"Weitaus mehr als ein Wirtschaftsfaktor"

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Von 23. bis 26. März fand die Leipziger Buchmesse statt, mit Schwerpunkt Litauen. FURCHE-Gespräch über die auch politische Bedeutung derartiger Veranstaltungen.

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Von 23. bis 26. März fand die Leipziger Buchmesse statt, mit Schwerpunkt Litauen. FURCHE-Gespräch über die auch politische Bedeutung derartiger Veranstaltungen.

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Mit mehr als 285.000 Besuchern verzeichnete die Leipziger Buchmesse heuer einen Publikums-Rekord. In Leipzig werden nicht nur neue Lesestoffe entdeckt, sondern vor allem Kontakte geknüpft. Die FUR-CHE sprach in Leipzig mit der Kulturmanagerin Barbara Stang über die gesellschaftspolitische Relevanz der Veranstaltung, die Entwicklungen am Buchmarkt sowie die "Buch Wien".

Die Furche: Als Kulturmanagerin und Verlags-Pressesprecherin, als Lehrende und als Vermittlerin von "Lesestoffen": Wie beurteilen Sie die Bedeutung des heurigen Schwerpunktes Litauen? Kann die Buchmesse mit ihren Themen gesellschaftspolitisches Bewusstsein erzeugen?

Barbara Stang: Nach 1989 hat sich die Buchmesse Leipzig thematisch den osteuropäischen Ländern zugewendet. Jedes Jahr bildet ein Land den Schwerpunkt der Messe. Litauen wiederholt sich heuer erstmals. Ich bin der festen Überzeugung, dass Leipzig mit seiner damaligen Entscheidung, einen jeweils osteuropäischen Länderschwerpunkt zu wählen und damit zugleich auch einen Kontrapunkt zu (den international gewählten) Schwerpunktländern der Frankfurter Buchmesse zu setzen, klug agierte und das Konzept gut weitergeführt hat. Der Messe gelingt es ja auch, ihrem Schwerpunkt andere Foren zu verschaffen. So hatten wir beispielsweise am Vorabend der Messeeröffnung im Berliner Literaturhaus einen litauischen Autorenabend. Damit ist die gesellschaftspolitische Relevanz bereits gegeben: Der Schwerpunkt wird bereits im Vor-und Umfeld der Messe öffentlich kommuniziert. Politische Relevanz ist auch immer dann vorhanden, wenn es sich um gute, um engagierte Literatur handelt, denn diese ist immer (auch) politisch. Politisch insofern, wenn der Transfer der Inhalte in andere als rein ästhetisch relevante Bereiche gelingt. Mit der Wahl für einen Schwerpunkt werden weitreichende Impulse gesetzt. In der Auseinandersetzung mit den osteuropäischen Ländern entwickelt die Messe neue Denkräume.

Die Furche: Ihrem Verständnis nach ist die Leipziger Buchmesse also eine Art Gedankenschmiede?

Stang: Ja, hier werden für Gesamteuropa förderliche Gedanken vorbereitet und weitergeführt. Seit vergangenem Jahr gibt es auch einen Zusatzschwerpunkt, nämlich "Europa 21". Jährlich werden Kuratoren ausgewählt, die das Programm gestalten. Heuer ist es die gebürtige Hamburgerin Esra Küçük, die das Gorki Forum leitet, einen Ort für Diskurs und Vermittlung im Gorki Theater Berlin. Ich finde die Ideen, den kulturellen und sprachlichen Transfer über das Buch sichtbar zu machen, enorm intelligent. Mit dem Motto "Wir in Europa" zeigen die Kuratoren die Vernetzung der Sprachräume, die Möglichkeiten von Sprache als Performance, die Aspekte von Übersetzung und die daraus resultierende Wahrnehmung von Fremdem, das man auch als Fremdes im Sinne des interessanten "Anderen", stehen lässt. Aus dieser Auseinandersetzung erschließen sich zugleich neue Integrationsüberlegungen als auch -wege. Wenn ich "das Fremde" vorurteilsfrei ernst nehme und als Kontrapunkt sehe, dann geschieht zugleich eine Begegnung in dieser Bewegung der Wahrnehmung. Beim Zusammenkommen über das Produkt Buch -das sich als Kommunikationsmedium versteht - wird dieser Prozess durchlässig und immer neu interpretierbar.

Die Furche: Wie wichtig ist die Buchmesse als Ort der realen Begegnung? Man könnte die Messe theoretisch auch über Skype oder in Chat-Rooms stattfinden lassen.

