Deserteur im Dachzimmer

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"Er wollte sich nicht bewusstlos an den Wiederaufbau machen, so tun, als ob nichts gewesen sei, wollte sich nicht einfach in einem bürgerlichen Leben einrichten. Er zog sich in sein Haus auf dem Festungsberg zurück, um dort als freier Schriftsteller zu leben." Günther Stocker

Es sind allesamt ferne Beobachter, Deserteure oder andere Weltflüchtlinge, die das Werk des 1928 geborenen Gerhard Amanshauser bevölkern. Auch der Autor selbst lebt seit Jahrzehnten zurückgezogen in seinem Haus auf dem Salzburger Festungsberg, hält sich vom Trubel des Literaturbetriebs fern und schreibt seine Bücher abseits aller literarischen Strömungen und Moden. Diese Weltabgewandtheit hat etwas Provozierendes und angenehm Unkonventionelles, ist aber keinesfalls mit Naivität oder Geschichtsvergessenheit zu verwechseln. Selbst wenn das nicht auf den ersten Blick deutlich wird, ist der Angelpunkt von Amanshausers Leben und Schreiben die Erfahrung des "Dritten Reiches".

Provozierender Außenseiter

Die Eltern des Autors waren überzeugte Nationalsozialisten und versuchten, aus ihrem Sohn einen strammen und vom "deutschen Volkstum" beseelten Naturburschen zu machen. Dazu kam die politische Indoktrination in der Schule und in der Hitlerjugend. In seinen Jugenderinnerungen ("Als Barbar im Prater", 2001) beschreibt Amanshauser, teils mit kühler Distanz, teils polemisch und mit beißender Ironie, wie damals große Teile seines Bewusstseins "für immer verwüstet oder geschändet" wurden. Trotzdem stilisiert er sich nicht zum totalen Opfer, sondern geht rücksichtslos mit sich ins Gericht, sieht sich selbst auch als Täter. In der Titelerzählung der Autobiografie fasst er den komplexen Schuldzusammenhang einer Jugend im Nationalsozialismus in ein eindringliches Bild. Als Mitglied der NachrichtenAbteilung der Hitlerjugend nahm der damals Dreizehnjährige an einem Wettbewerb in der Nähe des alten Wiener Wurstelpraters teil. "Das war der Schauplatz, der meine Phantasie als Kind immer am stärksten beschäftigt hatte, der exotische Lunapark der Akrobaten, Zigeuner und Marionetten - aber ich war zu spät gekommen und hatte meinen Auftritt gründlich verdorben: Denn ich trug nicht das Trikot des Artistenkinds, sondern Uniform und Abzeichen der Mörder."

Den Zusammenbruch des "Dritten Reiches" erlebte Amanshauser mit großer Euphorie, die aber rasch in große Skepsis umschlägt. "Nach dieser Erziehung, als der Krieg endlich verloren war, stand ich benommen da und spürte ein Würgen im Hals. Die anderen gingen wieder an die Arbeit. Doch ich sagte: Langsam! Ich bin etwas schwer von Begriff. - Man räumte mir schließlich mein Dachzimmer ein, überließ mich meiner Faulheit und meinen asozialen Instinkten. Ein Dachzimmer und eine Terrasse." Diese Passage aus dem "Terrassenbuch" (1966), seinem ersten längeren Prosatext, bezeichnet den biografischen und poetologischen Kern von Amanshausers Schriftstellerexistenz. Er wollte sich nicht bewusstlos an den Wiederaufbau machen, so tun, als ob nichts gewesen sei, wollte sich nicht einfach in einem bürgerlichen Leben einrichten. Nach Studien in Graz, Wien und Marburg an der Lahn und einer kurzen Zeit als Englischlehrer zog er sich in sein Haus auf dem Festungsberg zurück, um dort als freier Schriftsteller zu leben.

