Spanien - © Foto: Pixabay

Von Österreich nach Spanien

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Thomas Bernhard in Spanien? Ernst Jandl in Kuba? Zum Einfluss von Übersetzungen Österreichischer Literatur auf andere Kulturen.

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Thomas Bernhard in Spanien? Ernst Jandl in Kuba? Zum Einfluss von Übersetzungen Österreichischer Literatur auf andere Kulturen.

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"Übersetzung ist die Kunst des Möglichen", hat einmal der russische Dichter Joseph Brodsky gesagt. Übersetzung ist auch - könnte man ergänzen - die sicherste (wenn nicht die einzige) Überlebensmöglichkeit der literarischen Kunst. José Saramago meinte einmal, Schriftsteller schaffen die nationalen Literaturen, die Übersetzer aber die Weltliteratur. Sie sind die emsigen Bienen eines weltumspannenden Literaturbetriebs, diejenigen, die zur Fortpflanzung von Werken, Stilen und Tendenzen beitragen und damit das Goethe'sche Konzept der Weltliteratur am Leben halten.

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Was macht einen zwischen verschneiten Gipfeln geborenen Autor und seinen Stil interessant für Autoren, die am anderen Ende der Welt, an sonnigen Küsten oder unter Palmen leben - und umgekehrt? Auf die se Frage können Literaturkritiker bzw. -wissenschaftler aus verschiedenen Perspektiven antworten. Damit aber die Verbindung überhaupt hergestellt werden kann, braucht man jenes allzu oft übersehene Netz, das die tüchtigen Übersetzer hin und her über die jeweiligen nationalen Grenzen spinnen.

Kampf gegen den Mythos

1978 veröffentlichte der spanische Verlag Lumen Juan Goytisolos Essay "Spanien und die Spanier", bereits 1969 war das Buch in deutscher Sprache im Verlag C. J. Bucher erschienen. Goytisolo versuchte darin, "in den Kampf gegen den Mythos" Spaniens zu ziehen und mit der Geschichte des eigenen Landes abzurechnen. Damals ahnte man wohl noch nicht, welch großen Einfluss die Übersetzungen der Prosawerke eines österreichischen Autors in der spanischen Literatur der nächsten Dekaden haben würden. Ein Jahr zuvor hatte der junge Autor Javier Marías dem renommierten Verlag Alfaguara empfohlen, ein Büchlein des damals noch unbekannten Schriftstellers Thomas Bernhard herauszugeben. Dessen inzwischen vollständig ins Spanische übersetztes Werk hat in den letzten vier Jahrzehnten den Stil von mehreren Generationen spanischer Schriftsteller beeinflusst. Für Miguel Sáenz zum Beispiel, den BernhardÜbersetzer, lässt sich dieser Einfluss eindeutig in den Werken von Autoren wie Javier Marías, Félix de Azúa, Fernando Savater und vielen anderen erkennen.

"Mir graut vor Mythen. Alles, was altert und zum Mythos wird, müsste man wieder in Frage stellen." Mit diesen Worten von Henri Michaux beginnt Juan Goytisolo seinen Essay. Auch Thomas Bernhard ist in den Kampf gegen den Mythos "Österreich" gezogen, gegen das gern exportierte Plakat der Bergidylle und der schon giftgrün patinierten Pracht eines längst untergegangenen Weltreiches. In Spanien wiederum, nach 40 Jahren feudalartiger Franco-Diktatur, während der das Verständnis von Kultur kaum über die Debatten über den Stil der zu Kultfiguren gewordenen, enge Hosen tragenden Stierkämpfer und über die dubiose Stimmenqualität von coupletsingenden Gemüsehändlerinnen hinaus ging, sehnte sich schon seit Langem eine ganz neue Generation von Schriftstellern nach einem ästhetischen Feger, der ihnen dabei half, die verstaubten und obskuren Gänge der nationalen Literatur zu lichten. Und da stand plötzlich - dank der Übersetzungen seiner Werke - der Mann aus Salzburg, der "Österreich-Hasser" schlechthin, und er war mit einem riesigen Feger in der Hand angekommen.

Der Stil eines Bernhard oder eines Peter Handke lässt sich immer noch inhaltlich und formal in den Werken einiger jüngeren Autoren erkennen. Marcos Giralt Torrentes jüngster Roman etwa, "Tiempo de vida" ("Lebenszeit", Anagrama 2010), der den ganzen Prozess der Erkrankung und des Todes des Vaters in einer Art Suche nach sich selbst thematisiert, lässt Spuren einer langen Beschäftigung des lesenden Autors mit Werken aus der angelsächsischen und der deutschsprachigen literarischen Tradition durchschimmern, einer Tradition, die den spanischsprachigen Kulturraum durch ihre Übersetzungen durchdrungen hat.

Schreiben soll kratzen

Bis auf die ferne Insel Kuba lassen sich die Spuren verfolgen, die das Werk eines Bernhard zum Beispiel im Stil einiger junger Autoren hinterlassen hat, darunter besonders die in den 90er-Jahren so einflussreichen Schriftsteller um die Zeitschrift Diaspora(s). Dem Erzähler und Lyriker Rolando Sánchez Mejías hat die Lektüre von Bernhard eine "Norm für sein Schreiben" geliefert, als er für sich entdeckte, sein "Schreiben solle kratzen". Auch Carlos A. Aguilera sieht in Bernhard (aber auch in vielen anderen Autoren aus den Gebieten der ehemaligen Donaumonarchie) einen Motor für sein avantgardistisches und unehrerbietiges Schreiben.

