Bernhard - © Foto: Monozigote

Gott vernichten

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Zum 15. Todestag von Thomas Bernhard: Die bislang unbekannte Zensur seines ersten Lyrikbandes wirft ein neues Licht auf Bernhards Verhältnis zur Religion.

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Zum 15. Todestag von Thomas Bernhard: Die bislang unbekannte Zensur seines ersten Lyrikbandes wirft ein neues Licht auf Bernhards Verhältnis zur Religion.

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Mit dem Roman "Frost" hat Thomas Bernhard 1963 seinen "Ton" gefunden; an den atem- und absatzlosen Monologen seiner Prosa-Figuren war er fortan erkennbar und wurde oft so sehr damit identifiziert, dass manche Interpreten glaubten, er schriebe lebenslang in vielen Varianten an einem einzige Buch. 15 Jahre nach Bernhards Tod wissen wir mehr darüber, was er vor "Frost" geschrieben hat. Bernhard hat in den fünfziger Jahren publizistische Texte verfasst, unter anderem 1955/56 sechs Kunstkritiken für die Furche - interessante Belege für die Entwicklung seines Kunstverständnisses. Noch 1969 erinnerte sich Bernhard, dass er "als guthonorierter Theaterkritiker in der damals besten kulturpolitischen Wochenschrift Die Furche" mit einem geharnischten Verriss des Salzburger Landestheaters seinen ersten Prozess auslöste. Bereits 1954 druckte die Furche vier Gedichte Bernhards, in anderen Zeitungen veröffentlichte er Prosatexte, von denen manche in der neuen Bernhard-Werkausgabe erstmals wieder zugänglich werden.

Die neue Werkausgabe

Die mit Jahresende 2003 begonnene und auf 22 Bände angelegte Bernhard-Werkausgabe, die bis 2008 abgeschlossen sein soll, ist zweifellos ein Großereignis. Schon die beiden ersten Bände mit den Romanen "Frost" und "Verstörung" sind durch das Nachwort der Herausgeber, das Entstehung, Textgestalt und Rezeption der Werke referiert, unentbehrlich. Unbekannte Texte, die neue Einblicke in das Werk Bernhards bieten, versammelt der ebenfalls bereits vorliegende Band 14, der neben den bekannten Erzählungen und Kurzprosa-Sammlungen verstreut erschienene Erzählungen enthält, die bislang nicht einmal in wissenschaftlichen Werkverzeichnissen aufschienen. Und den letzten Teil des Bandes machen eben jene Erzählungen aus, die seit ihrer Erstveröffentlichung in Zeitungen oder Zeitschriften nie mehr gedruckt wurden. "Diese literarische Identifikation mit der ländlichen Welt, einem auch in den restaurativen Verhältnissen der fünfziger Jahre anachronistisch dastehenden antiurbanen Mythos, lässt die Gewalt verstehen, mit der im späteren Werk Bernhards die Heimatidylle zerstört wird", schreiben die Herausgeber im Nachwort.

Katholische Zensur

Von besonderem Interesse ist die 1956 publizierte Erzählung "Der Schweinehüter". Sie gilt den Herausgebern als Umschlagpunkt zwischen jenen frühen Prosatexten, in denen die ländliche Welt noch intakt ist, und der radikalen Entzauberung der Idylle im späteren Werk. Außerdem hat dieser Text, der von einer religiösen Fragestellung geprägt ist, eine signifikante Entstehungsgeschichte. Damit der Text in einer Anthologie des katholischen Herold-Verlages erscheinen konnte, wurde Bernhard gezwungen, den Schluss umzuarbeiten: An die Stelle der Beschreibung eines Suizids - die ursprüngliche Fassung ist im Nachwort nachzulesen - setzte Bernhard dann eine bewusst überzogene positive Wendung.

Eingriffe in die Gedichte

Die Herausgeber werten gerade diesen vom Verlag unterdrückten Schluss als entscheidenden Schritt in der Entwicklung von Bernhards Werk und schreiben über sein Verhältnis zur Religion: "Zwar artikuliert er vor allem in der unmittelbar darauf publizierten Lyrik (Auf der Erde und in der Hölle', 1957, In hora mortis', 1958) noch weiterhin, oft mit einem verzweifel-aggressiven Unterton, geradezu den Anspruch auf eine Präsenz des in unerreichbare Ferne gerückten göttlichen Vaters. In dem Roman Frost' steht aber dann in aller Klarheit der Satz: Die Religionen täuschen darüber weg, daß alles Unsinn ist.'"

Dieser konträre Gegensatz im Verhältnis zur Religion zwischen den beiden Gedichtbänden und dem Roman "Frost" gibt tatsächlich Rätsel auf. Sie wären nicht so groß, wenn sich die üppig sprießende Thomas Bernhard-Forschung die Mühe gemacht hätte, die publizierten Gedichtbände mit den im Verlag eingereichten Typoskripten zu vergleichen. Vor allem der Gedichtband "Auf der Erde und in der Hölle" hat nicht unwesentliche Änderungen erfahren.

