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Die Frankfurter Buchmesse steht im Zeichen des jungen EU-Mitgliedes Osterreich und sollte seine Chance auf diesem literarischen Marktplatz nützen.

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Die Frankfurter Buchmesse steht im Zeichen des jungen EU-Mitgliedes Osterreich und sollte seine Chance auf diesem literarischen Marktplatz nützen.

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Dieser Tage rief ein Ingenieur aus der Steiermark in Frankfurt bei der Buchmesse an und erkundigte sich wie in einem Reisebüro nach allen Buchungs- und Besichtigungsmodalitäten. Er plane einen Ausflug mit der Familie zur heurigen Buchmesse. Außerdem wolle er unbedingt die Eröffnungsrede von Robert Menasse „live” miterleben. Ein anderer Buchmessenenthusiast versucht eine Dienstreise nach Frankfurt terminlich so zu legen, daß ein Messebesuch gut vereinbar wird mit den Pflichten aus dem Arbeitsleben.

Der Österreichschwerpunkt wirft auch solche - anekdotische, touristische - Schatten voraus. Wenn in eineinhalb Monaten der Vorsteher des Börsenvereins des deutschen Buchhandels, Kurze, mit einem längst Tradition gewordenen, trockenen Hammerschlag die 47. Frankfurter Buchmesse eröffnen wird, nach Reden des österreichischen Bundeskanzlers Vranitzky, seines Wissenschafts- und Kunstministers Schölten, dessen bundesdeutschen Kollegen Rüttgers sowie nach der literarischen Rede von Robert Menasse, dann wird jeder einschlägig interessierte längst „sein” Österreichbild entdeckt und kritisch bewertet haben.

Denn natürlich geht es um solche Bilder. Das ist auch kein Widerspruch zum Wesen einer Buchmesse. Die Frankfurter Buchmesse ist ein Sammelgefäß für viele Inhalte geworden. Sie begann als jährliche Leistungsschau einer Branche. Dann kam der Handel mit Urheberrechten auf einem tatsächlich internationalen Terrain hinzu. Als in den siebziger und achziger Jahren die Schriftsteller und Vordenker der Gesellschaft immer mehr zu Stars der Medien wurden und die Medien jedes Ereignis, war es nur groß und schillernd genug, zu okkupieren begannen, da wandelte sich auch die Buchmesse erneut.

Die entfesselten Medienmassen produzieren Leitbilder mit nachhaltiger Wirkung. Deshalb sind die Länderschwerpunkte im Zuge dieser Entwicklung zu einer Schau geworden, die auf wenigstens zwei Ebenen abläuft. Zum einen stehen tatsächlich die Bücher und mit ihnen die Autoren im hellsten Scheinwerferlicht. Zum anderen aber gibt das jeweilige Gastland als ganzes eine Visitenkarte dem versammelten Publikum ab. Als „weltoffen” bemühten sich vor zwei Jahren die Niederländer zu präsentieren. Italien zeigte sich als Tourismusland.

Und Österreich? Als vor zwei Jahren im Vorbereitungskomitee und in zahlreichen Gesprächen mit Autoren und Schriftstellern die Programmatik diskutiert wurde, war rasch deutlich, wie viele unterschiedliche Lösungen für eine österreichische Präsentation vorstellbar wären.

Gerade der Zeitpunkt der Frankfurter Präsentation gab entscheidende Anstöße zu Tonlage und Vokabular der Selbstbeschreibung. Wenige Jahre nach dem Zusammenbruch des Eisernen Vorhangs mit all den daraus resultierenden Notwendigkeiten einer Neuorientierung, aber auch als neues Mitglied in der Europäischen Union schien es angebracht, nicht allzu blind auf die bereitstehenden Bilder und Bequisiten zu vertrauen.

Doch nicht nur Veränderungen im Staat und gesellschaftspolitische Begleitumstände schoben die Zeiger auf Neuland. Auch in der Literatur, im innersten Bezirk der Buchlandschaft, ist heute klar, daß wir mitten in einer Generationsablöse begriffen sind.

Jene Schriftsteller, die die Nachkriegsliteratur geprägt haben, werden eben mit hohen runden Geburtstagen gefeiert. Ernst Jandl wurde jüngst siebzig Friederike Mayröcker wurde vor knapp einem Jahr gefeiert. Indessen ist eine ganze neue Generation von Jüngeren vorgetreten - die Vierzigjährigen -, die ganz andere Töne anschlagen als ihre Vorläufer. Robert Menasse zählt zu ihnen oder Josef Haslinger, Christoph Ransmayr, Michael Köhlmeier, Antonio Fian, Robert Schneider, Felix Mitterer, Walter Klier, Elisabeth Reichart, Evelyn Schlag, um nur, ganz willkürlich, einige Namen zu nennen.

