Vor allem der zweite Satz, „Desperato“, hat großen formalen und gehaltlichen Reiz. Für 1960 kündigt der S.-Fischer-Verlag die Herausgabe von „Achtundzwanzig Gedichten“ von Thomas Bernhard an, auf die wir nach diesen Beispielen sprachlicher Zucht und bewußter Selbstbeschränkung gespannt sein dürfen- Wieland Schmied

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