Trennende gemeinsame Literatur

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Daniela Strigl über den Deutschen Buchpreis, die österreichische inmitten der deutschsprachigen Literatur und die Voraussetzung für große Verbreitung: nämlich deutschlandtaugliches Deutsch.

Der im Vorjahr in Frankfurt zum ersten Mal vergebene "Deutsche Buchpreis" sollte nach dem Willen des Börsenvereins dem "besten Roman in deutscher Sprache" zufallen und damit "über Ländergrenzen hinaus Aufmerksamkeit schaffen für deutschsprachige Autoren". Die Vorauswahl von zwanzig Titeln nannte man trotzdem "Longlist", die Liste der sechs Finalisten "Shortlist". Das Experiment bescherte der österreichischen Literatur gleich einen Auswärtssieg: Arno Geigers Familiensaga Es geht uns gut kassierte Preis und Ruhm. Und ins Finale waren auch noch Friederike Mayröcker und Daniel Kehlmann vorgestoßen.

Deutscher Buchpreis

Heuer hat mit Katharina Hacker (Die Habenichtse) eine deutsche Autorin den Buchpreis gewonnen, gewiss verdient. Auffällig war nur, dass die "Shortlist" keinen einzigen österreichischen Namen aufwies, obwohl sich in der Vorauswahl noch fünf gefunden hatten; Thomas Glavinic mit seinem fast überall hoch gelobten Roman Die Arbeit der Nacht war erstaunlicherweise nicht darunter, dafür Daniel Glattauer mit einer eher leichtgewichtigen Email-Liebesgeschichte. Vielleicht wollte die Jury diesmal ein deutsches Buch küren und dabei auf Nummer Sicher gehen - auch aus der Schweiz hatte es niemand ins Finale geschafft. Von den sieben (offenbar bis auf Spiegel-Redakteur Volker Hage) jährlich wechselnden Juroren und Jurorinnen kamen 2005 zwei aus Österreich, heuer gar keiner. Vielleicht war die nationale Zusammensetzung der "Shortlist" auch purer Zufall, allerdings ist die Rolle des Zufalls bei Juryentscheidungen erfahrungsgemäß eher bescheiden.

Austriakische Vorherrschaft

Man hätte es verstehen können, hätten die Literaturfunktionäre Deutschlands sich hier der österreichischen Erfolgswelle entgegenstemmt. Vom Essaypreis der Leipziger Buchmesse für Franz Schuh bis zum dann doch nicht verliehenen Heine-Preis für Peter Handke zeigte sich allenthalben austriakische Vorherrschaft. Die deutschen Reaktionen schwankten wie gewöhnlich zwischen Denunziation und umstandsloser Eingemeindung. Was von der Welt allzu groß wahrgenommen wird, muss vom Feuilleton auf Gartenzwergmaß gestutzt werden: Als Elfriede Jelinek den Nobelpreis erhielt, beeilte sich Iris Radisch, sie in der Zeit zur "Regionalschriftstellerin" herabzustufen. Kein großer Unterschied so gesehen zwischen Hamburg und Mürzzuschlag, titelte die Steirer-Krone doch "Obersteirerin gewinnt Literaturnobelpreis".

Die höchste internationale Anerkennung für Österreichs schwierigste Schriftstellerin kam zu einem Zeitpunkt, als man drüben längst genug hatte von der rotweißroten Selbstbespiegelung im Lichte einer düsteren Vergangenheit. Bei Thomas Bernhard schien man regionale Gewandung und weltliterarische Geltung noch unter einen Lodenhut bringen zu können. Inzwischen aber reagierten deutsche Kritiker und erst recht Kritikerinnen zunehmend gereizt auf den Export nationaler Bauchschmerzen in das mit den eigenen Kreislaufproblemen beschäftigte Nachbarland.

