Bücher gab es auch

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Nobelpreis und Liveticker, Apps und E-Books, Mumins und Gelsen: Ein Gang durch die Hallen der diesjährigen Frankfurter Buchmesse.

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Nobelpreis und Liveticker, Apps und E-Books, Mumins und Gelsen: Ein Gang durch die Hallen der diesjährigen Frankfurter Buchmesse.

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In einem Pariser Café sitzt einer und listet Namen auf, um "all die Schmetterlinge, die für ein paar Augenblicke um eine Lampe schwirren, vor dem Vergessen zu bewahren. Er träume, sagte er, von einem riesigen Register, in dem die Namen der Gäste aller Pariser Cafés seit hundert Jahren verzeichnet wären, samt Angabe ihres Eintreffens und ihres Weggehens. Er war besessen von etwas, das er 'Fixpunkte' nannte."

Der diesjährige Literaturnobelpreisträger Patrick Modiano literarisiert gerne dieselbe Stadt: nämlich Paris. "Es gab in Paris Zwischenzonen, so etwas wie ein no man's land, wo man am Rand von allem und jedem war, auf Durchreise oder sogar in der Schwebe. Man genoss eine gewisse Immunität", heißt es in seinem Roman "Im Café der verlorenen Jugend". Modiano macht in seiner Literatur Zwischenzonen und darin kurz die Menschen sichtbar. Nun wird Modiano durch den Nobelpreis also selbst weltweit sichtbar. Der Spiegel hält ihn für in Deutschland bisher "eher unbekannt", doch Österreich hat Modiano bereits 2012 zu Recht den Staatspreis für Europäische Literatur verliehen.

Als am Donnerstag um 13 Uhr bekannt gegeben wurde, wer den Nobelpreis für Literatur erhält, fiel mir als erstes dieses Bild von den Schmetterlingen ein, das Bild der Flüchtigkeit. Schwärme von Menschen trieben da gerade in den Frankfurter Messehallen an mir vorbei, da und dort twitterte ein Kollege Berichte von der Buchmesse in einen Liveticker, der neue Leiter des Hanser Verlags, Jo Lendle, gab seine Freude über den Preisträger bekannt, hatte von diesem aber keine Bücher mit, hunderte Brezel wurden in den Gängen verkauft, mit Käse und ohne Käse, einige Verleger saßen schon müde in ihren Ständen - und irgendwo lief sicher gerade wieder eine Diskussion über Amazon und seine Drohung, Verleger wie Gazellen zu jagen und demnächst E-Books "unlimited" per Flatrate lesen zu lassen.

Hightech und Würde

Am Vormittag hatte ich mich zu einer Veranstaltung in Halle 4.2 begeben, Thema: die Digitale Ambivalenz, Apps zum Frühstück. Vom Vortrag erhoffte ich mir Antworten auf Fragen, die mich auch persönlich beschäftigen, seit ich ein Smartphone besitze. Unter den smarten Youngsters war ich zweifelsfrei Seniorin. Die beiden plaudernden Buchautoren beließen es allerdings bei launigen Phrasen. Dass zwar Telekommunikationsunternehmen aus gutem Grund die SMS ihrer Kunden nicht auslesen dürfen, Unternehmen wie Google durch Apps aber Kontakte und anderes schon - kein Thema. Irritierend, dass das "Forum STM & Specialist Information", auf dessen Bühne die Veranstaltung stattfand, auch von "Samsung Galaxy" subventioniert war.

Solche Zusammenhänge kritisch unter die Lupe zu nehmen, täte dringend not. Just Jaron Lanier, der selbst ein Start-up-Unternehmen an Google verkauft hat und zur Zeit eine Forschungsstelle bei Microsoft innehat, tat es, als er Sonntag Abend mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet wurde. "Plötzlich müssen wir uns gefallen lassen, überwacht zu werden, um ein E-Book zu lesen!", sagte er da. "Auf was für einen eigentümlichen Handel haben wir uns da eingelassen! In der Vergangenheit kämpften wir, um Bücher vor den Flammen zu retten, doch heute gehen Bücher mit der Pflicht einher, Zeugnis über unser Leseverhalten abzulegen, und zwar einem undurchsichtigen Netzwerk von Hightech-Büros, von denen wir analysiert und manipuliert werden."

