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Konrad Wachsmann zählt zu den bedeutendsten Persönlichkeiten des heutigen Bauens. Seine Entwicklung vollzog sich in enger Nachbarschaft mit Le Corbusier, Mies van der Rohe und Walter Gropius. Während seine Freunde mit großen Bauaufgaben und Planungen ihr Werk abschließen, ist Konrad Wachsmann „noch immer“ mit der Erforschung der Grundlagen für das Bauen von heute beschäftigt. Der Gründlichkeit seines Denkens ist die Willkür der formalen Entscheidungen, die das moderne und das modernistische Bauen beherrschen, schon lange fragwürdig geworden. Sein klares und detailliertes Wissen um die Entwicklung der Baukunst, ihre Voraussetzungen und die daraus zu ziehenden Konsequenzen, räumen ihm für die Zukunft des Bauens eine ähnliche Bedeutung ein, wie die Anton von Weberns für die Musik.

Seit seinem ersten Vortrag in Wien sind zwei Jahre vergangen. Seine Wirkung glich einer Erschütterung. Die Gewichtigkeit seiner Argumente und die Bestimmtheit der daraus resultierenden Forderungen lösten die heftigsten Diskussionen aus. Er sprach, ohne die Begriffe der Architektur und der Aesthetik zu gebrauchen, weder von „Raumerlebnissen“ noch von „inhumanen Sesseln“, er machte Faktoren für das zukünftige Bauen verantwortlich, die der Architekt als „freies, schöpferisches Individuum“ bis jetzt peinlich vernachlässigt hatte oder aus den Umständen, die zum sofortigen Realisieren drängen, vernachlässigen mußte.

Nach diesem ersten Vortrag folgte eine kurze Tagung mit Professoren und Fachleuten auf dem Semmering. Dann zwei Seminare im Rahmen der „Internationalen Sommerakademie für bildende Kunst“ in Salzburg. Damit hat der „Sokrates der Baukunst“ auch in Oesterreich Kontakt mit der Jugend gefunden. Sein Element der Annäherung an die Probleme ist die Frage. Es gibt nichts Fragunwürdiges. Die kleinste Tatsache kann eine große Bedeutung haben. Es gibt keine Faktoren, die man von vornherein ausschließen kann- Die Entscheidungen fallen spät. Damit berühren-; rl*ir dien-j}Äblmaiik der. Gemeinschaftsarbeit, die für die Aufgaben unserer Zeit eine bedingungslose Voraussetzung ist.

Bevor wir aber darauf näher eingehen, sei noch versucht, die Grundanliegen Wachsmanns vorzustellen, um die Mißverständnisse, die die Gleichzeitigkeit der Ausstellungen „Le Corbusier“ in der Akademie der bildenden Künste und der Ausstellung „Bauen in unserer Zeit“ in der Galerie Würthle hervorgerufen haben, einigermaßen zu klären. Es handelt sich nicht um Gegensätze einer Architektursprache, wie man sie zum Beispiel mit Mies van der Rohe und Frank Lloyd Wright aufstellen könnte. Wachsmann selbst ist immer wieder bemüht, zu betonen, daß wir vorerst gar nicht an Architektur denken sollen. Das Bauen ist heute in einer Situation (im Gegensatz zu anderen Gebieten), wo von einer Klärung der Mittel, einer Sichtung der Möglichkeiten und einer Bestimmung ihrer Elemente noch gar nicht die Rede sein kann. Von einem freien Einsatz dieser

Mittel, also ihrer Beherrschung, also von Architektur, sind wir noch weit entfernt. Wenn die vorläufigen Ergebnisse von längeren oder kürzeren Teamarbeiten schon Ueberraschungen und eine bestimmte Aesthetik zeigen, so ist das nur ein erfreuliches Nebenprodukt. Die genialen subjektiven Leistungen (denen wir zum Beispiel bei Corbusier begegnen) tragen vorläufig eher zur Verwirrung als zur Klärung der allgemeinen Ziele des Bauens bei. Diese Tatsache ist bei ihren Epigonen überall sichtbar.

