Das Geschäft des Kritikers

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Kunstkritik, Literatur- und Musikkritik: unverzichtbare Bestandteile unserer Medienwelt. Aber gibt es noch Kriterien? Steuert die Kunstkritik das Verhalten des Publikums, oder ist die Restaurantkritik die einzige, die noch Wirkung zeigt? Findet Kritik überhaupt noch statt, oder ist sie längst durch Medienpartnerschaften und Werbung ersetzt? Starkritiker Joachim Kaiser, Kunsttheoretiker Christian Demand und Gourmetkritiker Christoph Wagner über Kritik zwischen Geist und Geschäft, Kriterien und Subjektivität. Redaktion: cornelius hell Die Kritik ist tot. Und wir weigern uns mit guten Gründen, das wahrzunehmen. Ein Nachruf

Einmal wollten Kritiker dekretieren, wie Autoren schreiben, Komponisten komponieren und bildende Künstler ihre Werke schaffen sollten. Dieser Anspruch, den medienwirksam pervertiert noch Reich-Ranickis Zeigefinger verkörpert, produzierte Verehrung, Angst (etwa vor einem Musikkritiker wie Eduard Hanslick) oder Abneigung; jedenfalls war es um das Verhältnis zwischen Künstlern und Kritikern oft nicht gut bestellt. Wenn es um Rezensenten ging, konnte sogar Eduard Mörike verbal zuschlagen - wie in dem Gedicht "Abschied", wo er einen von ihnen mit Fußtritt die Stiege hinunterbugsierte. Der junge Goethe hat es noch aggressiver formuliert: "Schlagt ihn tot, den Hund! Er ist ein Rezensent." So endet das Gedicht über einen Gast, der sich auf Kosten des Dichters vollgefressen hat, um dann das Essen zu kritisieren - ein sprechendes Bild für das Verhältnis von Autor und Kritiker.

Übrigens haben sich auch Autoren immer wieder als Kritiker betätigt - nicht in jedem Fall fairer, sensibler und sachlicher, wie etwa ein Blick auf die ungerechte und aus dem Hinterhalt der Anonymität erfolgte Kritik Friedrich Schillers an Gottfried August Bürger ("Bürgers Gedichte") zeigt. Und damals wie heute halten Autoren einander gerne die Steigbügel: Der Salzburger Autor Wolfgang Wenger pries den Salzburger Autor Christoph Janacs in der einen Literaturzeitschrift, in der anderen befand Janacs, es sei um die deutschsprachige Literatur nicht schlecht bestellt, solange es einen Wenger gäbe; die beiden sind seit Jahren befreundet. Das nennt man dann Literaturkritik, und niemand findet es komisch. In Österreich kennt ohnedies jeder jeden.

Kurztipp statt langer Kritik

Mittlerweile sind den Kritikern ja die unverrückbar eindeutigen Kriterien abhanden gekommen. Aber das ist nicht das Problem. Längst schon entscheidet die Werbung mehr über den Besuch einer Ausstellung als die Kritik. Und wirkungsvolle Kurztipps. Lobende Besprechungen im gesamten deutschsprachigen Feuilleton sind schon lange keine Garantie mehr für den Verkauf eines Buches (nicht einmal, dass es überhaupt in die Buchhandlung kommt). Von dem wunderbaren Prosaband "Im Grenzland" des Esten Emil Tode hat der Zsolnay Verlag vor einigen Jahren nach allen enthusiastischen Kritiken weniger Exemplare verkauft als von einem englischsprachigen Autor vor den ersten Kritiken. Andere Verleger freuen sich über die Wirkungslosigkeit der Kritik. Als ein Buch von Günter Graß einhellig verrissen wurde, hat das dem Verkauf nicht geschadet. Aktualität, öffentliches Interesse am Thema und vor allem die Berühmtheit des Autors zählen. Und der Rummel um einige wenige Bücher verdrängt alle anderen. Inhaltsleere Starbiografien werden auf den Literaturseiten rezensiert, aber die Lyrik eines Halbjahres wird in einer Sammelbesprechung "abgearbeitet", weil der Platz fehlt. Der Literaturredakteur ist eben gehalten, das Leserinteresse zu berücksichtigen, wenn er sich nicht selbst abschaffen will.

PR statt Rezension

Wo findet Kritik überhaupt noch statt? Auf dem Ausstellungssektor wird sie wirksam durch Medienpartnerschaften verhindert. Das bedeutet nicht nur gekennzeichnete PR-Beilagen, sondern auch Zurückhaltung in der redaktionellen Kritik, um die nächste Medienpartnerschaft nicht zu gefährden. Kritik und PR - eine altmodische Unterscheidung. "Danke für die PR-Unterstützung" mailte mir eben ein Museum, dem ich unsere Kritik ankündigte. Nur wenn die Auflage einer Zeitung zu klein ist für die fetten Fische im Kooperationsteich, können die Journalisten noch richtig kritisch sein.

Das Buchgeschäft ist nicht lukrativ genug für Medienpartnerschaften. Da laufen die Deals anders: "symbolisches Kapital" (Pierre Bourdieux) wird getauscht: Jeder Verlag zitiert die bedeutendsten Pressestimmen. Wer dort zitiert wird - ob Zeitung oder Rezensent - ist also bedeutend. Einige Kritiker schreiben bewusst auf den einen zitierbaren Satz hin. Und manche Zeitung bedeutet einem wichtigen Verlag: Wenn ihr uns nicht zitiert, bekommt ihr auch nicht mehr so viel Platz: ein selbstreferenzielles System. Eine Win-win-Situation für Verlage, Zeitungen und Rezensenten. Nur die Kritik bleibt auf der Strecke.

Mit der Kritik sind wir groß geworden. Durch sie haben wir die Qualität von Aufführungen und Interpretationen verstehen, Bilder sehen, Autoren kennen und Bücher kritisch lesen gelernt. Wir können uns das geistige Leben nicht vorstellen ohne Kritik. Zu recht. Darum tun wir so, als gäbe es sie noch.

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