Stang: Natürlich wäre das möglich, aber das Besondere ist die Begegnung auf Augenhöhe, dass es ein Vis-à-Vis gibt, dass man Autoren, Verleger, Leser, Buchhändler und Titel sieht und Neues entdeckt. Leipzig lebt trotz der Vielfalt der digitalen Möglichkeiten vom klassischen Begriff der Messe, wo eine Branche zusammenkommt und Marktplatz spielt. Leipzig findet genügend Gründe für dieses analoge Zusammenkommen in einer medialisierten, globalisierten und digital vernetzten Welt. Die Buchmesse ist weitaus mehr als ein wichtiger Wirtschafts-und Stimmungsfaktor, hier entwickelt man oft punktgenau konzise Gedanken zu Projekten. Zugleich ist die Buchbranche immer noch eine konservative und lebt nachweislich vom konkreten Medium und einer lebhaften Auseinandersetzung damit.

Die Furche: Welches Publikum findet man in Leipzig, etwa im Vergleich zu Frankfurt?

Stang: In Frankfurt trifft man eher auf das Fachpublikum: also auf eine im internationalen Sinne in der Buch-,Verlags-,Agenten-und Bildungsbranche tätige, natürlich auch publizistische und wissenschaftliche Klientel. Die Allgemeinheit hat erst am Wochenende Zugang zur Messe Frankfurt. In Leipzig begegnet man Menschen aus allen Gesellschaftsbereichen. Hier interessiert die Ost-West-Frage weiterhin stark, das breit ausgelegte Programm zieht aber auch Manga-Fans sowie Leser aller Couleurs an. Es ist vom ersten Tag an eine Publikums-Messe. Ich beobachte Besucher, die alles aufgeschlossen wahrnehmen und geradezu aufsaugen. Das hat sicher auch mit der Entwicklung der Stadt zu tun. Leipzig hat etwa die Institution einer "Kulturbürgermeisterin", das ist seit einem Jahr Skadi Jennicke. Man sagt, dass sie gute kulturpolitische Arbeit leistet, weil sie genau begreift, was in dieser Stadt passiert. Leipzig ist ja aktuell eine Art "Boom-Town" in Deutschland, viele junge Leute kommen hierher, weil sie die künstlerische Aufbruchsstimmung spüren. Das ist nicht nur in der Literatur so, sondern auch in den Bereichen Architektur oder Kunst.

Die Furche: Welche Auswirkungen hat die Leipziger Buchmesse auf andere Veranstaltungen, etwa die "Buch Wien"?

Stang: Ich beobachte, wie sich die "Buch Wien" entwickelt, ich kenne vor allem kleine Verlage, die berichten, dass die "Buch Wien" für sie wertvoll ist. Sie liegt zeitlich nah an der Frankfurter Buchmesse, und es wird erzählt, dass Impulse von dort aufgenommen und fortgeführt werden. Es ist auch für die Buchbranche wichtig, dass in Wien ein Marktplatz bespielt wird. Neben Wien ist auch Basel zu nennen sowie die lit.COLOGNE, die sich als größtes Lese-Event Deutschlands versteht (und jedes Jahr wieder um diesen Titel mit der Leipziger Buchmesse ringt). Mit einem olympischen Blick auf das gesamte Messegeschehen im deutschsprachigen Raum lässt sich also sagen, dass von der Leipziger und Frankfurter Messe wichtige Impulse ausgehen.

Die Furche: Wenn Sie Leipzig im Vergleich zur "Buch Wien" betrachten, was kann Wien tun, um sich als Messe besser zu positionieren?

Stang: Die Buchmesse in Leipzig war in der Nachwendezeit eine absolute Notwendigkeit. Leipzig musste unbedingt als Messeplatz erhalten bleiben. Das hat viel mit der Geschichte der Stadt zu tun. Hier hatten viele Verlage ihre Dependancen, etwa Reclam oder der Musikverlag Schott, der direkt hinter dem Gewandhaus ein riesiges Anwesen besaß. Auch der Inselverlag hatte eine Niederlassung. Sie alle sind in die Mutterhäuser in den Westen zurückgegangen. Die Stadt hat ordentlich geblutet, was den Bereich der Verlagsstandorte betrifft. Hier hätte man viel erhalten können, schließlich gibt es in Leipzig ein "grafisches Viertel", dessen Name zeigt, wie stark Leipzig in der Geschichte ein Ort von Druckerzeugnissen war. Zwar hat man Buchherstellung sowie Buch-und Medienkunst in den vergangenen Jahren wieder aufgewertet, etwa mit dem Neubau des "Haus des Buches" nach der Wende, doch Leipzig brauchte diese große "Neue Messe" auf neuem Gelände. Wien tickt anders. Ich denke, dass es einen Paukenschlag braucht, um die "Buch Wien" als Anziehungspunkt für die junge Leser-Generation attraktiver zu machen. Das beginnt bereits mit dem Namen: "Buch Wien". Das hat etwas Solides, Nettes, aber aus meiner Sicht ist ein neuer, kluger Gedanke nötig. Die "Buch Wien" könnte und sollte richtig Lust machen, sich mit dem Medium Buch im 21. Jahrhundert zu beschäftigen. Formate dafür gibt es genug!

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