DIE THESE VOM WERKZEUG

Der Mensch trat in die Geschichte, als er begann, seine Umwelt zu verändern. Dies geschah mit dem Werkzeug. Der Grad der Veränderung ist von ihm abhängig. Das Werkzeug ist also das Produkt seines jeweiligen Gesamtwissens. Und gleichzeitig die Formulierung seines Anspruchs. Dieser Anspruch deckt sich mit seinem Wesen.

Das Material bedingt die Beschaffenheit des Werkzeugs und die Methode der Bearbeitung. Der Mensch entwickelte schon früh besondere Materialien für seine Werkzeuge. Die ersten Perioden der Geschichte sind nach ihnen benannt. Die Entwicklung von Material und Werkzeug hat sich unausgesetzt fortgesetzt. Das Werkzeug unserer Zeit ist die Maschine. Sie bringt eine Fülle von Faktoren mit, die ihr Produkt von dem des Handwerks wesentlich unterscheiden.

DAS ELEMENT

Das Bauen hat sich immer mit Elementen vollzogen. Einfache Elemente waren der Stein und der Baumstamm. Ihre Addition rief bereits viele Probleme des Fügens und Verbindens hervor, die von den Eigenschaften ihres Materials, als der Möglichkeit ihrer Beanspruchung und Bearbeitung, abhingen. Ein bereits hochentwickeltes Element war zum Beispiel der Ziegelstein. Sein Material hat bereits durch den Brand eine große Veränderung erfahren: relative Festigkeit, Beständigkeit und Leichtigkeit, Für seine GrÜJ&fc' und sein Gewicht waren die Faktoren der Transportierbarkeit und Handlichkeit verantwortlich. Seine Form (Höhe, Länge und Breite) war das Ergebnis der dreidimensionalen Addierfähigkeit mit Rücksicht auf die statische Notwendigkeit des „Bindens“. Die Addition von Elementen wirft die Probleme der Endstellen, Ecken und Abzweigungen auf. Die daraus entstehenden Ordnungsprinzipien (die Ziegelverbände, das Grundwissen jedes Maurerlehrlings) waren der Ausgangspunkt dieses Bauens.

Wie die Elemente' der künftigen Bauwerke (wenn dieser Begriff noch Gültigkeit haben wird) aussehen, die das Bedürfnis nach Flexibilität, Leichtigkeit, die als Produkt einer präzisen Maschinenarbeit alle Möglichkeiten neuer Materialien nutzend, beliebig multiplizierbar, aussehen werden, kann vorläufig nur eine Frage bleiben.

Hier ist vielleicht der Punkt, etwas über die Schönheit von Bauwerken zu sagen, die aus

Elementen entstanden sind und einfach durch die Reinheit der Mittel Schönheit besitzen. Wir brauchen nur an unsere gezimmerten Bauernhäuser zu denken, die nicht mehr an sich haben als die Ordnung der Elemente, aus denen sie gemacht sind.

Wir dürfen nicht den Fehler begehen, das Element als isolierten Teil einer sich zufällig einstellenden Ganzheit zu denken. Mit dem Element ist bereits die Ganzheit entschieden, das heißt die durch Zusammensetzung erreichbaren Möglichkeiten. Die Tatsache, daß die Addition und Multiplikation von neuen Elementen Ergebnisse zeitigen, de nicht mehr visuell vorherbestimmbär sind, zeigt nur mit größerer-DeVtlichklir-“ dte •'Fragwürdigkeit aller illusionistischen Darstellungsmittel.