Dieser Rückzug in die Außenseiterposition bestimmt nicht nur Amanshausers Leben, sondern auch sein Schreiben. Seine Aufzeichnungen, Essays, Satiren und Kurzprosatexte sind von Anfang an durch eine distanzierte Beobachterperspektive gekennzeichnet und gewinnen ihren poetischen Reiz gerade aus der Entfernung zum Alltag und den jeweils gängigen Diskursen. Seine "Aufzeichnungen einer Sonde" (1979) steigern die Weltfremdheit gar bis zum Extrem eines außerirdischen Beobachters. So ein Blick zeigt nicht nur kritische Distanz zur Gesellschaft, sondern ermöglicht durch die Verfremdung des Gewohnten auch eine außergewöhnliche Genauigkeit der Wahrnehmung. Und dem, was Amanshausers Beobachter in unserer Welt zu sehen kriegen, ist oft nur mehr durch Ironie beizukommen. Satire und Parodie sind daher zwei bestimmende Formen für sein Schreiben, vom frühen "Aus dem Leben der Quaden" (1968) über seinen einzigen Roman "Schloß mit späten Gästen" (1975, 1982 vom ORF verfilmt) bis zum "Mansardenbuch" (1999), der späten Fortsetzung des "Terrassenbuchs".

Von Windbüchern ...

Amanshauser misstraut der klassisch-realistischen Erzählweise und hält sich in seinem Werk an die kleinen Formen. Große Handlungsbögen, das Entwerfen breit ausgemalter fiktionaler Welten waren nie seine Sache. Im "Terrassenbuch" hat er das in einem feinsinnigen Bild ausgedrückt. Der Erzähler hat dort stets Bücher griffbereit, "in denen der Wind blättern kann. Darunter verstehe ich unaufdringliche Bücher, die man weglegt und wieder aufnimmt, ohne sich zu ärgern, wenn sie der Wind inzwischen verblättert hat. Sie stürzen mich nicht in Verwicklungen, denen ich nur entrinnen kann, wenn ich die Stelle wiederfinde, wo mein Blick steckengeblieben war. Dafür gehen sie mir heimlich nach, wenn ich mich von ihnen abwende." Diesem ästhetischen Programm folgen die meisten seiner Bücher.

... und Sternennebeln

Nicht zuletzt auf Grund dieser Erzählskepsis entspricht die Form des Essays Amanshausers Schreib- und Denkstil auf ganz besondere Weise. Und auch hier hat er, von der literarischen Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, eine Reihe von höchst originellen und auf undogmatische Weise philosophischen Texten geschrieben, wie man sie in der österreichischen Literatur der vergangenen dreißig Jahre suchen kann ("List der Illusionen", 1985; "Moloch horridus", 1989). Wie bei keinem anderen heimischen Autor geht es bei ihm immer wieder um Probleme der Biologie, der Physik und der Astronomie, aber eben nicht auf theoretische, sondern auf poetische Art und Weise. Er stellt die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse in den Zusammenhang philosophischer Überlegungen und kultureller Dynamiken, beginnt mit ihnen sein dichterisches Spiel und überwindet so zumindest punktuell die oft beklagte Kluft zwischen den zwei Kulturen der Natur- und der Geisteswissenschaften.

Ein Leitmotiv dieser Essayistik ist die Kritik an der menschlichen Anmaßung, im Mittelpunkt des Weltalls bzw. am Höhepunkt der Evolution zu stehen. Eine Aufgabe von Literatur sollte es sein, diese anthropozentrische Denkweise zu "de-mütigen", die Position des Menschen in der Natur bzw. im Kosmos zu relativieren, wie es "exemplarisch" Swift und Voltaire vorgeführt haben. Unser Platz ist irgendwo zwischen den "Flöhen auf den Siebenschläfern" und dem "ungeheuren Wirbel der Sternspiralen", zwischen Mikrotieren und "Lebewesen unüberschaubarer Größe", "auf denen wir unter Umständen schmarotzen, ohne es zu bemerken". Unsere großartigen theoretischen Welterklärungen basieren letztlich mehr, als wir uns dessen bewusst sind, auf der Kreatürlichkeit des Menschen. Selbst so abstrakte Wissenschaften wie Mathematik und Astronomie, die mit ihren riesigen Zahlengebilden den Weltraum zu erfassen glauben, unterliegen den menschlichen Beschränkungen. "Zehnerpotenzen, als könnten wir mit unseren zehn Affenfingern in den Zweigen der Spiralnebel herumturnen." So bildhaft können philosophische Überlegungen sein.

