Stars & Hypes, Brands & Trends

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Literaturbetriebssatiren als unterhaltsam zu lesende Kommentare zum Zustand des "literarischen Feldes".

Wenn gesellschaftliche und ökonomische Entwicklungsschübe auf die Buchwelt überschwappen, wird sie sich selbst verstärkt zum Thema, auch in Form von Satiren auf den Literaturbetrieb und seine Akteure. Ende des 18. Jahrhunderts sorgten die Ausbreitung der Lesefähigkeit und die Verbilligung der Druckerzeugnisse für eine intensive Debatte über die neue "Lesesucht". Anfang des 20. Jahrhunderts ging die Irritation vom verstärkten Auftreten schreibender Frauen aus und auch von der Frage nach den Grenzen des Intimen, denn seit 1900 kommt Schreiben mit Diskretionsregeln notwendig in Konflikt.

Marketing statt Lektorat

Die massive Verunsicherung der Buchbranche unserer Tage begann mit Schlagwörtern wie dem "Ende der Gutenberg-Galaxis". Diesbezüglich hat sich die Aufregung etwas gelegt, auch für Internetuser ist die alte Kulturtechnik Lesen schließlich nicht ohne Nutzen. Geblieben sind die Folgen der globalen Konzentrationsprozesse, die auch den Buchmarkt erreicht haben. Die Umstrukturierung nach rein wirtschaftlichen Kriterien inthronisiert das oberste Gebot der Warengesellschaft: Wie das Waschmittel X und der Betriebsstandort Y muss auch das Buch sich rechnen, oder es wird im Meer der Konkurrenz (der anderen Bücher oder Medien) untergehen.

Die Antworten des Literaturbetriebs lauten: Marketing statt Lektorat, Homestory statt Literaturkritik, Autorenperformance, reißerische Covers, schrille Werbetexte und neue Trademarks. Das kann ein Jungstar sein, ein Superlativ jeder Art oder ein neu ausgerufener Trend. Diese "Parolen kommen nicht nur aus den Werbe-Abteilungen der Verlage; sie kommen ebenso oft aus den Redaktionsstuben", kritisierte Sigrid Löffler jüngst in einem Essay, nicht ohne festzuhalten, dass es doch eigentlich ihre Zeitschrift Literaturen war, die den absolut jüngsten Trend "Familienroman" zuerst ausgerufen habe. Selbst scheinbar kritische Stimmen mischen beim inkriminierten Spiel eifrig mit, denn anders kann auch die Kritikerin medial nicht punkten.

All diese Phänomene haben in den letzten Jahren auch hierzulande eine Vielzahl von Literaturbetriebssatiren entstehen lassen, die keineswegs eine Insiderangelegenheit sind, sondern treffende Zustandsbilder liefern über die Gesellschaft in Zeiten des verordneten Medienhypes. "Merke: Wenn man sich im Fernsehen zum Trottel gemacht hat, erhält man in den Tagen darauf viele Anrufe", lautet der drittletzte Merksatz in Thomas Glavinics Parodie auf die Ratgeberliteratur Wie man leben soll (2004) und "Merke: Wenn einen die Zeitungen feiern, bekommt man zum erstenmal seit langem von Mutter ein Bussi und wird liebgehabt", der letzte. Ist der Autor oder die Autorin jung und hübsch, kann er oder sie zur Erreichung dieses Ziels ins aktuelle Girl-bzw. Boywunder einsteigen. Der Unterschied der Geschlechter hat sich hier weitgehend eingeebnet, auch junge Autoren - wie zuletzt Michael Stavaric - setzen mittlerweile gezielt posenhaft inszeniertes Fotomaterial ein.

"Perfekte Zutaten" titelte das Buchhandelsmagazin Anzeiger 1998 und listete die "Rezepte aus der Bestsellerküche" auf - in diesem Punkt treffen sich aktuell die Marktanforderungen sehr genau mit dem Konzept "Schreibschule". Radek Knapp hat nach einem erfolgreichen Romanerstling im zweiten Roman Papiertiger (2003) vorgeführt, wie die Maschinerie funktioniert und was dabei mit dem Jungautor passiert: Verloren steht er auf der inszenierten Medienpräsentation seines Erstlings herum, absolviert die obligate Lesetournee - und sieht im Folgejahr zu, wie sein Nachfolger kreiert wird. In Klaus Modicks Roman Bestseller versucht der Schriftsteller Lukas Domcik selbst, seinem Durchbruch etwas nachzuhelfen. Er solle endlich etwas Marktkonformes schreiben - etwa eine "Dokufiction" über die NS-Vergangenheit; das geht immer und kann wirklich "groß rausgebracht" werden -, rät ihm sein Verleger schon lange. Nun tut er es, allerdings als Ghostwriter für die junge Rachel, Ertrag wie Freude sollen geteilt werden und Domciks Autorenname unbefleckt bleiben. Natürlich entgleitet ihm die Regie und die PR-Maschinerie beginnt sich ohne ihn zu drehen. Modicks Bestseller ist ein Bericht zur Situation von Autoren der mittleren Generation, für die gewisse Formen des Hypes - Jugendlichkeit zum Beispiel - keine Option mehr darstellen.

Spektakulärer Mord

In jedem Fall muss der Autor danach trachten, die mediale Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Zum Beispiel mit einem spektakulären Mord, der über Wochen die Presse beschäftigt, auch wenn er sich dann als fingiert herausstellt. Das hat Daniel Glattauer in seinem Roman Darum (2003) durchgespielt - wie schon Hugo Bettauer in seinem Roman Der Frauenmörder (1922). Mit Mord auf der Frankfurter Buchmesse operiert Regula Venske in ihrer Krimiparodie Double für eine Leiche (1998). Täterin ist hier eine glücklose Literaturagentin, die endlich durchstarten will, was ihr auch gelingt. In einer Erzählung in Norbert Silberbauers Die elf Gebote (2002) stiehlt ein Jungautor bei der Buchmesse die Preisurkunde eines glücklicheren Kollegen - zumindest träumt er davon.

