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Selbsthilfe der Wissenschaft

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Eine Umfrage der Forschungsgemeinschaft für den Südosten und den Orient im Jahre 1948 bei österreichischen Gelehrten ergab, daß mehr als 300 wissenschaftliche Manuskripte ohne Publikationsmöglichkeit in den Schreibtischen verstaubten. Diese tragische Situation der österreichischen Forschung war daraus erwachsen, daß die wissenschaftlichen Gesellschaften, die früher eine große Zahl der Fachpublikationen übernommen hatten, durch das Sterben des bis dahin kulturtragenden Mittelstandes nun selbst in den Abgrund hilfloser Armut gerissen worden waren. Und in dem Maße, wie nun die Fachzeitschriften schrumpften, geriet auch der Austausch mit den kompetenten Organen aller Welt ins Stocken, so daß in den Reihen der wissenschaftlichen Periodica unserer Bibliotheken bald Lücken von ganzen Jahrgängen klafften und die einst kriegsbedingte Isolierung der österreichischen Wissenschaft sich uferlos fortzusetzen und jede weitere Forschung zu gefährden drohte.

Als damaliger Generalsekretär der Geographischen Gesellschaft unterbreitete ich dem Präsidenten Prof. Dr. H. Hassinger den Plan, die wissenschaftlichen Gesellschaften in einem Notring zusammenzuschließen und die österreichische Wissenschaft einer Selbsthilfe zuzuführen. Prof. Hassinger, der unverbesserliche Idealist, warf den vollen Einsatz seiner Persönlichkeit in die Waagschale: Den wissenschaftlichen Verbänden muß geholfen werden, und kommt keine Hilfe von außen, so werden wir uns selbst helfen. So kam es zur Gründung des Notringes der wissenschaftlichen Verbände Österreichs.

ES GIBT IMMER IDEALISTEN

Wir fingen ganz klein an. Hassinger gewann seinen Freund Prof. Dr. K e i 1, den damaligen Generalsekretär der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, dafür, eine konstituierende Versammlung einzuberufen, für die die wissenschaftlichen Verbände aus dem Telephonbuch zusammengesucht werden mußten, da die Ver-:einsberrörde die AnschflfferT Mehr bereitstellen konnte. In dieser Sitzung beschlossen die Vertreter von 30 gelehrten Gesellschaften, sich zu einer freien Organisation zu vereinen, um ihre Forderungen nachdrücklicher vertreten und durch gemeinsame Aktionen Kosten einsparen zu können. In einem Lande, wo man es durch die Parteien gewöhnt war, die Stimmen mehr zu zählen als zu wägen, wo also die Wissenschaft gern als die Stelle des geringsten Widerstandes behandelt wurde, sah sicb> der junge Notring genötigt, die Mitglieder der wissenschaftlichen Verbände zu einer Großkundgebung aufzurufen. Damals zählten zu den Gästen im vollbesetzten Auditorium maximum der Universität Wien Kardinal Dr. I n n i t z e r. Bürgermeister Dr. Körner und in Vertretung von Bundesspräsident Dr Renner sein Kabinettsdirektor (heute Kabinettsdirektor i. R. Kl a-s t e r s k y, der seit fast fünf Jahren schon dem Notring als Vorsitzender seine volle Arbeitskraft und die Fülle seines weitschauenden Erfahrungswissens widmet).

Der Notring darf sich rühmen, daß sich ihm von Anbeginn führende Wissenschaftler aller Disziplinen ehrenamtlich zur Verfügung gestellt haben. Verlor er Leitungsmitglieder, so geschah das fast nur durch den Tod — so bei Professor Hassinger selbst, dessen Leben im Dienst für den Notring tragisch durch einen Unfall endete, bei seinem von der Gesellschaft der Ärzte nominierten Nachfolger, Prof. Dr. F. Reuter, und bei dem ersten Vizepräsidenten, Landesschulinspek-tor Hofrat Dr. Becker, der mit mehr als 80 Jahren noch jugendlich initiativ in erster Reihe stand.

