Publikationswege im 21. Jahrhundert

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Die aktuellen medialen Optionen sind nicht die einzige grundlegendere Veränderung der Publikations wege im neuen Jahrtausend. Lange Zeit waren Literaturzeitschriften, in Österreich seit den 1960er-Jahren allen voran manuskripte, die heimische Talenteschmiede. Hier begannen die Karrieren ganzer AutorInnengenerationen. Wolfgang Bauer, Barbara Frischmuth, Peter Handke, Gerhard Roth, Michael Scharang, Helmut Eisendle, Reinhard P. Gruber, Gert Jonke, Erwin Einzinger, Walter Kappacher -für sie und viele andere führte der Weg von den manuskripten direkt zu Residenz oder gleich zu Suhrkamp.

In jedem Fall aber ist man damals neuen Namen zumeist in Literaturzeitschriften schon ein paar Mal begegnet, bevor sie in einem Verlagsprogramm aufgetaucht sind. Andrea Grill war eine der ersten Autorinnen, die ohne den Umweg über die Veröffentlichung in Literaturzeitschriften mit ihrem Debüt "Der gelbe Onkel. Ein Familienalbum" im Otto Müller Verlag 2005 die literarische Öffentlichkeit betrat. Heute steht am Beginn eines erfolgreichen Starts oft der Besuch einer Schreibschule oder eines Schreibkursus. Beides ist meist eher kostenintensiv, hat aber den Vorteil, dass die dort Lehrenden, durchwegs namhafte AutorInnen oder KritikerInnen, mit ihrem Renommee und ihren Beziehungen den Weg zu den Verlagen ebnen helfen.

Saisonal ausgerufene Jungtalente

Auch dadurch haben es junge AutorInnen im Moment relativ leicht, einen Verlag zu finden. Außerdem gehört es aktuell beinahe zum guten Ton, ein oder zwei Debüts im Halbjahresprogramm zu haben. Die Obsorge betrifft allerdings meist nur das Debüt; kontinuierliche AutorInnenpflege ist gerade in den großen Häusern oft nicht mehr vorgesehen, weshalb österreichische AutorInnen mitunter reumütig an den heimischen Verlagsherd zurückkehren. So wechselte Peter Rosei von Klett-Cotta zu Residenz, Lydia Mischkulnig von der Deutschen Verlags-Anstalt zu Haymon und Barbi Marković kehrte von Suhrkamp zu Residenz zurück. Radek Knapp hat nach seinem erfolgreichen Debüt mit "Herrn Kukas Empfehlungen"(1999) im zweiten Roman "Papiertiger"(2003) vorgeführt, wie die Maschinerie funktioniert mit saisonal ausgerufenen Jungtalenten, die oft im Folgejahr niemand mehr beachtet, und was dabei mit dem Debütanten passiert. Verloren steht er auf der inszenierten Medienpräsentation seines Erstlings herum, absolviert die obligate Lesetournee und sieht in der nächsten Saison zu, wie sein Nachfolger kreiert wird.

Die österreichische Kulturpolitik kennt die Institution der Verlagsförderung, in der richtigen Annahme, dass sich heimische Verlage gegen die Konkurrenz der großen bundesdeutschen Verlagshäuser ökonomisch schwer behaupten können. Die Maßnahme zielt auf die Unterstützung anspruchsvoller -und damit selten bestsellerfähiger -Programme ebenso wie auf den Ausbau der verlagseigenen Werbe-und Vertriebsmaßnahmen, um so à la longue die ökonomische Überlebensfähigkeit der Verlage zu stärken. Das war ein kluger Gedanke und die Verlagsförderung ist nach wie vor eine segensreiche Einrichtung. Denn trotz des Debütfiebers sind es auch heute häufig kleinere und kleinste Verlage, die sich an das risikoreiche Geschäft mit unbekannten Namen und vielleicht gar noch schrägen, innovativen Büchern heranwagen, auch wenn ihnen keine Werbemaschinerie zur marktgerechten Platzierung von "Spitzentiteln" zur Verfügung steht. Erhält dann einer dieser Titel verstärkte mediale Aufmerksamkeit, erfolgt häufig der Wechsel zu einem vertriebsmäßig besser aufgestellten Verlagshaus, was aus Sicht der AutorInnen absolut verständlich ist. Die Betreuung und Ermunterung durch das kleinere Label in der ersten Publikationsphase wird ab nun kaum mehr erwähnt -und bleibt finanziell immer unentgolten. Der Österreichische Buchpreis 2018 für Daniel Wisser hat diese von keiner Seite honorierte und ökonomisch eben nicht verwertbare Talentescout-Funktion der kleineren heimischen Verlage wieder vor Augen geführt.

Daniel Wisser wurde vom Ritter Verlag entdeckt, der 2003 das Buch "Dopplergasse acht. Roman in 45 Strophen" publizierte. Wisser wechselte mit seinem Lektor Ralph Klever zu dessen neuem Verlag. Bei Klever erschienen die Romane "Standby" (2011) und "Ein weißer Elefant"(2013) sowie der Erzählband "Kein Wort für Blau" (2016). Mit "Löwen in der Einöde"(2017) und "Königin der Berge"(2018) ist Wisser bei Jung und Jung gelandet, ein Verlag, der für sein relativ schmales Programm seit Jahren eine unverhältnismäßig hohe Zahl an Nominierungen auf Buchpreislisten vorweisen kann und gleich zweimal den Deutschen Buchpreis heimholte: 2010 mit Melinda Nadj Abonji und 2012 mit Ursula Krechel.