Sie orientieren sich nicht mehr an Gruppen. Wien oder Graz sind ihnen Orte wie viele andere auch, und keine zentralen Orientierungsmarken. Regionale und internationale Züge sind in ihrem Selbstverständnis möglicherweise oft ausgeprägter als das Österreich der Zweiten Republik. Die meisten dieser Schriftsteller sind auch ein gutes Stück weitläufig, und sie sind es mit einer Selbstverständlichkeit, die um solche Sachen nicht mehr viel Aufhebens zu machen braucht. Übrigens verlegen viele von ihnen in Deutschland, wie es seit den Tagen von Hofmannsthal und Schnitzler in Österreich üblich geworden ist; allerdings gibt es zum ersten Mal etliche, die sich ihren Namen in einem österreichischen Verlag geschrieben haben. Überhaupt sind jene Verlage, denen die meisten Entdeckungen des vergangenen Jahrzehnts gelangen, groß-teils sehr junge oder neu aufpolierte Verlage. Auch hier ist ein Traditionsbruch zu verzeichnen.

Noch einen Wechsel glaube ich orten zu können: für die Vierzigjährigen ist es viel selbstverständlicher, den Bogen auf die österreichische Moderne der Jahrhundertwende zurückzuschlagen als für jene Nachkriegsautoren, die erst einmal die neugegründete Zweite Republik mit intellektuellen und ästhetischen Konturen zu versehen hatten.

Ein Österreichschwerpunkt auf einem so exponierten Ort wie der Buchmesse zu einem so spannenden Zeitpunkt ist folglich fast automatisch ein groß angelegter, nach vielen Seiten offener und schwer vorausberechenbarer Versuch der Selbstverständigung, der nicht unter Ausschluß der Öffentlichkeit geschieht. Dies würde allzu leicht zur Nabelschau geraten. Im Gegenteil: Der Marktplatz im Sinn von „Agora”, dem Ort der öffentlichen Auseinandersetzung, ist ein gutes Terrain. Worum es geht, wurde mir klar, als ich die programmatische Grundfrage von „Wer sind wir” in die viel offenere, wenngleich riskantere Frage „Wer wollen wir sein” verkehrte.

Leben sind schließlich nicht entstanden, um zur Beruhigung aller Umstehenden allein naturalistische Spiegelbilder oder Alltagsrealität zu schaffen, sondern zur Produktion von Gegenbildern, mit Übersteigerangen und Illusionen, also auch versetzt mit Moden und Eitelkeiten, jedenfalls als Mittel zur Erregung und Überhöhung. Insofern ist auch ein Quantum Spektakel in Frankfurt durchaus angebracht.

Aber auch die andere Ebene von Buchmesse und Marktplatz darf nicht übersehen werden. In Frankfurt wird mit Büchern gehandelt. Es werden Geschäfte abgeschlossen. Daraus resultieren für alle, die sich diesem Treiben aussetzen, reale Chancen. Den kleinen und verstreuten österreichischen Verlagen könnte ein gelungener Auftritt eine dringend benötigte Schubkraft verleihen.

Gerade innerhalb der Europäischen Union, da sind sich die meisten Experten einig, werden Kulturfragen und Kulturkonflikte in Zukunft ganz entscheidend den Gang der Entwicklung und damit das Profil vor allem der kleinen Mitgliedsstaaten beeinflussen. Vor diesem Hintergrund kommt den Aktivitäten, die die kulturellen Strukturen eines Landes stärken sowie seine Konturen schärfen und weithin sichbar publik machen, immer größeres Gewicht zu.

Die heurige Buchmesse ist dabei nur ein Detail neben vielen Facetten. Aber manche Aufregung im Vorfeld machte gut sichtbar, wie sehr Frankfurt vorab die aktuellen österreichischen Auseinandersetzungen gleich einem Brennglas fokussiert. Die paar Tage der Messe, und selbst die rund drei Monate, während der nun im ganzen deutschen Sprachraum das Programm des Österreichschwerpunktes ablaufen wird, sind in diesem Sinn nicht einmal das eigentliche Ziel aller Vorbereitungen und Auseinandersetzungen. Eher sollte man die Buchmesse als Gelenk oder als Scharnier verstehen, über das versucht werden kann, einer Bewegung Richtung und Schwung zu verleihen. Deren Resultate lassen sich dann gewiß in Österreich wie in Frankfurt erleben.

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