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Digital In Arbeit

Bücher auf CD-Scheiben

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Ist es Zufall oder (marktstrategische) Absicht, daß die „Electronic Books“ bei der Frankfurter Buchmesse in der Halle 1 angesiedelt wurden? Im Vorjahr erstmals zu Buchmesse-Ehren gekommen, hat sich die Ausstellerzahl elektronischer Medien heuer bereits verdoppelt — und das nicht grundlos: Denn die Halle wurde von den Besuchern gestürmt.

Nachschlagewerke auf Diskette stellen keine Sensation mehr dar, Abspielgeräte für die CD-ROM (Read Only Memory) genannten, kleinen silbrigen Scheiben sind für Florian Langenscheidt vom Verlagskonzern „Bibliographischen Institut & F. A. Brockhaus“ (mit den Lexika- Verlagen Duden, Langenscheidt und Meyer) fast schon zum Massenartikel geworden. Zukunftsweisend ist für ihn die CD-I (Interaktiv), auf der visuell attraktiv umsetzbare Sachbücher gespeichert werden, -bei denen der Benutzer das Gefühl bekommt, eigenständig entscheiden zu können.

Alle diese „Bücher“ sind für die Arbeit am Computer konzipiert. Man klickt sich das (lexikalische) Wissen der Welt, ob in der Medizin oder in der Kunstgeschichte, auf den Bildschirm, sieht das menschliche Herz an der Arbeit oder „zoomt“ sich eine Detailansicht von Gustav Klimts „Kuß“. In Hinkunft werden in den Buchhandlungen immer weniger Regale, statt dessen PCs umherstehen, auf denen die neuesten Multimedia-CD-ROMs von den Buchhändlern demonstriert werden. Damit der Einstieg in die „schöne neue Welt“ nicht an Details scheitert, hat sich das Bibliographische Institut in Mannheim mit der von Bill Gates geleiteten Firma Microsoft zusammengetan.

Die Amerikaner bringen ihr Soft- ware-Know-How ein, die Deutschen stellen ihr jahrzehntelang gesammeltes Wissen im Lexika-Bereich zur Verfügung. Solcherart entsteht ein weltumspannender Medienkonzern, der sehr viel Geld dafür ausgibt, (in erster Linie) die Kinderaugen in Bann zu halten.

Über die gesellschaftlichen Auswirkungen dieser elektronischen Revolution und der Machtkonzentration wird öffentlich zu wenig diskutiert. Tatsache ist, daß bereits mit „Game boy“ und ähnlichem die Elektronik Einzug in die Kinderstuben gehalten hat. Zu fragen wäre aber, ob unsere Kinder diese über haupt noch verlassen werden wollen, wenn die „Virtual reality“ des Computers (seine Scheinrealität), die man eigenhändig steuern kann, soviel attraktiver ist, als die „mühsame Wirklichkeit“, in der, aller gegenteiligen Bestrebungen zum Trotz, immer noch etwas unangenehm Überraschendes passieren kann.

LESEN REGT PHANTASIE AN

Im Gegensatz zur Welt am Bildschirm stellen die altmodischen Bücher zwischen zwei Pappendeckeln keine Konkurrenz zur Wirklichkeit dar. Sowohl zum Schreiben als auch zum Lesen von Büchern ist Phantasie erforderlich, die sich im Kopf und nicht am Bildschirm ereignen muß. Außerdem ist Phantasie etwas, das durch wirkliches Erleben genährt wird, statt dieses zu verhindern. Die Buchstaben in einem Buch sind abstrakte Zeichen, aus der jeder Mensch sich eine Welt erst formen muß. Und diese wird ganz anders aussehen, als jene, die sich ein anderer daraus entwirft. Die Visualisierung am Bildschirm dagegen sieht für alle gleich aus.

Hat sich das Buch an die übermächtige Konkurrenz durch das Fernsehen bereits gewöhnt und dar auf in vielen Bereichen auch reagiert, so stellen die „Electronic Books“ eine neue Herausforderung für die Buch-Branche dar. In Deutschland stehen bereits elf Millionen PCs, 60 Prozent davon in Büros und 40 in privaten Haushalten. Die Zeit bleibt auch für das altehrwürdige Buch nicht stehen und es wäre daher an der Zeit, sich sowohl über die Arbeitsbedingungen von Autoren, Verlegern und Buchhändlern als auch über die Rezeptionsbedingungen des Publikums Gedanken zu machen. Zu befürchten ist, daß es sich rächen wird, daß Ergebnisse von Nachdenkprozessen in gedruckter Form einen so geringen gesellschaftlichen Stellenwert besit zen (jedenfalls was die Bezahlung geistiger Arbeit betrifft). Verarmung durch Vereinheitlichung ist jetzt bereits sichtbares Ergebnis dessen, daß man Effizienz in den inneren Kreis der postmodernen Gottheiten aufge- nommen hat, und alles, was daran nicht meßbar ist, geringschätzt.

Auch wenn Österreich die Arbeit seiner lebenden und toten Schriftsteller und Publizisten in gedruckter Form im nächsten Jahr in Frankfurt der Welt präsentieren wird, wird kaum über die Auswirkungen des Umbruchs auch dieser Branche die Rede sein, obwohl es durchaus denkbar ist, daß Österreich diesbezüglich wieder einmal jene „kleine Welt ist, „in der die große ihre Probe hält“.

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