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Glaube und Wissenschaft

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Vor zwei Monaten, am 8. Oktober 1945, Wurde die Wiener Katholische Akademie eröffnet. Die wenigen Wochen ihres Bestehens haben genügt, um den Wienern diese durch die Initiative Kardinal-Erzbischofs Dr. Theodor Innitzcr ins Leben gerufene Institution, deren Ziel die Pflege der Wissenschaft aus katholischer Schau und die Förderung der Mitarbeit der gebildeten Katholiken an den Aufgaben der Kirche ist, wert und. vertraut erscheinen zu lassen. Die katholische Akademie ist aus dem Kulturleben unserer Stadt nicht mehr wegzudenken.

„Noch brannten die Trümmer von St. Stephan, als der erste Entwurf fertig vorlag.“ Diese Worte aus der Eröffnungsrede des Kardinals umreißen am unmittelbarsten die Stunde der großen, aber auch schöpferischen Not, in der die Akademie geboren wurde. Mit einem kleinen, unansehnlichen Apparat trat dieser Zeuge des ungebrochenen Lebenswillens des katholischen Wien ins D^ein, um binnen .kürzester Zeit sich zu einer blühenden Institution zu entfalten.

Zu Peter und Paul dieses Jahres gegründet, wurde die Akademie so aufgebaut, wie Prälat Schindler die Leo-Gesellschaft aufgebaut wissen wollte, deren Generalsekretär 1912 der damalige Universitättprofessor Dr. Innitzer geworden war*. D^e Akademie setzt die Traditionen des Wiener katholischen Bildungswesens im besten Sinne fort. Dem obersten Kirchenfürstcn Wiens standen bei der Verwirklidiung seines Planes eine Reihe von Mitarbeitern zur Seite, nidit zuletzt der Generalsekretär der Akademie, Professor Dr. Joh. Thauren S. V. D„ der Missiologe unserer .Alma mater, durch sein Fach schop -rufen, den weltweiten Sinn des Katholizismus in die Akademie hineinzutragen. Abt Dr. Hermann Peichl des Schottepstiftes, in dessen Räumen die Akademie untergebracht ist, und die beiden Professoren Dr. Petritsch und Dr. Kisser seien als die Helfer genannt, die dem Präsidenten .der Akademie, .Bischof Dr. Seydl zur Seite stehen.

Bildungshunger und Diskussion

Schon im ersten Semester ist die Hörerzahl auf über 900 gestiegen, unef) wie groß das Edio ist, das die Vorlesungen finden, zeigen die Aussprachen zwischen den Dozenten und den Hörern, die geradezu schon eine Selbstverständlichkeit geworden sind. Die Jugend, welche die Vorlesungen besucht, zeigt einen großen Hunger nach Wissen — übrigens eine AHgemeinerscheinung in Wien und darüber hinaus in ganz Österreich, die Gutes erhoffen läßt —, aber die verheerenden Wirkungen der vergangenen sieben Jahre zeigen sich doch auch mandimal in einem erschreckenden Ausmaße. Immerhin: der Gesamteindruck ist überaus positiv. Eine halbwegs ruhige Entwicklung vorausgesetzt, ist eine wirkliche Vertiefung des Profan Wissens in der Sicht katholischer Weltanschauung und auch eine wesentliche Verbreiterung der theologischen Laienbildung zu erwarten. Besonderes Interesse wird den soziologischen Vorlesungen und dem gescjjichtlidien Sektor entgegengebracht.

Interesse der Katholiken Westeuropas.

Im Tcofnmenden Sommersemester dürften bereits namhafte Vertreter d*e s Katholizismus aus England, Frankreich und Amerika die Wiener Akademie zu einem übernationalen Treffpunkt werden lassen.- Die Akademie wird dann in ihrem Bereich eine große österreichische Aufgabe zu erfüllen haben, eine Aufgabe übernationaler Verständigung aus dem Geiste echter Katholizität.

Auch dem Problemkreis K i r c h'e und Le ib e s k u 11 u r wird die Akademie im Sommersemester nähertreten. Zum Jahresende wird das Erscheinen eines wissenschaftlichen Jahrbuches vorbereitet. Am 14. Jänner wird eine große Pestalozzifeier stattfinden, die das pädagogische Problem unserer Zeit mittelbar zur Diskussion stellen wird.

