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Was ist Unterwasserforsdiung?

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Seit der Gründung unserer „Arbeitsgemeinschaft für Unterwasserforschung“ an der Wiener Universität und den Vorbereitungen zu unserer wissenschaftlichen Forschungsreise ins Mittelmeer 1948 ist eine Vielfalt von Zeitungsberichten und Reportagen darüber publiziert worden, die unter dem Namen der Wissenschaft „Unterwasserforsdiung“ leichthin Einzelereignisse und Aktualiäten verbreitet haben. Wir halten es jedoch mehr für unsere Pflicht, die tieferen Gründe unserer Anstrengungen darzustellen, den Titel überhaupt zu rechtfertigen und die aktuellen Aufgaben mit offenem Worte zu vertreten.

Als Anfang 1947 Universitätsprofessor Marinelli den Begriff „Unterwasserforschung“ prägte, standen wir an einem neuen Abschnitt unserer Arbeiten, eingeleitet und ausgelöst durch eine Reihe von Programmen, welche wir der Universität Wien vortrugen. Dieser Begriff sollte nicht mehr als die VoiStellung beinhalten, daß eine Methode direkter Untersuchungen als Taucher gewissen Forschungsrichtungen der Hydrobiologie durch eigene Ergebnisse ergänzend zur Seite gestellt werden könnte. Unter „eigenen Ergebnissen“ dürfen wir nur solche verstehen, welche neu und nur mit der bezeichneten Methode gewonnen, mit den Erkenntnissen modernster Hydrobiologie zu konkurrieren vermögen.

Gegeben war das achtunggebietende Gebäude moderner Hydrobiologie. Ein Fachgebiet, das Legionen förderlichster Methoden entwickelt hatte, Ergebnisse eines hundertjährigen Prozesses. 1850 versorgt Professor Edwards die französische Akademie erstmalig mit Material, das er als Taucher sammelte. 1880 Doktor Berthold, der seine Algenstudien im Neapler Golf durch direkte Betrachtung der Felsgebiete ergänzt. 1924 Prof. Beebe (New York). Er ist der erste, der unter dem Meere photographiert, mit neuen Methoden sammelt und für jeden begeisternd über seine Eindrücke berichtet. Den nächsten Schritt, den wir erwarten, unternimmt er nicht. Die Frage, ob es von Wert und überhaupt durchführbar sei, biologische Forschungen im Meere selbst vorzunehmen, scheint unversucht, fast negativ beantwortet. 1930,

die erste wissenschaftliche Arbeit über geschauten Meeresgrund. Dr. G i s 1 e n (Schweden) waren die Fehlleistungen seines „Bodengreifers“ aufgefallen und er schafft dessen Arbeit in der Tiefe mit eigener Hand. Bald darauf arbeitet Doktor Wasmund in ähnlicher Weise für die deutsche Akademie. Eben ist eine Arbeit von unserem Landsmann Dr. H a ß erschienen, der schon bedeutende Arbeit zur Verbreitung des Unterwassersports leistete. Er berichtet über eine Tiergruppe, die ohne Tauchgerät schwer unbeschädigt zu erhalten ist. Es war damit gesichert, daß der Taucher wertvolles Material zu verschaffen vermag. Aber „Forschung unter Wasser“ mußte als Hypothese gesetzt bleiben, wollten wir den Boden der Wahrheit nicht in prahlerischer Weise verlassen. ;

Sollte sich Unterwasserforsdiung bewähren, so nur auf Gebieten, wo es sinnvoll war, das Tier in seinem eigensten Lebensraume zu studieren, oder in Fällen, wo die Beziehung zwischen Tier und Lebensraum selbst untersucht wird. Es handelt sich hier erstens um die Gebiete der Sinnesphysiologie und Psychologie (jeweils Umwelt- und Gesellschaftsforschung einbeschlossen) der Meerestiere, zweitens um den Komplex mariner Ökologie und Biozönosenforschung. Im ersten Falle mußte entschieden werden, ob der Vorteil, ein ungestörtes J?) Tier vor sich zu haben, nicht durch praktische Schwierigkeiten zerschlagen werde, im letzteren, ob die Beziehungen zwischen Lebensräumen, Tieren und Klimaten sicherer als Taucher als durch die Verwendung der bisher besten Methoden durchzuführen sei.

Die erste Arbeitsphase bestand in der Zusammenstellung der hier möglichen Fragestellungen. 20 Dozenten und Kandidaten des zoologischen Instituts stellten ein Jahr lang Arbeitskraft, Ideen und kritischen Geist zur Verfügung. Etwa 1000 der modernsten Arbeiten wurden durchgearbeitet, ihr weiterer Ausbau durch die neue Methode diskutiert und in Protokollen niedergelegt. Die praktischen Expeditionsvorbereitungen kosten acht Mann zwei Jahre Arbeit und einem von uns fast das Leben. Wir ließen uns von dem Gedanken leiten, die modernsten und vollkommensten Methoden der Taucherei zu erproben und zu verbessern, um keine Chance preizugeben. Unerbittliche Grenzen setzte nur materielle Not. So mußten Ultraschallsender und geheizte Kombinationen zurückbleiben. Im September 1948 verließen wir Österreich als erste 'Forschungsreisende nach dem Kriege. Biologen: Riedl, Rille und W i e s e r, begleitet von den Technikern C e c h und Herrdegen sowie dem Expeditionsmaler Prinz.