Da die angeschlossenen Verbände den jeweiligen Vorsitzenden nach ihrer Anciennität nominieren, sind bisher nur Gesellschaften von mehr als hundertjähriger Tradition zum Zuge gekommen: die Geographische Gesellschaft, die Gesellschaft der Ärzte, die Zoologisch-Botanische Gesellschaft, der Österreichische Ingenieur- und Architektenverein und der Verein für Geschichte der Stadt Wien.

Der Notring begann mit seiner Arbeit in einem Winkel der Räume der Geographischen Gesellschaft im Hause der alten Böhmischen Hofkanzlei auf dem Judehplatz. Seine Kanzlei arbeitet heute noch im selben Hause in drei Zimmern deren erstes schon, aller modernen Bürotechnik zum Hohn, fünf Mitarbeiter in teils geliehenen, teils vom Dorotheum erstandenen Möbeln beherbergt, während die beiden jungen Drucker im Keller arbeiten und die sieben Angestellten von Verlag und Setzerei ihren Saal mit Varityp- und IBM-Maschinen bei Sitzungen der Geographischen Gesellschaft räumen müssen.

DIE AKTIONEN

Als ersten bescheidenen Erfolg verbuchte der Notring, daß laut Erlaß der Postdirektion 62298/49 der Postdirektion keine Briefverzollung für Buchsendungen an wissenschaftliche Verbände mehr zu erheben sei. Dann fand der Notring, als die Wissenschaft bei der Aufteilung des Kulturgroschens leer auszugehen drohte, Verständnis beim Kulturamt der Stadt Wien, das seither für die vom Notring befürworteten wissenschaftlichen Publikationen einen fast Jahr um Jahr wachsenden Fonds bereitstellt. Es wurde vor zehn Jahren mit den Subventionen] beim absoluten Nullpunkt begonnen, und heute ist in Einzelbeihilfen, die nach ihrer Bewilligung durch die Generalversammlung jeweils in der österreichischen Hochschulzeitung verlautbart werden, bereits eine Gesamtleistung von 7,2 Millionen Schilling erreicht worden.

Die Hauptsummen fließen nach wie vor der Publikation wissenschaftlicher Arbeiten zu. Seine stolzeste Leistung sieht der Notring darin,daß heute keine Manuskripte wertvoller Forschungsarbeiten mehr in Schreibtischladen modern. Zum Selbstkostenpreis hat er den Druck von periodischen Mitteilungen verschiedener angeschlossener Verbände im eigenen Offsetverfahren übernommen, das er in bitterer Lehrzeit zwar nicht auf bibliophiles Niveau, aber doch zur guten Gebrauchsware entwickelt hat.

Eine von einem Verband als druckwürdig eingereichte, vom Fachreferenten befürwortete und von der Generalversammlung gebilligte Arbeit erhält eine Druckbeihilfe. Wird sie dem Notring selbst zur Herausgabe angeboten, so legt dieser sie erst den österreichischen Verlagsanstalten vor, da er im wissenschaftlichen Ver-legertum einen Helfer sieht. Erst wenn trotz der Subvention kein Verlag das Risiko dieser Publikation auf sich zu nehmen wagt, tritt der Notring selbst, gleichsam als Kapuziner unter den Verlegern, auf. Diese Bücher erscheinen zwar in kleiner Auflage, sichern dem Forscher aber das Bekanntwerden seiner Ergebnisse in der wissenschaftlichen Welt.