Frivoler Ton unterdrückt

Es wurden 37 Gedichte ausgeschieden, und von den gedruckten weisen einige erhebliche Veränderungen auf. So enthielt der Band noch in den Druckfahnen ein erstes Kapitel "Verwunschenes Land", von dessen 15 Gedichten dann zwei in die zweite Abteilung integriert wurden. In den 13 ausgeschiedenen Gedichten ist die ländlich-bäuerliche Umgebung schwärzer und apokalyptischer gezeichnet als im Abschnitt "Hinter den Bäumen ist eine andere Welt", vor allem aber ist durch ihre Weglassung ein bänkelsängerisch-frivoler Ton unterdrückt, der im gedruckten Band nur mehr rudimentär vorhanden ist. Besonders deutlich ist er in dem ausgeschiedenen "Burschenlied", dessen Eingangsbemerkung "Zur Klampfe zu singen, vor Wut, wenn man kein Geld und kein Weib hat" im Manuskript vorsorglich dick durchgestrichen wurde - ein Indiz für die inhaltliche Tendenz der Korrektur. Das "Burschenlied" endet mit der Strophe: Heute abend, morgen früh / wolln wir uns in schwarzen Röcken / hinter Jesus Christ verstecken, / heute abend, morgen früh.

Ähnlich frivol klingt die Frage Warum schenkt mir die Welt kein Schwein, / nur eine Orgelfuge? in den "Gedanken in einem Hochzeitszug". Und im ebenfalls ausgeschiedenen Gedicht "Ein Bauerngut im Flachgau" lautet die dritte Strophe: Ein Bauerngut im Flachgau möcht ich haben / und Branntwein und Speck für den Schlund, / die pfingstlichen Gottesgaben, / dann hielt ich schon meinen Mund.

Ausgeschieden wurde auch "Allerheiligentag", dessen erste Strophe endet: Zum Fasten ist heut, mein Vetter, mein Bruder, nicht Zeit; / unter der Erd schneit's ins Hirn dir die weisse Dreifaltigkeit.

Radikale "Psalm"-Zeile fehlt

Gravierend ist die Veränderung im vierten der "Neun Psalmen". Im Typoskript hieß es: Allein werde ich Gott vernichten / um Gott wieder aufzubauen...; die erste Zeile wurde gestrichen.

Absage an Religion getilgt

Bezüglich des Themas Religion ist auch das ausgeschiedene Gedicht "Was hab ich gelernt?" von Interesse. Es schließt:

Was hab ich gelernt ?

Keine Religion.

Mich nimmt keiner

in seinen Koben.

Ich kann nur den Tag

und ich kann nur die Nacht

und mein Fleisch dazwischen loben.

Die Veränderungen gehen vermutlich auf das Lektorat des Otto Müller Verlages zurück und weisen eine deutliche Tendenz auf: Der spielerisch-frivole Ton wird stark reduziert, gerade dort, wo er mit Religiösem in Verbindung war; die religiösen Bezüge wirken dadurch insgesamt konventioneller. Der positive Bezug auf Gott und Religion blieb erhalten, die ebenfalls dichten (und sprachlich kreativeren!) Absagen wurden weitgehend getilgt. Der entscheidend sinnverändernde Eingriff im vierten der neun Psalmen entlarvt die Tendenz der Korrekturen des Typoskripts am deutlichen: Programmatische "Gottesvernichtung" war offensichtlich nicht tragbar. So wurde die Antithese zwischen negativem und positivem Gottesbezug zerbrochen und die Eindeutigkeit einer traditionellen religiösen Bildwelt hergestellt, die der Gesamtanlage des von Bernhard eingereichten Bandes nicht entspricht.

Zorngebete

Thomas Bernhard hat sich allem Anschein nach gegen die Veränderungen des eingereichten Typoskripts nicht gewehrt. In der Korrespondenz mit dem Otto Müller Verlag finden sich diesbezüglich keine Hinweise, auch in keinem der publizierten Gespräche hat er sich dazu geäußert - wie übrigens auch nicht zur aufgezwungenen Veränderung des Schlusses der Erzählung "Der Schweinehüter".

Der religiöse Bezug dieser Gedichte ist Teil jenes Herkunfts-Komplexes, der das Ich zur sozialen Gemeinschaft, zu Land und Landschaft und eben auch zur traditionellen Religiosität in Beziehung setzt. In der Lyrik werden dazu verschiedene Positionen literarisch "durchgespielt". Hinter den oft verwendeten Gebetsformeln und Bildern, die christlicher Religiosität entstammen oder zumindest mit ihr kompatibel sind, darf man jene Bilder übersehen, die das ganz und gar nicht sind. Der Übergang von der Lyrik zur Prosa bedeutet somit nicht einfach den Abbruch religiöser Bezüge, weil diese schon in der Lyrik äußerst heterogen und vielschichtig waren. Der Einblick in das von Thomas Bernhard eingereichte Typoskript des Bandes "Auf der Erde und in der Hölle" macht das noch wesentlich deutlicher.

Von der neuen Werkausgabe darf man erwarten, dass sie auch die ursprüngliche Gestalt der publizierten Gedichte wiedergibt. Die ausgeschiedenen Texte als ganze zu veröffentlichen, ist ihr freilich durch Bernhards Testament untersagt.

THOMAS BERNHARD: WERKE

Hrsg. von Martin Huber und Wendelin Schmidt-Dengler im Suhrkamp Verlag.

2003 sind erschienen:

BAND 1: FROST

Hrsg. von Martin Huber und Wendelin Schmidt-Dengler. 359 Seiten, e 35,90

BAND 2: VERSTÖRUNG

Hrsg. von Martin Huber und Wendelin Schmidt-Dengler. 232 Seiten, e 30,80

BAND 14: ERZÄHLUNGEN; KURZPROSA.

Hrsg. von Hans Höller, Martin Huber und Manfred Mittermayer.

603 Seiten, e 41,10

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