Kein Plansoll erfüllen

Amanshausers Werk war immer wechselnden Konjunkturen ausgesetzt. Nachdem er in den siebziger Jahren im Zuge des allgemeinen Interesses an österreichischer Literatur und dem damit verbundenen Höhenflug des Residenzverlags einen bescheidenen Erfolg hatte, kam er in der öffentlichen Diskussion über Literatur in den achtziger und neunziger Jahren so gut wie nicht mehr vor. Die Verkaufszahlen seiner Bücher sind niedrig, die Germanistik hat sich mit seinen Werken kaum auseinandergesetzt. Das liegt einerseits sicher an der Ignoranz des Literaturbetriebs, der vor allem das gelten lässt, was den gängigen Moden entspricht. Andererseits bewahrte Amanshauser von seinen ersten Veröffentlichungen an freiwillig großen Abstand zur Literaturszene, verhielt sich auch hier als Außenseiter. In einem Rückblick meinte er 1993: "Als ich vor dreißig Jahren das Terrassenbuch' schrieb, lag mir nichts ferner als die Produktion geistiger Güter. War das ein Buch, wie lang war das Buch, wer sollte es drucken, wer sollte es kaufen? Das war mir alles gleichgültig. Ich wollte keine Arbeit leisten, keinen Beitrag geben, kein Plansoll erfüllen. Ich wollte etwas skizzieren, was mich selbst faszinierte. (...) Ich saß auf meiner Terrasse, hatte Wind in den Haaren und kümmerte mich vor allem um die Wolken."

Renaissance seines Werkes

Erst seit ein paar Jahren wird Amanshausers Werk wieder ein wenig mehr wahrgenommen. In der Bibliothek der Provinz erscheint eine Werkausgabe, der Residenz-Verlag, der Amanshauser Ende der Siebziger nicht mehr wollte, verlegt jetzt erneut seine Bücher und in den großen deutschsprachigen Feuilletons erscheinen hie und da wieder Rezensionen. Diese kleine Renaissance ist dem Autor mehr als zu gönnen. So unterschiedlich die Einschätzung von Amanshausers Büchern im Einzelnen auch sein mag, so ist sich die Literaturkritik doch darin einig, dass gerade der Abstand des Autors von allen literarischen Strömungen, sein ganz persönlicher Stil, seine sprachliche Präzision und seine unkonventionelle Verknüpfung von Satire, Philosophie und Poesie den besonderen Reiz eines Werkes ausmachen, das es weitgehend erst zu entdecken gilt. Am zweiten Jänner feiert Gerhard Amanshauser seinen 75. Geburtstag; im Residenz Verlag erscheint dazu der Sammelband "Entlarvung eines flüchtig skizzierten Herren". Wünschen wir ihm, dass er noch lange mit Wind in den Haaren auf der Terrasse oder in der Mansarde sitzen und sich mit den Wolken beschäftigen kann. Und wünschen wir uns, dass er weiterhin darüber schreibt.

Geburtstagsfest mit, von und für Gerhard Amanshauser am 13. Jänner um 19.30 Uhr bei "Buch & Wein", Schäffergasse 13a, 1040 Wien und am 15. Jänner um 19.30 Uhr im Literaturhaus Salzburg.

Der Autor ist Germanist an der Universität Salzburg

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