"Nicht genügend" für den Computer

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Kommt nach der Euphorie über Computer und Internet jetzt die große Ernüchterung? Kritische Stimmen mehren sich, dass der geübte Umgang mit der Technik bereits mit Bildung und Intelligenz verwechselt wird.

Bildungsministerin Elisabeth Gehrer macht derzeit in Privatstunden am Abend den Europäischen Computerführerschein1). Eine zusätzliche Milliarde hat sie für die Computerausstattung und Vernetzung der Schulen in Österreich zur Verfügung gestellt, in der Überzeugung, dass das Internet die größte Erfindung seit der des Feuers sei.

Damit steht die Politikerin nicht alleine da. "Laptop statt Schulranzen": Mit diesem Schlagwort versuchte kürzlich die FDP im deutschen Bundesland Rheinland-Pfalz in der Öffentlichkeit zu punkten. Schüler sollen im Unterricht via Laptop mitschreiben können. Zwar müssen deren Eltern die Geräte selbst kaufen, aber Firmen starten besonders günstige Laptop-Aktionen.

Frau Gehrer will auch den Informatikunterricht an den Gymnasien von der fünften in die zweite Klasse vorverlegen. Wenn sie ihren Computerführerschein und damit wieder freie Abende hat, eine Empfehlung: Ein Buch, das ihrer Euphorie Erfahrungen aus amerikanischen Klassenzimmern entgegenstellt. Clifford Stoll, Verfasser von "LogOut" (S. Fischer Verlag, 2001), donnert aus dem Gelobten Computerland USA, dass Computer nichts im Klassenzimmer verloren hätten. Diesem Mann kann man nun nicht Technikfeindlichkeit vorwerfen, denn er programmiert seit den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts Computer. Bereits 1972 war er am Aufbau des "Arpanet", eines Vorläufers des Internet, beteiligt.

Im deutschen Raum wurde er durch seine Internetjagd auf deutsche Hacker bekannt, die für den KGB gearbeitet hatten. Stoll hat sich in den USA unter Lehrern umgehört. Deren Bilanz bezüglich Wissensvermittlung via Computer und Internet ist vernichtend. Kinder und deren Eltern verwechseln den geübten Umgang mit Computern mit Intelligenz. Den Kindern und ihren Eltern fehle folgende Einsicht: Man muss sehr genau unterscheiden zwischen der Möglichkeit, Zugang zu Informationen zu haben, und der Fähigkeit, die man braucht, um sie zu interpretieren. Firlefanz und Zeitverschwendung sei es, den Schülern Wissen zu vermitteln, wie Computer funktionieren: "Computer sind doch überall, deshalb müssen sie auch ins Klassenzimmer!" Nun sind auch Autos überall. Sie spielen eine so wichtige Rolle in unserer Gesellschaft, dass man kaum einen Job bekommt, wenn man nicht Auto fahren kann. Autos tragen für die Wirtschaft weit mehr bei als Computer.

Die große Lernlüge

Der Profit von General Motors ist um vieles größer als der von Microsoft, trotzdem bekommt man in den Schulen keine "Autokenntnisse" beigebracht." "Kinder stehen auf PCs - Was viele schon wussten, belegt nun auch eine Studie", hieß es kürzlich in der furche. Was die Studie zu Tage förderte, wissen eigentlich schon alle: Der häufigste Grund für die Liebe der Kinder zum PC ist das Spielen. Wird der Computer jedoch in den Unterricht integriert, verschwimmt die Grenze zwischen Spiel und Lernen:

"Lernen ohne Mühe, brillante Graphiken, Fakten aus dem Internet, das Lernen als Videospiel: Es gibt damit nur ein Problem - alles ist Lüge! Meistens macht Lernen keinen Spaß. Lernen bedeutet Arbeit und Disziplin ... Es gibt keinen mühelosen Zugang zu einer qualifizierten Bildung."

Der Computerfachmann Stoll zitiert zahlreiche Lehrer aus den USA, die sich gegen die Tatsache wehren, dass gerade junge Kollegen den Stoff so zurechtbiegen, dass man Computer und Taschenrechner im Unterricht verwenden kann. Die Folge: Amerikanische Kinder können nicht einmal mehr die Grundrechnungsarten. Schüler glauben, wenn sie ein tolles Design und eine schicke Schrifttype für eine Arbeit gefunden haben, hätten sie etwas geleistet. Inhalte bleiben unberücksichtigt. Experimente in naturwissenschaftlichen Fächern verschwinden zugunsten virtueller Realitäten. Fatal für die Phantasie, sagt Clifford Stoll, und schlimm auch, weil die Kinder überhaupt nicht mehr mit ihren Händen arbeiten. Der Umgang mit der Muttersprache verludert, Fremdsprachen seien heute in den USA fremder denn je. (Man fühlt sich an die Klagen des amerikanischen Geheimdienstes nach den Terroranschlägen erinnert: Niemand könne arabische E-mails übersetzen...)