Vorerst wurde einige Monate im Neapler Golf gearbeitet, mit Hilfe der berühmten Meeresstation der beste Ort, um unser Programm einer scharfen Prüfung zu unterziehen. Systematisch wurden die Aufgabengebiete unserer Forschungsmethode geprüft und mit 50 Fachgelehrten aller Welt diskutiert. Wir wurden uns klar, daß der Komplex Physiologie - Psychologie nicht geeignet war, durch Forschung unter dem Meere weitergebaut zu werden, wollten die Ergebnisse kritisch geprüft und der Aufwand in beiden Fällen ehrlich verglichen sein. Das tierpsychologische Experiment, die stundenlange Verfolgung und störungsfreie Beobachtung eines Fisch-

Schwanns oder die Leistungsprüfung ihrer Sinnesorgane macht Schwierigkeiten, die nur mit größtem Arbeitsaufwand bescheidenste Ergebnisse zeitigen. Rein akzessorisch, aber neu und gesichert blieb meist jener Beobachtungs-rest, der das Milieu selbst mit in die Fragestellung einbeschloß: über Wohnhöhlen, Wechsel, Gemeinschaften, Verhaltenskorrelate zu submersen „Klima“-Insulten usw. Als wir uns nun der Ökologie und der Biozönoseforschung zuwandten, jenen Komplexen, deren Forschungsobjekt nun selbst die Beziehung zwischen Tierbevölkerung Und- Lebensraum, oder der Tiergesellschaften untereinander ist, konnte mit einer Exaktheit und Sicherheit gearbeitet werden, die den kühnsten Hoffnungen entsprach. Große Fragenkomplexe konnten lückenlos bearbeitet werden, die der Meeresbiologie überhaupt hätten versagt bleiben müssen. Man bedenke, daß die Felsgebiete der Meere (in der Größe eines Kontinents) einer quantitativ exakten, selbst der qualitativ klein-räumigen Erforschung verschlossen waren. Räume, die ein unvergleichlich dichtes Lebensgedränge und eng geschachtelt die aufschlußreichsten Zonen, Klimaten und Spezialisationen bergen. Man bedenke, daß der Wissenschaft noch nie der (unvorstellbar reiche) Bestand einer submersen Höhle mitgeteilt werden konnte.

Anfang 1949 brachen wir von Neapel auf. Die nun konkrete Aufgabe unserer Forschungsreise: „Vergleichend ökologische, Untersuchungen an litoralen Hartbodengebieten des Mittelmeers“ führte uns in einem Nord-Süd-Querschnitt vom Genuesischen Golfe bis zu den nordafrikanischen Inseln. In den einzelnen Tauchlagern wurden die Zonierungen und Lebensgemeinschaften aufgenommen, die Biozönosen im Lupenbereiche photographiert, Meßstationen am Meeresgrunde errichtet, Höhlen mit Scheinwerfern erleuchtet und vermessen, Hunderte von exakt bestimmten Flächenproben entnommen und ihre Besiedlung und Umweltbedingungen, ihre Wechsel und Zusammenhänge bestimmt. Nach 14 Monaten kamen wir in die Heimat zurück, Unser Ziel in diesem Abschnitte ist erreicht, wenn wir der Wissenschaft die Ergebnisse unserer Ausarbeitungen als Rechtfertigung und Anregung vorgelegt haben. Wir haben die Überzeugung gewonnen, daß der Unterwasserforschung ökologisch die unglaublichsten Möglichkeiten offenstehen, sie selbständig und überaus leistungsfähig zum unentbehrlichen Forschungsmittel moderner Biologie werden wird. Ich behaupte aber, daß diese Methode auf den anderen, skizzierten Gebieten mit dem heutigen Stande dieser Forschungsrichtungen nicht wird konkurrieren können, wenn wir Romantik aus der Beurteilung von Forschungsergebnissen auch weiterhin fernhalten wollen, und Aufwand und Ergebnis das Niveau der mühsam errungenen Rationalität nicht verlieren soll. Unser Freund Dr. Dahl (Schweden) kam eben mit gleichen Ergebnissen aus Chile zurück, und Dr. Drach (Frankreich) arbeitet gerade im Amazonasdelta. Wenn wir Binnenländer eines armen Landes als erste zu einer solchen problematischen Expedition aufbrachen und mit vollem Erfolg zurückkehren konnten, so gelte das als anspruchsloser Versuch, an die Tradition unserer Naturforschung mit bescheidenen Kräften anzuschließen.

Die Schwierigkeiten haben sich längst verlagert, Film und Jagd sind an allen zivilisierten Küsten verbreitet. Die methodischen Grundlagen sind fern einer limitierenden Problematik. Die Ökologie benötigt aber als synthetische Wissenschaft ungemeinen Aufwand von Einzelleistungen. Nur Forschungs gemein-s c h a f te n von Hydrographen, Biochemikern und spezialisierten Biologen werden diesen großen Aufgaben gerecht werden. Dutzende Höhenforschungsinstitute in aller Welt (um Bombenflugzeuge höher und rascher fliegen zu lassen) verschlangen Gelder, deren geringster Bruchteil' der Unterwasserforsdiung die Basis zu unglaublichsten Leistungen gäbe. Gerade heute täte es not, das zu erkennen. Die Zusammenarbeit einer Meeresstation mit einem fahrbaren Tauchlabor und den Möglichkeiten einer Universitätsstadt im Rücken, den Biologen mit Technikern und Atemphysiologen, die intensive Zusammenarbeit der vielen Kräfte, die den Fortschritt der Forschung zu fördern vermögen, muß erreicht werden, soll diese neue Forschungsmethode ihren Platz in unserer Zeit füllen und ihrer Aufgabe gerecht werden.

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