AUS DER NOT EINE TUGEND GEMACHT

Alle ihm von öffentlicher Hand zugewendeten Subventionen leitet der Notring treuhänderisch, also ohne jeden Abzug, ihrer Zweckbestimmung innerhalb der österreichischen Wissenschaft zu. Alle weiteren Beihilfen in nahezu gleicher Höhe und seine Regiekosten bringt er selbst auf. Eine reine Spendensammlung scheitert hierzulande freilich an der Gesetzgebung, die, zum Unterschied von der Gesetzgebung anderer Kulturländer, den Spenden für wissenschaftliche Gesellschaften die Steuerabzugsfähigkeit versagt. Deshalb begann der Notring im Jahre 1951, Schreibtischkal ender zu vertreiben. In den Bänden „Österreichische Forscher“, „Forschung und Alltag“ und „Ideen aus Österreich“ trat das Kalendarium schon mehr in den Hintergrund, und allmählich entwickelten sich die Jahrbücher, die in Beiträgen der besten — und niemals honorierten — Kenner Sondergebiete der österreichischen Kultur behandeln. „Österreicher als .-Erforscher der Erde“, „Österreichische Ärzte als Helfer der Menschheit“, drei Bände „Unica Austriaca, Schönes und Großes aus kleinem Land“ und, für 1961 bereits in Arbeit, „Österreichs Ordensstifte“, alle reich bebildert und von englischen sowie französischen Kurzfassungen begleitet, helfen einerseits wesentlich bei der Finanzierung der Notringsaktionen und künden anderseits in aller Welt von Österreichs kultureller Sendung.

Jeder angeschlossene wissenschaftliche Verband hat das Recht, einmal im Semester einen namhaften Gelehrten seines Faches auf Notringskosten zu einem Vortrag einzuladen. Diese Aktion, innerhalb derer schon 300 Ausländer aus allen Teilen Europas, ja selbst aus Übersee unser Land besucht haben, trägt wesentlich dazu bei, die Gefahr einer geistigen Isolierung zu mindern. Daß alle diese Gäste zugleich verpflichtet werden, auch im Rahmen der Volksbildung einen populärwissenschaftlichen Vortrag zu halten, geschieht aus der Einsicht heraus, daß die Forschung nur dann der Nation wirklich zum Segen gereichen kann, wenn das Volk durch gründliche Erwachsenenbildung für die Aufnahme von wissenschaftlichen Erkenntnissen empfänglich gemacht worden ist. Diesem Grundgedanken dient auch die Aktion „Vorführung wissenschaftlicher Filme“, die von Prof. Doktor M a r i n e 11 i geleitet wird. Sie wird gemeinsam mit dem Verband der Wiener Volksbildung durchgeführt. Die monatlich einmal vorgeführten Spitzenfilme aus allen Gebieten der Forschung werden jeweils von einem Referat eines maßgeblichen Kenners der Materie begleitet.

Was der Notring — nicht ohne Hilfe des Bundesministeriums für Unterricht — bisher zur Förderung von Forschungsvorhaben bereitstellen konnte, bildet wohl nur einen Bruchteil dessen, was — hoffentlich bald — ein Forschungsrat gewähren wird. Hier betrachtet sich der Notring ganz als Vorläufer. Eine wesentliche Aufgabe endlich erfüllt er als Verleger der von Professor D u d a ins Leben gerufenen und geleiteten „Österreichischen Hochschulzeitung“, die der österreichischen Wissenschaft und ihren Trägern als Sprachrohr und zur authentischen Information dient; vornehmlich dank ihrer Sondernummern über Österreichs Hochschulen und ihre Probleme erfreut sie sich steigendem Interesses.

ZIELSETZUNG

Von Prof. K i r s t e als Vizepräsidenten und den Professoren Egger, Kisser, Kersch a g 1 und C z i t a r y als Referenten betreut, war der Notring stets um engen Kontakt mit dem wissenschaftlichen Leben in den Bundesländern bemüht, was sich nicht nur in einigen dorthin abgezweigten Millionen dokumentiert. Ermuntert durch die anerkennenden Worte, die ihm jetzt zur Zehnjahrfeier der Herr Bundespräsident, der HerrJundes jnjsfcfc für LInterricht, der Herr Vizebürgeaneisiej fn Wien und der Herr Präsident der Akademie der Wissenschaften widmeten, und unterstützt von einem prominenten Beirat unter der Führung von Herrn Präsidenten Dr. Dr. h. c. Mayer-Gunthof, geht der Notring, abseits von jeglicher Politik, unbeirrt der schönsten Aufgabe nach: der Wissenschaft und Österreich zu dienen — solange für die wissenschaftlichen Verbände eben ein Not ring notwendig ist.

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