"Misthaufen mit Perlen"

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Wie der Informationsgesellschaft kritisches Denken und Kreativität abhanden kommen. Eine medienkritische Polemik von Joseph Weizenbaum.

Das Internet ist eigentlich ein Schrotthaufen und verführt Menschen zur Selbstüberschätzung. Wenn man es richtig ansieht, dann hat sich das Internet zu einem riesigen Misthaufen entwickelt, der Perlen enthält. Aber um diese Perlen zu finden, muss man auch die richtigen Fragen stellen. Gerade das fehlt den meisten Menschen, und viele können es gar nicht.

Die Illusion der schnellen Entwicklung von Computern und Internet ist, dass sich damit die Gesellschaft automatisch weiterentwickelt. Das tut sie nicht. Jeder ist immer erreichbar. Die ganze Welt beschleunigt sich, alles ist dringend, und wo alles dringend ist, ist nichts mehr dringend, und damit schlittern wir in eine Bedeutungslosigkeit hinein.

Computer ersetzen nicht die Kopfarbeit. Computer sind wie alle Instrumente nicht wertfrei, sondern erben ihre Werte von der Gesellschaft, in die sie eingebettet sind. In einer vernünftigen Gesellschaft erfüllen sie möglicherweise viele nützliche Funktionen, doch bis dahin müssen sie kritisch betrachtet werden. In einer hoch militarisierten Gesellschaft können sie auch Mordinstrumente sein.

Der Schaden, den der Computer potenziell zur Folge haben könnte, hängt weniger davon ab, was der Computer tatsächlich kann oder nicht kann, als vielmehr von den Eigenschaften, die das Publikum dem Computer zuschreibt. Man kann Computern zwar Fragen anvertrauen, die mit Intelligenz zu tun haben, nicht aber solche, bei denen es um grundlegende menschliche Eigenschaften wie Glaube, Liebe und Hoffnung geht.

Wir füttern die Illusion, dass wir in einer Informationsgesellschaft leben. Wir haben das Internet, wir haben die Suchmaschine Google - und damit haben wir die Illusion, uns stehe das gesamte Wissen der Menschheit zur Verfügung. Es ist jedoch klar, dass kein Computer dem Menschen die eigentliche Information liefern kann. Vielmehr ist es so, dass es auf die Arbeit der Interpretation im Kopf ankommt. Die macht aus den Zeichen, die Computer anzeigen, Information.

Ein weiteres Problem ist, dass wir auch meistens nicht die Zeichen kriegen, die für eine Entscheidung wichtig sind. Jeder Mensch denkt in seiner eigenen Sprache mit den dieser eigenen Nuancen. Die Sucht vieler nach englischen Brocken erzeugt dagegen Spracharmut, Sprachgulasch. Ideen können so nicht entstehen. Die wichtigsten menschlichen Errungenschaften sind jedoch, kritisch zu denken und wahrhaft zuzuhören.

Versteht man das, dann hat man auch eine andere Sicht auf die Einführung von Computern in Schulen. Das frühe Heranführen von Kindern an den Computer macht nur Apfelmus aus Gehirnen. Die Folge davon ist unter anderem, dass ein Großteil der Schüler und Schülerinnen, aber auch später der Studenten und Studentinnen auf den Universitäten nicht mehr kreativ schreiben kann. Es ist daher nicht verwunderlich, dass viele bereits Programmen das Zusammenstellen von Seminararbeiten überlassen. Selbst an den besten Universitäten kann ein Viertel der Studenten nicht schreiben.

Noch schlimmer als das Internet ist jedoch das tv. Das Fernsehen muss man als die größte kulturelle Katastrophe, die die Erde in der Zeit, an die wir uns erinnern können, erlebt hat, bezeichnen. Es führt zu einer kulturellen Passivität sondergleichen und ersetzt kritisches Denken und Entwicklung von Sprachfertigkeiten durch simple Ablenkung und seichte Unterhaltung. Das Fernsehen und auch der Computer, schrecklicher noch beide zusammen, sind eine Zeitfalle. Es geht dabei um die Zeit, die man davor sitzt, aber auch um die Gedanken, die einen begleiten, bis man schlafen geht und die auch am nächsten Morgen noch da sind. Da wird viel Potenzial und Talent verschwendet.

Will man eine Informationsgesellschaft mit Qualität, muss man auch qualitätsvolle Inhalte fördern. Die höchste Priorität aber ist es, Kinder ihre Sprache entwickeln zu lassen und ihnen eigenständiges Denken beizubringen.

Der Autor, 1923 in Berlin geboren, 1936 in die usa emigriert, war Professor für Computer Science am Massachusetts Institute of Technology (mit) und bezeichnet sich selbst als Dissident der Computerwissenschaft; er ist einer der Referenten bei der diese Woche in Wien stattfindenden Vorbereitungskonferenz für den un-Gipfel zur Informationsgesellschaft in Tunis im November d. J.

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