Nichts kennzeichnet die Zukunftsaussichten der katholischen Akademie vielleicht besser als die Tatsache, daß sich die letzte österreichische Bischofskonferenz mit der Errichtung von Zweiganstalten der

Akademie in den Hauptstädten der Bundesländer beschäftigt hat. Die organische Vielgestaltigkeit unseres österreichischen Vaterlandes könnte ungeahnte geistige, seelische und künstlerische Kräfte wecken, die Idee der Akademie noch tiefer im Erdreich unserer Heimat Wurzeln fassen lassen.

Die geistige Krise der Gegenwart

Kürzlich sprach als Gast der Freien österreichischen Studentenschaft Professor Doktor Wladimir v. Sas-Zaloziecky über „Die geistige Krise der Gegenwart“.

Die Wurzel der gegenwärtigen geistigen Krise ist, wie der Vortragende ausführte, in dem jahrhundertelangen Säkularisierungsprozeß zu suchen, der Europa von der Transzendenz, von der religiösen Gebundenheit der Kultur und von ihren christlichen Grundlagen sich abwenden ließ'. Ein naturhafter Mystizismus von irrationaler Maßlosigkeit hat die Grundlagen des Geisteslebens zerstört und mit seinem Appell an die dämonischen Kräfte des Instinkts die Völker in ein Chaos hineingeführt, das im Nationalsozialismus geradezu furchtbare Formen annehmen sollte. Eine endgültige Abkehr von jeglichem derartigen naturhaften Mystizismus ist ebenso notwendig, wie eine Hinwendung zu einem christlichen Humanismus, der sich vor allem in der absoluten Verteidigung des Rechtes zu bewähren hat.

österreichischer Geist in der Literatur

Im Rahmen der von der Universität Wien veranstalteten volkstümlichen Vorträge sprach im Auditorium Maximum vor kurzem Prof. Dr. Benda über den „österreichischen Geist in der Literatur der Gegenwart“.

Dem klassisch-deutschen Humanitätsideal Lessings, Winckelmanns, Humboldts und Goethes, so führte der Vortragende aus, das deutlich die Merkmale einer künstlichen Bilduhgsidee zeigt, und dem Ideal des auf biologischer Gesetzmäßigkeit beruhenden Herrenmenschentums Gobineaus, Chamber-lains und Nietzsches, da auf dem Gebiet der Lyrik in Stefan George seinen bedeutendsten Vertreter findet, steht die organisch gewachsene österreichische Kulturidee gegenüber, die nie besondeien Schwankungen unterworfen war und sich ihre innere Stileinheit bewahren konnte, von der Gestalt des Rüdiger von Bechelaren über Walter von der Vogelweide bis zu Saar und Rilke. Diese österreichische >. Kulturidee knüpft unmittelbar an das abendländische Ideal Dantes an, das in der Verbindung von Universalismus und Individualismus seinen höchsten^ Ausdruck findet.

Adalbert Stifter sagte einmal: Untergehenden Völkern schwindet zuerst das Maß. Im österreichischen Geist herrschte stets das Gesetz des Maßes, auch dort, wo er zur weltumfassenden Liebe des christlichen Humanitas wurde. Die Bändigung innerer Spannungen, nicht ihre Zügellosigkeit und.dieDurchseelung von innen sind die 'Wesentlichen Charakteristiken österreichischer Gei-sttsart; ob man es im Mittelalter Milde, später Sympathie oder heute soziale Gesinnung nennt, es ist letztlich jene Harmonie von Maß und Ordnung, die in einer wahrhaft ethischen Zucht des Denkens den Weg der Mitte zwischen einem Subjektivistischen Idealismus und dem Materialismus fand: den kritischen Realismus in der Philosophie und den naiven Realismus in der Kunst. Die österreidiische Philosophie war stets einer subjektivistischen Gedankenkonstruktion abhold, sie arbeitete stets objektiv und empirisch, kritisch-realistisch. Man denke nur an Bolzano, Franz Brentano, Mach und Husserl. Einen philosophischen Titanismus hat es in Österreich nie gegeben.

Ehrfurcht vor der Wirklichkeit ist auch das oberste Gesetz der österreichischen Literatur. Man schöpft „aus dem goldenen Überfluß der Welt“ und sprühende Lebens-unmittelbarkeit steht der Welt der deutschen Klassik und Romantik gegenüber. Die Ehrfurcht vor der Wirklichkeit, die im Kleinen und Kleinsten unserer Erscheinungswelt den Schöpfer bewundert und anbetet, macht, eine Weltschöpfung aus dem. eigenen Ich überflüssig. Hochmut is; ein plebejisches Laster. Der wahre Seelenadel österreichischer Dichtung überwand weniger bewußt als gefühlsmäßig die Gefahren des Hochmutes, Demut steht gegen Übermensdientum.

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