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Denkt bald nur noch der Computer?

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Die Informationsgesellschaft: Lieblingskind der Futurologie. Wird dieses Schlaraffenland voller Bildschirme mit einem „Verlust des Denkens” nicht zu teuer erkauft?

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Die Informationsgesellschaft: Lieblingskind der Futurologie. Wird dieses Schlaraffenland voller Bildschirme mit einem „Verlust des Denkens” nicht zu teuer erkauft?

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„Ich beginne diese Untersuchung mit beträchtlichem Respekt vor den vielen nützlichen Dingen, die Computer leisten können, und nicht von einer Position doktrinärer Technophie aus.” So kennzeichnet Theodore Roszak seine Grundeinstellung.

Warnen möchte er aber vor den überzogenen Ansprüchen und Hoffnungen, die allseits mit dem Vordringen des Computers einhergehen. Da ist zunächst das Mißverständnis bezüglich des Grundmaterials der Datenverarbeitung, der Information: Im normalen Sprachgebrauch bedeutet das Wort Botschaft, also eine Aussage, deren Inhalt Bedeutung zukommt. Nicht so im Bereich der Computerwissenschaft.

Da sind die Inhalte nebensächlich. Es geht vor allem um den technischen Umgang mit Zeichen. Roszak illustriert das an folgenden drei Informationen:
E s M.C
Jesus ist Erlöser
Die schlichten Töven wirrten und wimmelten in Waben.

Drei Informationen, die der Computer absolut gleichbehandelt: Eine mathematische Gleichung, eine tiefste existentielle Wahrheit und drittens schlichter Nonsens werden um der mathematischen Handhabbarkeit wil-

len über einen Leisten gespannt. In der Kybernetik ist sinnloser Kauderwelsch Information, solange er richtig übertragen wird. Die Folge: Inhalte verlieren an Bedeutung.

Dieser Prozeß ist dank des technischen Fortschritts weltweit im Gange. Die enorme Beschleunigung und Verkleinerung der Apparate sowie ihr Anschluß an ein weltweites Telekommunikationsnetz haben diesen einmaligen Siegeszug begünstigt. Das verleiht dem bescheidensten Personalcomputer „in den Augen mancher Enthusiasten die Dimension eines globalen Gehirns”.

Wie nie zuvor wandern heute „Informationen”, eigentlich elektronische Impulse, über die Erde, „Doch, was die Menschen mit Hilfe dieser Technologie einander zu sagen haben, weist keine vergleichbare Entwicklung auf.” Oft verkehren Maschinen mit Maschinen, etwa Raketen mit Radarschirmen. Viel Information — wenig Botschaft.

Einen weiteren wichtigen Aspekt hebt Roszak hervor: Das Computerdenken wird auf den Menschen übertragen. Es fing mit der Entschlüsselung des genetischen „Codes” (1952) an. Von da an begann man, „das DNS-Molekül weltweit als eine Art winzigen kybernetischen Apparat zu betrachten ...”. Der Computer diente als Modell für die Revolution, die in der Biologie einsetzte. Man beschränkte die Analogie nicht nur auf den Vererbungsmechanismus.

Bald „sprachen schon ganz normale Leute mit größter Selbstverständlichkeit davon, daß auch ihr Geist und ihre Psyche .programmiert' seien. Die Menschen begannen sich selbst als Maschinen, als Biocomputer zu begreifen”.

Dies vermittelte dem Computer ebenso eine mystische Aura wie der Umstand, daß er manche Fähigkeiten des menschlichen Geistes „besaß”. Mit dem Computer „spricht” man. Er „versteht”, „stellt Fragen” und „beantwortet” sie, „erinnert” sich, „weiß”... Und manches scheint er sogar besser zu wissen als der Mensch. Vor allem aber: Er macht niemals Fehler. Wenn sich einer irrt, dann ist es der Programmierer ...

So erscheint die Maschine vielen besser für die Welt von morgen gerüstet zu sein als der Mensch. Viele Computerwissenschafter erwarten sich auch die tollsten Wunder von zukünftigen Entwicklungen. Roszak zitiert:

Superintelligente Maschinen „werden uns in die Lage versetzen, alle praktisch lösbaren Probleme zu lösen, vielleicht den Weltfrieden erreichen, das Elixier des Lebens ...” Oder: „Die Unterscheidung zwischen menschlichem Denken und Maschinendenken wird nicht länger haltbar sein.”

Sicher gibt es Ähnlichkeiten zwischen menschlichem und maschinellem Umgang mit Daten: Computer können Daten speichern, ahmen also das Gedächtnis nach und ersetzen Karteien und Ordner. Weiters können sie Daten verarbeiten, sortieren und klassifizieren, imitieren damit Fähigkeiten der menschlichen Vernunft und ersetzen Rechenschieber oder -maschinen.

Aber damit ist doch nicht erfaßt, was den menschlichen Geist ausmacht! Denn „der Geist denkt in Ideen, nicht in Informationen”, hält Roszak fest. Auf Ideen komme es aber an, weil nur sie Antwort auf die Fragen nach dem Sinn und Stellenwert von Mensch und Welt geben. Erst im Rahmen einer Ideenwelt wird ein Faktum zur Information. „Der Primat liegt bei den Ideen, denn Ideen definieren, enthalten und erzeugen schließlich Informationen.”