Der Vorwurf, der Konrad Wachsmann oft gemacht wird, in seiner Arbeit das Kleine, das Detail in den Vordergrund zu stellen und nicht die „Idee“, die „Gesamtkonzeption“, beruht auf einem Irrtum. Die großen Konzeptionen der Vergangenheit, die uns als Bauwerke oder Entwürfe erhalten geblieben sind, waren jeweils getragen von einer handwerklich fundierten, bis ins Detail gefestigten Baukultur. Kleinste Aende-rungen haben oft Jahrhunderte beansprucht. Diese Situation hat den großen Meistern die Souveränität in der Beherrschung ihrer Mittel erlaubt. Für das heutige Bauen ist sie erst zu schaffen. Die großen Architekturversuche unserer Zeit stehen im Konflikt mit dieser Tatsache.

BAU- UND FORSCHUNGSZENTRUM

Für die Gebiete der angewandten Wissenschaften, der Industrie und der Technik, war es

von Anfang an eine Notwendigkeit, ihre Grundlagen in Arbeits- und Forschungszentren auszuarbeiten. Daß diese Zentren selbst für die entferntesten Gebiete der Wirtschaft impuls- und richtunggebend sind, ist bereits eine einfache Tatsache. Es ist daher unverständlich, daß gerade das Bauwesen, das fast mit allen Gebieten der Wissenschaft in Berührung kommt, von ihren Methoden in der Koordination der eigenen Probleme und Möglichkeiten so wenig angenommen hat. Die Vielfalt der Einflüsse, die bei der Herstellung des einfachsten Produktes auftritt, ihre Unüberblickbarkeit für den einzelnen machen das Team notwendig. Es entspricht“ dem Gesetz der Maschine, die' Vorarbeit für ein Produkt, die Entwicklung und Herstellung des Werkzeugs zur eigentlichen Aufgabe zu machen, während das Produzieren, das nur die Ausstoßung von Kopien des einen Originals ist, in seiner Bedeutung zurücktritt. Diese Verlagerung der Arbeitsgebiete, die in der Automation ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht, (Wird, wie es seit dem Auftreten der Maschine kontinuierlich geschah, nicht nur die ganze gesellschaftliche Struktur, sondern auch die Vorstellung vom Bauen grundlegend ändern.

Konrad Wachsmann hat diese Entwicklung schon vor Jahrzehnten erkannt:

„Wenn ich mich seit meiner frühesten Jugend ausschließlich für die Analyse der Methoden und den Einfluß von Wissenschaft und Technik, die in der praktischen Auswirkung den Begriff der Industrialisierung zur Folge haben, interessiere, dann tue ich das gewiß nicht um der Sache selbst willen oder um als perpetueller Erfinder' zu gelten. Ich habe früh einsehen .müssen, daß es die richtigen Werkzeuge noch nicht gibt, um mich als Bauender meiner Zeit, dem Standard unseres Wissens und Könnens entsprechend, auszudrücken. Gewiß würde ich mich lieber mit dem tätigen Bauen beschäftigen, so wie ich das- schon in einer früheren Periode getan habe; aber die Möglichkeiten ahnend, die noch nicht für einen generellen Zweck befreit sind, kann ich die Wirkungen den Ursachen nicht vorwegnehmen und muß alle verfügbare Zeit der Forschung widmen.“ (Aus „Baukunst und Werkform“, 1. Heft, 1957.)

Der Vorschlag, gerade in Oesterreich, in Salzburg, ein Institut zu errichten, das sich mit der Koordinierung und Auswertung aller für das Bauen maßgeblichen Faktoren befaßt, das ein Zentrum und eine Arbeitsstätte der besten Fachleute aus aller Welt sein soll, ist in seiner Bedeutung noch gar nicht abzuschätzen. Abgesehen von den Wirkungen auf die heimische Industrie, mit der das Institut in engem Kontakt stehen will, und der internationalen Tragweite dieses Unternehmens, würde dadurch Oesterreich seinen alten Platz in der Entwicklung des Bauens wieder einnehmen. Salzburg könnte der archimedische Punkt sein, von dem aus unsere Vorstellung vom Bauen aus den Angeln ge-boben wird.

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