Überhaupt hatte man keine Lust mehr, sich mit einer Literatur anzustrengen, die für ihr erotisch-spielerisches Verhältnis zur Sprache berüchtigt war. All diese Büchner-Preisträger der letzten Jahre, Albert Drach und H. C. Artmann, Ernst Jandl und Friederike Mayröcker und eben Jelinek hatten ja ihre liebe Not mit dem Simplen, auch mit dem simplen Erzählen. Dass Bodo Hell heuer in Klagenfurt einen Preis bekam - für manche ein anachronistischer Irrtum. Das Problem sei, befand Jana Hensel in der Zeit mit erfrischender Logik, dass es die "Tage der deutschsprachigen Literatur" seien, "daß also immer auch österreichische und Schweizer Kritiker dabei sein müssen, die natürlich wiederum österreichische oder Schweizer Autoren vorschlagen". So unterliege "die Auswahl von vornherein immer einem literaturfernen Kriterium".

Literaturferne Kriterien?

Autoren von Renommee, die in ihrem Werk nicht auf ihrer österreichischen Herkunft herumreiten, lassen sich gut als deutsche einspannen - Peter Handke zum Beispiel. Dass er oder Christoph Ransmayr oder Norbert Gstrein in einem Sammelband mit dem Titel Der deutsche Roman der Gegenwart behandelt werden, ist nach wie vor selbstverständlich. Volker Weidermann subsumiert in Lichtjahre. Eine kurze Geschichte der deutschen Literatur von 1945 bis heute (2006) darunter natürlich auch die österreichische und folgt in der Ignoranz historischer Sonderentwicklungen hierzulande nur der üblichen üblen Praxis gelehrterer Werke. Jelinek und Bernhard firmieren da mit Kroetz und Achternbusch unter der Kapitelüberschrift "Wut im Süden", als cholerischer Wurmfortsatz irgendwo im Süddeutschen.

Deutschlandtauglich?

Auch die erfolgreichen heimischen Autoren wie Daniel Kehlmann, Arno Geiger und Thomas Glavinic, die sich in den letzten Jahren von Erzählboykott und kollektiver Selbstzerfleischung programmatisch verabschiedet haben, schlägt man drüben gern dem neuen deutschen Erzählwunder zu - wobei der in Wien lebende Kehlmann als Doppelstaatsbürger zu Doppelverwertung einlädt. Die nicht minder ambitionierten Autorinnen wie Olga Flor, Evelyn Grill, Eugenie Kain oder Bettina Balàka (Rezension Seite III) hat man noch nicht wirklich bemerkt.

Als Voraussetzung für eine EU-taugliche Literatur gilt jedenfalls ein deutschlandtaugliches Deutsch. Seit Jahr und Tag versuchen deutsche Verlagslektoren, heimische Schreibende fit für den deutschen Markt zu machen, indem sie österreichische Eigenheiten in ihren Texten ausmerzen. Haben sie sich an den Großen, an Bernhard und Jelinek, die Zähne ausgebissen, so knabbern sie umso eifriger an den idiomatischen Problemzonen der Kleineren herum, wobei halbherziges Durchgreifen häufig bilinguale Zwitterwesen gebiert.

So mancher deutscht sich, vorauseilend gehorsam, gleich selbst ein, Mutigere blasen zum Angriff: Wolf Haas, dessen Brenner-Krimis seinerzeit nicht zuletzt wegen jener umgangssprachlichen Prägung von vielen Verlagen abgelehnt worden waren, der sie später ihren Ruhm verdanken sollten, leistet in seinem neuen Buch Das Wetter vor 15 Jahren (Rezension Seite II) sarkastisch Übersetzungsarbeit aus dem Deutschen ins Deutsche.

Nördlich der Weißwurst

Die Verständigung fiele beiden Seiten leichter, zöge man nördlich der imaginären Weißwurst hie und da das Verhältnis zwischen Irland und England zum Vergleich heran oder auch das zwischen England und den USA. Jener bewusste Satz, der Ihnen dazu längst eingefallen ist, der stammt nicht von Karl Kraus, sondern von George Bernhard Shaw: England and America are two countries divided by a common language. So ähnlich funktioniert auch die "deutschsprachige Literatur".

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