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Bildschirm als Partner beim Spiel

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Kein neuer Megatrend wie jener der Dinos war bei der Spielwarenmesse in Nürnberg, die vergangene Woche zu Ende gegangen ist, in Sicht.

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Kein neuer Megatrend wie jener der Dinos war bei der Spielwarenmesse in Nürnberg, die vergangene Woche zu Ende gegangen ist, in Sicht.

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Am Beispiel der bekanntesten Marke im Spielebereich, Bavensburger, wird deutlich, mit welchen gesellschaftspolitischen Problemen die ganze Branche zu kämpfen hat. Bis vor wenigen Jahren galten die Schwaben als Garanten für vergnügliche Stunden am Wohnzimmertisch, auf dem gewürfelt, Holzfiguren und Pappmännchen über Spielbretter bewegt und Karten geklopft wurden. Die Familie saß beisammen und spielte gemeinsam. Fast jedes dritte Spiel hatte das blaue Dreieck in der Ecke rechts unten. Familienspiele prägten das Programm. Heute? Es gibt nur ein einziges Spiel unter zwei Dutzend Neuheiten von Bavensburger in diesem Jahr, das diesen Ubertitel trägt. „Familienspiele lassen sich nicht mehr verkaufen”, sagt Österreich-Statthalter Wolfgang Leister. Die Marketingleute, die auch bei den Spieleverlagen immer mehr das Sagen haben, teilen den Markt längst in die zwei Gruppen Kinderspiele und Spiele für „junge Erwachsene”, die dann eben auch etwas älter als 18 sein dürfen. Die spielen dann Bäte- und Kommunikationsspiele ä la „Activity”. (Gene-rations-)Verbindendes hat keinen Platz. Die Zielgruppe dafür sei viel zu diffus oder komme durch Scheidungen und Alleinerzieher-Nöte ganz abhanden.

„Ein Spiel wie ,Hase und Igel' wäre heute nach kurzer Zeit aus dem Programm”, beklagt Werner Schlegel, bis vor wenigen Wochen Programm-Macher und nun Kommunikationsleiter der Bavensburger Spielefabrik. Dieser moderne Klassiker verdankt seinen Platz im Katalog 1995 dem Umstand, daß er 1989 zum ersten „Spiel des Jahres” gekürt wurde und damit seine Popularität über die Jahre hinweg erhalten hat. Für die Masse der Spielefans in unserer Fastfood-Games-Epoche wäre „Hase und Igel” als Neuheit zu komplex.

Die ganz, ganz einfachen Spielideen sind ausgereizt. Neuheiten können daher nur Variationen oder Kombinationen sein. Das ist das eine Handikap. Das andere: analog zur gesellschaftlichen Entwicklung fährt der Zug mit Volldampf in Bichtung Beschäftigungstherapie. Ist das Kind für eine halbe oder gar eine volle Stunde „stillgelegt”, ist die Mutter mit einem Spiel schon zufrieden. Nicht nur Bavensburger wird dieses Jahr eine ganze Beihe von Spielmaterialien herausbringen, mit denen der Nachwuchs sich allein abgeben kann. Eine nie dagewesene Fülle an „Beisespielen”, die während der Autofahrt - oder auch nur zu Hause -für einige Minuten Buhe sorgen, vervollständigt das Bild.

Auch das paßt wie ein fehlendes Puzzleteil in diesen Bahmen: Die fernöstlichen Video- und Computerspielgiganten nehmen sich ab diesem Jahr der Kids im Vorschulalter an. Den „bibibipiiep”-Spielcomputern, bei denen es meist darum geht, einen Helden durch ein elektronisches Labyrinth zu führen oder Bösewichte per Tastendruck zu eliminieren, stellen Nintendo & Co. überraschend sinnvolle Lern- und Beschäftigungsprogramme zur Seite. Da ist beispielsweise ein „interaktives Bilderbuch”, das mit einer Spiel-und Zeichenkonsole an jeden Fernsehapparat angeschlossen werden kann. