Terror Trauer  - © Foto: Pixabay

"Der Tod ist das Ziel"

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Die bislang unveröffentlichte Totenrede auf Carl Zuckmayer von Thomas Bernhard.

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Die bislang unveröffentlichte Totenrede auf Carl Zuckmayer von Thomas Bernhard.

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Verehrte Anwesende, 29. 1. 77

ich spreche über einen Freund u. glücklichen Menschen, der mein eigenes Leben von der frühesten Kindheit an begleitet und auf die natürlichste Weise erkannt und behutsam akzeptiert und respektiert hat. Die Gegensätze, die Unheimlichkeit meinerseits wie auch seinerseits, waren die jahrzehntelangen Zeugen unserer Zuneigung.

Er ist am Ziel, weil der Tod unser Ziel ist. Der Tod ist das Ziel - in diesem Gedanken intensivieren und motivieren wir unser Leben. Der Tod ist uns die Existenzbestätigung durch die lebenslängliche Unnachgebigkeit, Unermüdlichkeit, Unbestechlichkeit. Worin wir selbst, auf unser einziges Ziel, auf den Tod bezogen, in Wahrheit und in Wirklichkeit existieren ist (zuerst) nichts als die Todesangst, dann die Todesbereitschaft, schließlich das Todesbewußtsein. Wir kennen den Weg, wir gehen ihn naturgemäß, gegen alles. Am Ende allen Denkens ist der Tod unser Bewußtsein, Klarheit die Fragestellung.

- Diesen Freund, Charakter, Künstler,

Dichter, habe ich, denke ich, immer verstehen dürfen, lieben müßen!

Er ist am Ziel! Wir existieren unnachgebig, unerbittlich auf unser Ziel zu naturgemäß. Er wird, auf seine wohlgemerkt zu allen Zeiten seltene folgerichtige naturgemäße Weise in meinem Leben und also Denken sein.

Er hatte, was meine Arbeit betrifft, die Empfindsamkeit wie kein zweiter. Das sage ich hier ganz ausdrücklich und voll Dankbarkeit. Er war in sich selbst - ohne Vorurteil!! In den "langen Wegen", in dem schmalen Buch, in welchem ich sehr oft und sehr gern gelesen habe, schreibt er: "In der Begegnung selbst steht keine Bleibe. Sie trägt den Zug des Vorübergehens in ihrem Wesen. Aber ihr Kern ist das Ereignis des Einander-Gewahrwerdens. Ihr Ziel ist der Schritt vom Gewahren zum Erkennen. ["]

Th. B.

ZUM TEXT

Aus Anlass des 75. Geburtstags von Thomas Bernhard am 9. Februar veröffentlicht die Furche erstmals den Text der am 30. Jänner 1977 während einer "Gedenkstunde für Carl Zuckmayer" gehaltenen Rede Bernhards.

In der Transkription des nebenstehenden Faksimiles sind Bernhards handschriftliche Unterstreichungen durch Kursivsetzung wiedergegeben. Bernhard schrieb auf folgendem Briefbogen:

"Hotel Europe

Telefon (01) 47 10 30

Telex: Zürich 54186

Telegramme: Europehotel

ch-8008 Zürich, Dufourstrasse 4"

Raimund Fellinger, Thomas Bernhards Lektor im Suhrkamp Verlag, beschreibt in untenstehendem Beitrag Umstände und Entstehungsgeschichte der Rede und das Verhältnis Thomas Bernhards zu Carl Zuckmayer.

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