Und das alles konnte geschehen, obwohl die Prosawerke von Thomas Bernhard nie in eigenen Übersetzungen in Kuba erschienen sind. Die Bücher gelangten aus Spanien auf die Insel, in den Koffern von Touristen oder Freunden, und gingen dann von Hand zu Hand; eine Art Ideen und Literaturschmuggel, der die streng vormundschaftliche Überwachungsparanoia vor einer "ideologischen Durchdringung" aus dem "dekadenten Westen" auszutricksen wusste.

In den 90er-Jahren gab es in Kuba eine belebte und bis dahin nicht gekannte übersetzerische Tätigkeit, im Zuge derer viele österreichische zeitgenössische Schriftsteller zum ersten Mal im spanischsprachigen Raum veröffentlicht wurden. In einer Lyrikanthologie wurden zum Beispiel Gedichte von H. C. Artmann, Evelyn Schlag, Franz Josef Czernin, Michael Donhauser, Erwin Einzinger, Elfriede Gerstl, Ernst Jandl, Alfred Kolleritsch, Friederike Mayröcker, Heidi Pataki und Julian Schutting bekannt gemacht. Ein Jahr zuvor, 1998, hatte eine Sondernummer der Kulturzeitschrift UNIÓN das kubanische Lesepublikum mit einer noch breiteren Palette österreichischer zeitgenössischer Autoren - von Ingeborg Bachmann, Paul Celan und Erich Fried bis zu weniger bekannten Namen wie Peter Paul Wiplinger, Georg Bydlinski, Wolfgang Pollanz und Paulus Hochgatterer - vertraut gemacht.

Gute Zusammenarbeit

Bis zu diesem Zeitpunkt kannte man die österreichische Lyrik in Kuba kaum. Die Literatur Österreichs war eher bekannt durch alte, in Spanien gemachte Übersetzungen von Stefan Zweig oder von anderen nicht zeitgenössischen Autoren. Aber die besondere Beschränktheit des kubanischen Buchmarktes sowie sein chronischer Geldmangel führten dazu, dass Autoren und Übersetzer sich auf eine intensive und breite Zusammenarbeit einließen, die in wenigen Jahren ihre Früchte mit sich brachte.

Den ersten Anthologien folgten andere Veröffentlichungen, zum Beispiel der Lyrik von Marie-Thérèse Kerschbaumer - die zusammen mit dem inzwischen verstorbenen Autor Gerhard Kofler eine entscheidende Rolle für die Verbreitung österreichischer Literatur in Kuba spielte -, eine zweisprachige Ausgabe mit Gedichten von Friederike Mayröcker und eine weitere mit Gedichten Ernst Jandls. Dazu kam auch eine Lyrikanthologie der Gedichte Julian Schuttings oder Romane von Marie-Thérèse Kerschbaumer und André Heller. Seitdem sind für junge kubanische Schriftsteller Namen wie die von Ilse Aichinger, Gerhard Fritsch, Gert Jonke, Hans Raimund, Helmut Eisendle, Robert Schindel, Milo Dor, André Heller und Marianne Gruber ein Begriff.

Reflexion über Literatur

Aber die Resultate dieses "Schmuggelhandels" lassen sich nicht nur in einer größeren Anzahl von Publikationen verfolgen oder in manchen Stilgemeinsamkeiten von Autoren. Die intensivierte Übersetzungstätigkeit der 90er-Jahre in Kuba führte auch zu einer häufigeren Reflexion über die Literatur und über das Schreiben.

Der kubanische Jandl- und Schutting-Übersetzer Francisco Díaz Solar (auch hervorragender Übersetzer von vielen anderen deutschsprachigen Lyrikern) hat anhand seiner Beschäftigung mit Ernst Jandl eine Reihe von Lesungen und Essays zur Poesie des großen österreichischen "Sprach- und Lautdichters" angefangen, die auch als Inspiration für Lyriker jüngerer Generationen gedient hat.

Aus dieser wunderbaren und immerwährenden Kopulation, die die Übersetzung von Literatur bedeutet, sind noch einige zartgrüne Sprösse zu erwarten. Als ich heuer die Frankfurter Buchmesse besuchte, wo Verleger und Agenten die Eigentumsabkommen über weite Wörtergebiete verhandeln, bin ich an einem schönen Brunnen vorbeigegangen, der die Mitte des Rathausplatzes in einem Frankfurter Vorort ziert. Drei aus verschiedenen Richtungen springende Wasserstrahlen fallen über die Schaufeln eines mittelgroßen Wasserrads und setzen dieses in Bewegung.

Man könnte jene Wasserstrahlen als ein Symbol der drei wichtigen Akteure sehen, die die Weltliteratur in Bewegung halten: Autoren, Lesepublikum und Vermittler. Zu Letzteren gehören Verleger, Kritiker, Agenten und die wohl wichtigsten und unter den Vermittlern am wenigsten angesehenen: die Zigtausenden Übersetzer und Übersetzerinnen aus aller Welt, die dafür sorgen, dass der Durst nach Literatur in den vielen anders sprechenden Mündern gestillt werden kann.

Spanien und die Spanier Von Juan Goytisolo. Aus dem Span. von Fritz Vogelgsang. Suhrkamp 2007. 306 S., kart., ? 11,40

Geschichten von Olmo Von Rolando Sánchez Mejías. Aus dem Span. von Thomas Brovot. Schöffling & Co. 2003. 112 S., geb., ? 17,40

Rede der toten Mutter Ein Monolog. Von Carlos A. Aquilera. Aus dem Span. von Elisabeth Müller. Leipziger Literaturverlag 2010. 114 S., kart., ? 14,40

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