Das Kalkül ist richtig: Mord oder Diebstahl sind ein gutes Eintrittsbillet in TV-Talkshows, und die haben den größten Popularitätseffekt. An zweiter Stelle rangieren Titelreportagen in den Lifestyle-Medien. Das ist nicht ganz neu, bereits Ingeborg Bachmann verhalf 1954 die Spiegel-Coverstory zum Durchbruch. Josef Haslinger kommentierte das Spiegel-Interview über seinen Roman Opernball (1995) mit den Worten: "Dann war ich gerettet."

Intime personality-stories stellen den Autor vor die Entscheidung, wie weit er in der Selbstentblößung geht. Diskretion ist in Zeiten medialer Beichten jedenfalls ein unzeitgemäßes Verhalten. Allerdings beklagte Joseph Roth schon 1929, dass er sich seit einigen Jahren vergeblich bemühe, "das Privatleben der zeitgenössischen Autoren nicht kennenzulernen". In der Homestory verbinden sich auch die Interessen der Künstler mit denen der Sekundärvermarkter. Daniel Kehlmann hat die Fatalität solcher Paarläufe - hier zwischen Maler und Biografen - in Ich und Kaminski (2003) abgehandelt.

Entblößte Leben

"Wieder beruhigte mich die Überlegung, dass ich über den Prokuristen früher oder später schreiben würde", heißt es in Wilhelm Genazinos Eine Frau eine Wohnung ein Roman (2003) und das meint hier nur die persönliche Befriedigung. "Kunst verdirbt den Charakter", ist in Evelyn Grills Roman Der Sammler (2006) zu lesen, einer Abrechnung mit der voyeuristischen Entblößung fremder Leben in der Literatur. Systematisch wird hier ein sozialer Außenseiter zum Kunstobjekt und Stofflieferanten instrumentalisiert. Wer wen schließlich als literarischen Stoff ausbeutet, inszeniert auch Norbert Müller sehr vergnüglich in seinem Roman Der Sorgengenerator (2004), und Elke Schmitter konfrontiert im Roman Veras Tochter (2006) eine junge Frau mit ihrem ersten Roman "Frau Santoris" (2000), in der die Leserin ihre eigene Mutter wiederzuerkennen meint.

Rufmord-Klagen von Personen, die sich in der Handlung verunglimpft sehen, können auch als taxfreie Werbemaßnahmen einkalkuliert werden. Provokationen wie der Beschlagnahmungsskandal rund um Thomas Bernhards Holzfällen (1984) seien selten geworden, meinte Josef Haslinger vor einigen Jahren, "sie sind geradezu ein Glücksfall". Dem widerspricht aktuell der Fall von Maxim Billers Roman Esra (2003).

Je mehr Wirklichkeit und Inszenierung, Bericht und Homestory medial verschmelzen, umso schwieriger wird es für Literatur, sich als Fiktion zu behaupten, und für die Literaturkritik, nicht zur Gerichtsberichterstattung zu verkommen. Werner Kofler bekommt das immer wieder zu spüren (zu Werner Kofler siehe Seite IV). Auf Klagen wegen Verunglimpfung realer Personen reagiert er in der ihm angemessenen Weise: Er verpasst seinem schreibenden Ich selbst das Etikett Meister der "üblen Nachrede" (1997), setzt seine Arbeit unbeirrt fort und schickt im Fall seine Schreibmaschine ins Gefängnis - nachzulesen im Prosaband Manker (1999). Der spektakulärste Fall der jüngsten Zeit war Martin Walsers Roman Tod eines Kritikers (2002). Der Kritiker stirbt zwar gar nicht, weist aber frappante Ähnlichkeiten mit Marcel Reich-Ranicki auf. Unabhängig vom Antisemitismus-Vorwurf gegen Walser zeigt sich doch eine deutliche ideologische Schräglage darin, dass der Autor gerade seit seiner Forderung, mit der Vergangenheitsbewältigung doch endlich Schluss zu machen, in allen Romanen die psychischen Spätfolgen bei NS-Frontsoldaten forciert thematisiert.

Im Zentrum des Betriebs

Auch Großverleger sind Machtfiguren des Betriebs; dass Peter Zeindlers Der Schreibtisch am Fenster (2006) direkt gegenüber dem Verlegerbüro steht, liefert dem eher erfolglosen Ich-Erzähler einen ergiebigen Stoff aus dem Zentrum des Betriebs. Die Ränder zwischen den Erzählebenen sind hier ähnlich brüchig wie bei Ernst-Wilhelm Händler, der in seinen Romanen Fall (1997) und Die Frau des Schriftstellers (2006) den selben deutschen Großverleger auftreten lässt und mit Thomas Bernhards Murnau auch eine literarische Figur. Wo einfacher strukturierte Schlüsselromane aus der Innenperspektive des Betriebs wie Walter Gronds Abrechnung mit der Grazer Szene Der Soldat und das Schöne (1998) Gefahr laufen, im Konkreten das Typische zu verfehlen, sind bei Händler die Erzählstimmen so vielfältig in einander gespiegelt, dass ein gültiges Bild jenseits von allfälligen Vorbildfiguren entsteht. Wo das gelingt, sind Literaturbetriebssatiren keineswegs larmoyante Selbstbeschau, sondern diskursive Kommentare zum Zustand des "literarischen Feldes" als Teil unserer medialisierten Gegenwart - außerdem sind sie meist unterhaltsam zu lesen.

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