Klone - Geklonte Wissenschaftler 

Die überzogene Quantität

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Die Anzahl an Forschern ist explodiert, der Umfang an Wissen wächst – bahnbrechende Erkenntnisse bleiben dagegen aus. Blockiert sich die Wissenschaft selbst? Eine Analyse.

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Die Anzahl an Forschern ist explodiert, der Umfang an Wissen wächst – bahnbrechende Erkenntnisse bleiben dagegen aus. Blockiert sich die Wissenschaft selbst? Eine Analyse.

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Der amerikanische Gelehrte C. A. Truesdell hat für die Wissenschaft in unseren Tagen den Begriff ‚Plebiscience‘ geprägt. Das Wort ‚plebs‘ mag eine abfällige Konnotation haben, ist aber etymologisch mit dem Wort ‚viele‘ verwandt, sodass man Plebiscience als die Wissenschaft der Vielen verstehen könnte. Man kann die Forschung mit einer Entdeckungsreise vergleichen. Wenn Kolumbus mit seinen drei Karavellen aufbricht, so handelt es sich um eine riskante Reise, die aber viel erbringen kann. Es war ein richtiger Entschluss der spanischen Könige, ihn dabei zu unterstützen. Wenn man in dieser Analogie bleibt, so hat man heute ein Heer von Kapitänen, die mit ihren Karavellen endlose und langweilige Runden in den Weltmeeren auf Kosten des Steuerzahlers drehen. Als Mittel gegen die Arbeitslosigkeit ist dies gewiss sinnvoll. Vielleicht entdeckt der eine oder die andere doch noch ein kleines Inselchen. Doch eine zu große Menge von Forschern droht zu einem Hindernis für die Weiterentwicklung der Wissenschaft auszuarten.

Die rasante Entwicklung der Physik mit Relativitätstheorie und Quantenmechanik, die Atombombe und der Sputnik bewirkten die massive Förderung der Naturwissenschaften, was zu einer Explosion der Anzahl von Wissenschaftlern führte. Wurden früher wissenschaftliche Durchbrüche durch einzelne Individuen herbeigeführt, wird Wissenschaft heute in Gruppen entwickelt. Begriffe wie Kooperation, Synergie, Forschungscluster, Sonderforschungsbereiche u. ä. sind heute vorherrschend in der Forschungspolitik. Da aber die Größe von Gruppen beschränkt ist (nach der sogenannten Dunbar-Zahl kann ein Mensch bis zu ca. 150 Freunde haben), zerfällt die Menge der Wissenschaftler zwangsläufig in einzelne Gruppen mit jeweils eigenen Paradigmen, Codes, Autoritäten, Konferenzen, Zeitschriften, kurzum mit ihren eigenen Wahrheiten. Deren Lebensdauer ist beschränkt und fällt in etwa mit derjenigen ihrer Protagonisten zusammen. Es wird also nicht so lange geforscht, bis die endgültige Antwort auf die gestellte Frage gefunden wird. Vielmehr erlischt langsam das Interesse daran bzw. erstickt eine Theorie in dem von ihr geschaffenen Chaos. Jüngere Forscher wenden sich neuen, modernen Themen zu.

Auch der Umfang des Wissens wächst, wobei es selten gelingt, ihn durch vereinheitlichende Formeln zu reduzieren. Man sollte meinen, dass die Wissenschaft über Instrumente verfügt, Ballast abzuwerfen und das falsche bzw. veraltete Wissen zu erkennen und auszusondern. Die Falsifizierung einer Theorie gelingt aber selten, oft geht sie im Dickicht unverständlicher Formulierungen und fehlerbehafteter Versuche unter. Einzelne Themenbereiche werden als Reviere betrachtet, die von Autoritäten regiert werden. Wie das Zwitschern der Vögel bezwecken wissenschaftliche Veröffentlichungen oft nur das Verteidigen eines Reviers. Bei der Autoritäten geht in erster Linie um die Etablierung und Vermarktung von Markennamen d. h. Namen von Berühmtheiten, welche die relevanten Fragen, Trends und Paradigmen prägen. Überzogene Quantität ist also oft ein Merkmal schlechter Wissenschaft und liegt etwa vor, wenn ein Wissenschaftler zu viele Veröffentlichungen publiziert.

Monetäre Mittel via „Matthäus Prinzip“

Berühmte Wissenschaftler werden von den Evaluatoren bewundert, eben weil sie berühmt sind, und dementsprechend werden sie mit Forschungsmitteln überhäuft. Damit können sie dann ihren Ruhm ausbauen. Dies ist als ‚Matthäus-Prinzip‘ bekannt („Wer hat, dem wird gegeben“) und ist genau derselbe Mechanismus, der die Blasen in der Börse entstehen lässt. Es handelt sich um positive Rückkopplung: Die Folge einer Wirkung verstärkt ihre Entstehung. Das Prinzip der Evaluation ist ehrenwert: Ebenbürtige Forscher (sogenannte peers) sollen ihre Kollegen beurteilen.Dies erfolgt entweder direkt oder indirekt über Agenturen, welche ‚wissenschaftliche Zeitschriften‘ heißen.

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