Wer profitiert vom Trend zum Computer? Stoll, Jahrgang 1951, Vater zweier Kinder, Besitzer mehrerer Computer und täglicher Nutzer: "Natürlich die Firmen, die die Klassenzimmer verkabeln und vernetzen, dann natürlich die Telefongesellschaften, die Internet-Provider und die Medienproduzenten. Was wissen diese Firmen schon über Kindererziehung - und was kümmert sie das?"

Hier eine Frage an die Bildungsministerin: Weiß sie, wieviel das Reparieren von Computern kostet? Weiß sie weiter, welche laufenden Kosten für die Wartung der vernetzten Klassenzimmer anfallen? In den USA wurden Lehrer gekündigt, um Techniker zu bezahlen ...

Lernmaschinen, so Stoll, halten vom eigenen Denken ab. Schüler vergessen das über den Computer erlangte Wissen viel schneller als jenes, das ihnen ein noch so mittelmäßiger Lehrer vermittelt hat.

www. ist langweilig

George Steiner, der aus Österreich stammende Philosoph und Literaturwissenschaftler, sieht im Idealfall zwischen Lehrendem und Lernendem eine "praktische Allegorie für interesselose Liebe". Wo findet man das auf der Datenautobahn? Oder Inspiration? Originalität? Konzentration? Kritisches Denken? Apropos Daten: Diese liefert das Internet im Überfluss. Aber verlässliche Information? Und gar Wissen? "Unser Denken wird nicht von Informationen gesteuert, sondern von Ideen, Erfindungen und Einfällen. Nicht ein Berg von Informationen führt zum Verstehen, sondern Wissen. Jenseits des Wissens liegt das, was wir anstreben sollten: Weisheit.

Vielleicht wäre für Ministerin Gehrer auch ein Gespräch mit dem High-Tech-Guru der Tageszeitung "Die Presse" von Nutzen. Nach Jahren, in denen Jakob Steuerer die Neuerungen auf dem Gebiet Computer und Internet hymnisch kommentierte, bekennt er jetzt: "Ich langweile mich im World Wide Web mit jedem Tag mehr. Nicht das lange Warten erzeugt die Langeweile, denn er ist ADSL-User: "Nein: Ich langweile mich weil sich ... eben jenes World Wide Web binnen weniger Jahre von einer medialen Hoffnungszone par excellence in einen Schrottplatz der Informationen, in ein chaotisches Trümmerfeld von meist überaus banalen Wissens- und Unterhaltungspartikeln verwandelt hat." Steuerer spricht von einer "öden digitalen Wüste", in der Speichern und Vergessen in einem fatalen Zusammenhang stehen.

Zeitfresser Internet

Zurück ins Klassenzimmer der unmittelbaren Zukunft: Ist der Bildungschefin Österreichs klar, wie sich der größte Zeitfresser der Geschichte, das Internet, im Unterricht auswirkt? Funktioniert auch nur ein einziger Laptop nicht, hält das den Unterricht mindestens zehn Minuten auf. Und wie steht es mit der Macht, die (Internet)-Wissen angeblich vermittelt Wer hat in unserer Gesellschaft die meiste Macht? Bestimmt nicht die, denen das meiste Wissen zugänglich ist, nämlich die Bibliothekare. Die Mächtigen sind die Politiker. Macht - sei es am Arbeitsplatz oder in der Regierung - hängt von positiven (und negativen) sozialen Fähigkeiten ab: Charakterstärke, die Fähigkeit, Kompromisse zu schließen, Mut, Führungsqualitäten - aber auch Schläue, Skrupel- und Hemmungslosigkeit, sich wie eine Fahne nach dem vorherrschenden Wind zu drehen. Das alles kann man nicht von einer Website herunterladen. Clifford Stoll: "Wie heute werden auch die Jobs in der Zukunft soziale Fähigkeiten erfordern - und in jeder Minute, die wir an der Tastatur sitzen, verkümmern diese Fähigkeiten."

Die USA verabschieden sich möglicherweise bereits von der Laptop-Begeisterung im Klassenzimmer. Ein anregender Gedanke für das nachahmungssüchtige Europa.

1) Das Zertifikat des Europäischen

Computerführerscheins wird nach entsprechender Prüfung u. a. vom WIFI vergeben.

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