Vorstädtische Familienidylle

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Man wird nie wissen, ob es eine selbsterfüllende Prophezeiung war, als Marcel Reich-Ranicki im Literarischen Quartett verkündete, dass ihr Erfolg groß sein würde. In jedem Fall setzte er Judith Hermann damit auf die literarische Landkarte. Volker Hage rief sie dann im Spiegel in paternalistischer Manier zum Fräuleinwunder aus. Was die Autorinnen, die unter dem ärgerlichen Begriff subsumiert wurden, außer den Attributen jung und weiblich, miteinander zu tun haben sollten, weiß heute niemand mehr so genau. Alexa Hennig von Lange, Julie Zeh, Zoë Jenny, Mariana Leky, Jenny Erpenbeck oder auch Julia Franck meinte man mit diesem Label versehen zu müssen. Die Verlage sprangen begeistert auf den von Hage losgepfiffenen Zug auf, jedem Verlag sein eigenes Fräuleinwunder. Während die meisten der Riege Geschichte sind -nicht Literaturgeschichte allerdings, dafür hat es nicht gereicht - ist eine neue Ära der Vermarktung angebrochen. Der Literaturbetrieb vermarktet keine Texte, sondern Autoren und Autorinnen. Schreiben alleine reicht schon lange nicht mehr, Selbstinszenierung, Optik und Präsenz sind gefragt.

Tradition der Genieästhetik

Wieso gerade Hermann sich dauerhaft behaupten konnte, erklärt das nicht. In Talkshowrunden ist sie nicht anzutreffen, überhaupt verweigert sie Fernsehinterviews konsequent, das Fernsehen ist ein Medium, das sie ablehnt. Mager ist die Ausbeute der Suche nach bewegten Bildern von der Autorin, die Aufzeichnung einer Lesung anlässlich der Nobelpreisverleihung an Alice Munro, mehr nicht. Im Gegensatz zu anderen Autoren schadet ihr die starke Selektion der Kommunikations-und damit auch Vermarktungskanäle nicht. Ihr Erfolg gründet nicht darauf, der Sound einer Generation zu sein, wie Hellmuth Karasek im Literarischen Quartett sekundierte. Das Gegenteil ist der Fall: Es haftet ihr etwas Altmodisches, fast schon Nostalgisches an. Melancholische Porträts, schlichte Lesungen -ein Twitter-Account würde Hermann nicht stehen.

Inwiefern Judith Hermann an der Kreation der Marke Hermann selbst mitbaut, sei dahingestellt. Funktionieren tut sie jedenfalls wie wenig andere. Veröffentlicht sie einen neuen Text, ist ihr die Aufmerksamkeit der Medien sicher. Seitenlange Porträts, Rezensionen und Interviews, immer begleitet von dem obligatorischen Foto im typischen Hermann-Look: Focus auf dem Gesicht, melancholisch, leicht entrückt, dennoch Überlegenheit ausstrahlend. So stellt man sich eine Schriftstellerin vor. Hermanns Erfolgsdebut, "Sommerhaus, später" wurde nicht zufällig mit einem Foto beworben, dass bis ins Detail an die berühmte Porträtaufnahme von Virginia Woolf aus dem Jahr 1927 erinnert: Schwarzweiß, fast derselbe Gesichtsausdruck, Blick in die Kamera, die langen Haare locker zusammengebunden, von üppigem Pelz umrahmt. So wurden Bild und Text von Anfang an miteinander verknüpft, bis nichts mehr dazwischen passte. Die genialistische Pose wurde auf das Schreiben ihrer Trägerin übertragen. Bis heute wird die Rezeption ihrer Literatur davon bestimmt: Hier ist keine Handwerkerin am Werk, hier schreibt sich eine ein in die Tradition der Genieästhetik. Das macht sie ein Stück weit unantastbar.

Mit "Aller Liebe Anfang" hat die 1970 geborene Berlinerin nun ihren ersten Roman vorgelegt. Altenpflegerin Stella lebt mit Mann und Kind in einer unbenannten Siedlung am Stadtrand. Stillstand prägt ihr Leben, bis plötzlich ein Unbekannter an ihrer Haustür auftaucht. Von der Anlage her könnte "Aller Liebe Anfang" ein enorm spannender Roman sein, doch leider wird dieses Potenzial nicht ausgeschöpft. Kafkaesk bricht das Grauen ein in die Statik von Stellas idyllischem Vorstadt-KernfamilienGefängnis. Wenn Mr. Pfister, dessen absurder Name ihn schon als Kunstfigur ausweist, an der Tür läutet und Stella ihn von drinnen beobachtet, verbreitet sich ein klaustrophobisches Unbehagen. Doch dem tatsächlich Spannenden an dieser Konstellation wird leider nicht nachgegangen. Mr. Pfister dient für Stella genauso als inhaltsleere Projektionsfläche wie umgekehrt. Beide sind einander emotionale Krücken. Die Möglichkeit, dass eben dieser groteske Mr. Pfister ein von Stella selbst herbeigesehnter, pervertierter deus ex machina sein könnte, der gar nicht real existierende Lotse aus ihrem goldenen Käfig, wird angedeutet, aber nicht aufrecht erhalten. Diese Zwischenebene wäre dringend notwendig gewesen, um die quälende Langeweile aufzubrechen, die durch die narrative Spiegelung der Monotonie und Redundanz in Stellas Leben entsteht.

Inszenierung einer Autorin

Die Kritiken zu "Aller Liebe Anfang" waren zurückhaltend bis deutlich negativ. Der Marke Hermann fügt das keinen Kratzer zu. Die Rezeption des Hermann'schen Werks war von jeher durchwachsen, auch der letzte Erzählband "Alice" wurde reserviert angenommen und das zu Recht. Die Berlinerin ist eine versierte Autorin, mit einem durchdachten und konsequent durchgezogenen ästhetischen Konzept, sprachlichem Feingefühl und der Fähigkeit, mit wenig Worten Atmosphäre zu schaffen. Das macht sie zweifellos zu einer guten Autorin, aber zu keiner herausragenden. Um ästhetische Werturteile geht es aber ohnehin nicht, und auch nicht darum, dass Hermann eine unpolitische Autorin der Innerlichkeit ist, eine, wie ihr im Feuilleton des Öfteren vorgehalten wird, die nichts zu sagen hat. Der Paratext stellte die Texte von Beginn an deutlich in den Hintergrund, daher spielen Verrisse auch eine vernachlässigbare Rolle.

Der Literaturbetrieb inszeniert mit Judith Hermann eine Autorin, die ihm zu Gesicht steht, und seine Ikonen lässt man nicht so gerne fallen, auch wenn die Texte dem Image nicht gerecht werden. Dass Hermanns Status, ihr symbolisches Kapital und auch ihr Marktwert, sich abgekoppelt von ihrem literarischen Potential entwickeln, ist nicht zuletzt also eine Selbstverteidigungsstrategie. Und daher kann man sich sicher sein: Egal, was als nächstes aus ihrer Feder kommt -auch so ein nostalgisches Utensil, das "der Hermann" besser steht,als etwa ein Laptop -eine Seite im Feuilleton ist für sie reserviert.

Aller Liebe Anfang Von Judith Hermann, S. Fischer 2014.224 Seiten, gebunden, € 20,60

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