Das gilt es, nicht aus den Augen zu verlieren, sonst kommt es zu den vielen Übertreibungen, die aus der Maschine das Allheilmittel machen. Etwa beim Einsatz im Unterricht: Da werden Lehrprogramme entwickelt, die nur bei enormem Aufwand halbwegs anspruchsvoll sind. Und dabei fragt man sich: Gibt es zu wenige Lehrer, die unterrichten wollen?

Ähnliche Fragen richtet Roszak an die massiven Versuche, die amerikanischen Universitäten vollständig zu computerisieren: „Ohne daß sie ihr Wohnheim verlassen müssen, wird den Studenten der Katalog der Bibliothek zugänglich sein, sie werden ein schwarzes Brett anzapfen können, um Tips und Klatsch auszutauschen. Ihre Hausarbeiten werden sie elektronisch an ihre Lehrer übermitteln können. Ja, all diese Dinge und noch ein Dutzend mehr können computerisiert werden, aber warum sollten sie es?”

Oder die Visionen vom vollautomatisierten Heim: Man kauft ein, liest Zeitung, wickelt Bankgeschäfte ab oder spielt- alles nur mehr vor dem Bildschirm! „Smart houses” heizen und kühlen selbsttätig, Lichter schalten sich bei Betreten oder Verlassen von Räumen automatisch an und ab, sprechende Geräte geben Tips für ihren Gebrauch ...

Alvin Tofler sprach vom elektronischen Sex und Steven Jobs, Begründer der Computerfirma „Apple”, erwartet noch in diesem Jahrhundert den „Ubergang vom Computer als Dienendem zum Computer als Führendem und Handelndem”.

Spätestens bei diesen Träumereien muß entschieden auf das Ideologische an diesen Entwürfen hingewiesen werden. Denn die Einführung von elektronischer Datenverarbeitung ist nicht ideologiefrei —trotz des Anstrichs, den sie sich vielfach gibt. Jede datenverarbeitende Maschine verwendet nämlich Software (programmierte Handlungsanweisungen).

Und in dieser Software kommen auch Ideen zum Zug, die letztlich das Geschehen bestimmen. Und damit ist sie wertgeladen. Selbst Videoprogramme, mit denen Kinder spielen, sind wertgeladen: Rücksichtslose Konkurrenz und Zerstörung sind oft das Leitmotiv: „Gewinnen ist das, was zählt, töten ist das, was gewinnen hilft.”

Uberall, wo gesunder Menschenverstand und natürliche Sprache am Werk sind, merkt man den Computerstrategen ebenfalls Ratlosigkeit an. Alltägliches Geschehen ist nämlich weitaus komplexer als etwa das Schachspiel. Aufgaben wie: Hole in der Früh die Zeitung aus dem Briefkasten und richte es so ein, daß du bei Regen nicht naß wirst, übersteigen die Fähigkeiten der Maschinen.

Es gibt offensichtlich einen fundamentalen Unterschied in der Art, wie Menschen denken und wie Computer dies zu simulieren versuchen. Hüten wir uns vor der Gefahr, stellt Roszak fest, daß in unserer Welt nur mehr das zählt, was die Maschine kann, und daß wir all das abwerten, was der Mensch darüber hinaus vermag.

Wichtig ist schließlich der Hinweis, daß die Elektronik zweifellos nicht das wäre, was sie heute darstellt, wenn es nicht ganz massive militärische Investitionen in diesem Bereich gegeben hätte. „1985 gab das Pentagon volle 40 Milliarden Dollar (mehr als 500 Milliarden Schilling) für Elektronik aus”, gibt Roszak eine Größenordnung an.

Und diese militärischen Interessen prägen auch die Grundideen der Computertechnologie: „... Druck in Richtung Rationalisierung, Disziplinierung und letztlich Entmenschlichung der Arbeit gehört zu den Grundpfeilern der Informationstechnologie.”

So gesehen, diagnostiziert Roszak auch, daß sich diese Technik ideal dazu eignet, die demokratischen Werte zu untergraben. Wer es als Erfolg feiert, daß moderne Telefonsysteme dem Kunden auf Anfrage eine Liste seiner Gesprächspartner zusammenstellen, sollte bedenken, daß sie dasselbe auch ohne Anfrage vermögen.

Grundsätzlich ist die Frage zu stellen, ob wir uns noch weiter in die Abhängigkeit von Apparaturen begeben sollen. Wir hieven immer noch dieses Werkzeug des Menschen in Positionen und Funktionen, die zu bedeutend sind, um sie stereotypen, anfälligen, schwer durchschaubaren Mechanismen zu überantworten. Sonst wird die Primitivität der Maschine zum Maßstab für das, was menschlicher Geist darf.

DER VERLUST DES DENKENS. Von Theodore Roszak. Verlag Droemer Knaur, München 1986. 335 Seiten, öS 232,40.

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