Revolution geplatzt

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E-Bücher, die nicht mehr gedruckt werden, sondern aus dem Internet kommen, sind ein Flop.

Goethes "Denn was man schwarz auf weiß besitzt, kann man getrost nach Hause tragen" (Faust 1, Schülerszene) beweist sich auch in diesen Tagen, da die Informations-Revolution mit der ihr eigenen Technologie an keine Grenzen zu stoßen scheint. Plötzlich und unerwartet und auch gegen die meisten Experten-Vorhersagen türmen sich auf einmal doch riesige Mauern auf, denn nach einem Jahr der massiven Werbung und eines nahezu beispiellosen Marketing sieht fest: Das vielgepriesene, mit so vielem Vorschusslorbeer bedachte elektronische Buch ist zum Ladenhüter geworden.

Die Millionen Dollar, die in das E-Buch-Abenteuer investiert wurden, können abgeschrieben werden, urteilt Wall Street. Und Verleger und Computer-Fachleute Amerikas kommen übereinstimmend zu der Überzeugung, dass alle Versuche, das Buch vom Papier zu befreien und auf den Bildschirm zu bannen, gescheitert sind. Mehrere tausend Titel stehen zur Verfügung, aber "95 Prozent davon", so eine Sprecherin der Association of American Publishers, stießen beim Leser auf keinerlei Gegenliebe. Nur "eine Handvoll Titel", so die Sprecherin weiter, "spielte genügend Geld ein, um wenigstens die paar hundert Dollar zu decken, die erforderlich sind, einen Text zu digitalisieren".

Nur Stephen King

Die einzige Ausnahme bildet Stephen Kings Roman "Riding the Bullett". Aber das ist verständlich, denn diese Novelle gab es vor Jahresfrist ausschließlich via das Internet - und vor allem stand das Buch in seiner elektronischen Form anfangs völlig kostenlos zur Verfügung. Kein Wunder also, dass Tausende den Server "anzapften", über den der neueste Stephen King heruntergeladen werden konnte.

Das war's denn aber auch. Die Pleite betrifft übrigens jede der beiden wichtigsten Technologien, mit deren Hilfe das E-Buch realisierbar ist:

1. Elektronische Bücher lassen sich mittels bestimmter Software auf PCs oder Handhelds herunterladen. Dabei gab es unerwartete technische Probleme. Sie betrafen vor allem Handhelds vom Typ Palm. Die meisten für den E-Gebrauch zur Verfügung gestellten Titel ließen sich fehlerhafter Software wegen nicht lesen, weil "eingebaute" Copyright-Vorbehalte zur technologischen Hürde wurden. Geräte vom Typ Palm haben zudem den Nachteil, das Buch auf viel zu kleiner Bildschirmfläche zu präsentieren - zweifellos werden die Augen dabei überstrapaziert.

2. Das trifft natürlich auch auf jene Geräte zu, die ausschließlich dem Lesen elektronischer Bücher dienen. Auf sie werden die Titel nicht aus dem Internet, sondern über das Telefon heruntergeladen. Ein RCA-Typ war in den USA das beliebteste Lesegerät. Obwohl davon 40.000 Exemplare verkauft werden konnten, meinte der RCA-Sprecher David Arland jetzt, "diese Zahl blieb weit unter unseren Erwartungen zurück". Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang dies: Zwei Drittel der RCA-Lesegeräte wurden von Verbrauchern als Geschenk für Freunde oder Verwandte erworben. Marketing-Experten in Madison Avenue, dem Mekka der Werbung in Manhattan, schlussfolgern daraus, dass diese Form des E-Buches so gut wie überhaupt nicht ansprechend ist. Sie wurden wohl auch als viel zu teuer empfunden (rund 300 Dollar),

Dabei herrschte vor fast genau einem Jahr großer Enthusiasmus. Microsoft, der Online-Buchhandel Barnesandnoble.com sowie ein Dutzend Verleger läuteten damals auf einer internationalen Pressekonferenz in einem New Yorker Luxushotel das Zeitalter des E-Buches ein. Jack Romanos vom angesehenen Verlagshaus Simon & Schuster meinte: "Heute beginnt die E-Buch-Revolution, und die wird einen ebensolchen Neubeginn verheißen wie in den Sechziger Jahren die Einführung der Paperbacks". Und Laurence Kirshbaum von Time Warner sagte: "Elektronische Bücher werden den papierenen das Fürchten lehren". Das Analyse-Unternehmen Anderson Consulting legte auf dieser Pressekonferenz schließlich eine Prognose vor: Im Jahr 2005 würde das digitale Buch zehn Prozent aller verkauften Bücher ausmachen.

"Das alles hat sich als sehr unrealistisch erwiesen", räumte jetzt ziemlich kleinlaut Patricia Schroeder in New York ein. Sie ist Präsidentin des amerikanischen Buchverlegerverbandes (Association of American Publishers) und Initiatorin der Anderson-Untersuchung, die zehn Prozent E-Bücher für 2005 vorher sah.

Faust - neu gedichtet

Einer kann sich heutzutage ins Fäustchen lachen und die Hände reiben: Dick Brass. Er ist bei Microsoft verantwortlich für den Bereich "Technische Entwicklung".

Er ist zwar ein Verfechter des E-Buches, aber er hatte schon vor einem Jahr gewarnt, der Erfolg mit diesem neuen Medium "lässt sich nicht übers Knie brechen". "Ich habe damals gesagt und stehe zu dem auch heute noch", meint Brass, "es wird zwischen acht und zehn Jahre dauern, bevor das elektronische Buch im gleichen Atemzug mit dem aus Papier genannt werden kann."

Völlig schief lag auch der US-Verleger John Kilcum. Er hatte vor einem Jahr von den "unglaublichen Vorzügen" des "elektronischen Lesens" geschwärmt, dem er auch eine "interaktive Bedeutung" beimaß: Der Leser werde dazu animiert, seine eigene Buchversion herzustellen, indem er Kapitel verschiebt oder miteinander mischt.

Da könnte es also zum Osterspaziergang im "Faust" auch erst nach Gretchens Tod kommen: Ach Johann Wolfgang - wie gut ist doch auch nach über 200 Jahren noch das Wort vom Schwarz-auf-Weiß, das man getrost nach Hause tragen kann ...

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