Und dann hielt Lanier ein erstaunliches Plädoyer für das Buch, dem "Bauwerk menschlicher Würde." Im Internet, so Lanier, gäbe es "ebenso viele Kommentare über das Internet wie Pornographie und Katzenfotos, aber in Wirklichkeit können nur Medien außerhalb des Internet - insbesondere Bücher - Perspektiven und Synthesen aufzeigen. Das ist einer der Gründe, warum das Internet nicht zur einzigen Plattform der Kommunikation werden darf. Wir haben am meisten davon, wenn es nicht gleichzeitig Subjekt und Objekt ist. Aus diesem Grund schreibt ein Geschöpf der digitalen Kultur wie ich Bücher, wenn es Zeit ist, einen Blick auf das große Ganze zu werfen. Denn es besteht die Chance, dass ein Leser ein ganzes Buch liest."

Dass das Lesen von Büchern im besten Fall in der Kindheit beginnt, erzählte die Ausstellung des diesjährigen Gastlandes Finnland. Sie führte in ihrer schlichten, kühlen, auf Literatur und die fürs Lesen nötigen Freiräume fokussierten Ausstellung zu allererst in ein "Kinderzimmer" voller Mumins und Bücher. Aber Österreich brauchte sich diesbezüglich nicht zu verstecken. Immerhin bekam die Wienerin Heidi Trpak für ihr Erstlingswerk "Gerda Gelse. Allgemeine Weisheiten über Stechmücken", illustriert von Laura Momo Aufderhaar, am Freitag den Jugendliteraturpreis 2014 in der Sparte "Sachbuch". Die Erzdiözese Wien strich das Verlagsprogramm, das Inge Cevela in den vergangenen Jahren so erfolgreich aufgebaut hatte, im Vorjahr aus dem Programm des DomVerlages, in dem dieses Buch noch erschienen ist. Erfolgreiche Kinderbücher sind dort also nicht mehr erwünscht. Die engagierte Verlegerin rettete das Kinderbuchprogramm samt Lektorin in den Tyrolia Verlag.

Mückenschwärme und müde Beine

Ob die Verlage, denen das Dabeisein in Frankfurt wegen Standmiete und Hotelkosten ein gefährliches Loch ins Budget reißt, sich alle auch in den kommenden Jahren auf der Frankfurter Buchmesse präsentieren werden, steht in den Sternen. Die leeren Stände, die heuer auch zu sehen waren, notdürftig dekoriert mit Plakaten und Prospekten, zeigten Lücken, die sich hier auftun, auch zwischen den ganz Großen und den Kleinen. Der Glanz mancher Stände und Stars zieht die Scharen an, während in einigen sehr bibliophilen Ständen einsam der Verleger bei seinem Werk wacht. Wie Mückenschwärme tummeln sich aber Besucher und Journalisten, wenn Altkanzler Kohl in den Droemer Knaur-Stand geschoben wird oder wenn Paulo Coelho im neu eingerichteten und neu ausgrenzenden Business Club auftritt, mit dem Direktor der Messe.

Am Ende eines Buchmessentages tun vor allem die Beine weh. Jürgen Lagger, Schriftsteller und Verleger, gewährt mir Unterschlupf im Stand seines Verlags "Luftschacht". Bald gesellt sich ein Kollege hinzu. Während anderswo die Sektkorken knallen und das Jahreseinkommen eines Kleinverlegers verfuttert wird, zieht Lagger eine Flasche Grappa unter seiner Sitzbank hervor. Da wird die Buchmesse auf einmal ganz heimelig, nicht nur wegen des wärmenden Schnapses. Diese Erfahrung bestätigen mir auch andere: Es sind die Begegnungen und Gespräche, mit engagierten Buchhändlerinnen zum Beispiel, die den Besuch auf der Buchmesse zu einem besonderen Ereignis machen können. Es sind die Menschen, die auch hier die Faszination von Büchern weitererzählen und damit anstecken. Jaron Lanier beendete seine Rede über die High-Tech-Welt in der Frankfurter Paulskirche denn auch mit einem Lobpreis: nicht auf das Wunder der Technik, sondern jenes der Freundschaften, nicht auf das digitale Netzwerk, sondern auf den Glauben an die Besonderheit des Menschen.

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