Förderungswürdige Imagepflege

Bei vielen AutorInnen der jüngeren Generation, die im Literaturbetrieb mittlerweile einen fixen Platz erobert haben, lässt sich ein vergleichbarer Publikationsweg nachzeichnen. Anna Kim wurde vom Droschl Verlag entdeckt; hier erschienen ihre Bücher "Die Bilderspur" (2004), "Die gefrorene Zeit"(2008) und "Invasionen des Privaten"(2011). Mit "Anatomie einer Nacht" (2012) erfolgte der Wechsel zum Haus Suhrkamp, wo 2017 auch "Die große Heimkehr" erschien. Anna Weidenholzer begann 2010 im kleinen oberösterreichischen Mitter Verlag mit dem Erzählband "Der Platz des Hundes";"Der Winter tut den Fischen gut" erschien 2012 beim größeren heimischen Label Residenz und "Weshalb die Herren Seesterne tragen"(2016) beim Berliner Matthes &Seitz Verlag. Milena Michiko Flašar startete 2008 bei Residenz mit "(Ich bin)" und "Okaasan -Meine unbekannte Mutter"(2010) und wechselte mit "Ich nannte ihn Krawatte" 2012 zu Wagenbach, wo 2018 auch "Herr Kato spielt Familie" erschien. Auch Marjana Gaponenkos erster Roman "Annuschka Blume" erschien 2010 bei Residenz, mit "Das letzte Rennen"(2016) und "Der Dorfgescheite"(2018) ist sie bei C. H. Beck gelandet.

Neue Namen präsentiert und rezeptionsmäßig den Boden für deren Übernahme in einen größeren österreichischen oder großen deutschen Verlag vorbereitet zu haben, könnte man mit Recht als ein Qualitätsmerkmal kleiner Labels ansehen. Da sie davon ökonomisch nicht profitieren, aber dennoch das Ansehen der heimischen Literatur nachweislich gesteigert haben, wäre dieses Faktum vielleicht eines, das man als förderungswürdig mitbedenken könnte. Für den Literaturbetrieb hat die Entwicklung der letzten Jahre vielleicht noch eine andere Verschiebung gebracht, die tendenziell auch ein Aufgabenfeld von Literaturzeitschriften berührt. Es ist die mittlere AutorInnengeneration, die den Sprung in die ganz erste Reihe nicht wirklich geschafft hat, die heute zunehmend einer Förderung bedarf. Zumal in den Redaktionen viele der jungen Akteure schon ihre Namen nicht mehr kennt. Sie wurden zwischen den Heroen der Nachkriegsliteratur und den Jungtalenten mit ihren performativen Qualitäten wahrnehmungsökonomisch zerrieben, und mit dem Erreichen des Pensionsalters droht ihnen ein Absinken unter die Armutsgrenze. Wenn sich Literaturzeitschriften, so ist zu befürchten, um diese zum Teil völlig unterschätzten AutorInnen nicht kümmern, tut's keiner; die Literaturkritik trotz guten Willens und Initiativen von Einzelnen am wenigsten, denn das können sich die Redaktionen nicht erlauben, zumindest nicht jene, die zählen -auch da sind ja die Liga-Plätze fest zugewiesen.

Die vergessene Generation

"Kulturelles Artensterben" nannte Hans Christoph Buch 2006 in einem Essay im Spiegel die Tatsache, dass viele einst bekannte SchriftstellerInnen "in der Versenkung verschwunden" seien, wie Gerd Fuchs, Gerhard Köpf, Jürgen Theobaldy oder Karin Reschke. Das sei das "Panorama einer ganzen Generation, der man den Teppich unter den Füßen weggezogen hat". Hans Christoph Buch macht den Verdrängungswettbewerb der Generationen dafür verantwortlich sowie den Paradigmenwechsel nach 1968, und er fügt ein für das Nachleben relevantes innerdeutsches Detail hinzu: Die BRD nahm ihren AutorInnen keine Totenmasken ab, während jene "von DDR-Größen" heute im Marbacher Literaturarchiv zu besichtigen sind. Wie der zeitliche Abstand Wertungen relativieren wird, ist nicht vorhersehbar.

Die Pflege notorisch unterbewerteter AutorInnen dieser Generation wäre aktuell jedenfalls auch eine lohnende Aufgabe für Literaturzeitschriften, die einst vor allem neuen Stimmen erste Publikationsflächen boten. Ausgleichend wirken hier auch Initiativen wie der Berliner Verbrecher Verlag, der das verlegerische Experiment mit einem wachen Blick auf Fehlstellen im literarischen Kanon verbindet und "schwierige" AutorInnen wie Gisela Elsner, Peter O. Chotjewitz oder Elfriede Czurda neu zu lancieren versucht. Das ist ein Beispiel für einen bundesdeutschen Kleinverlag, der die Versäumnisse der großen Verlagshäuser auszugleichen versucht.

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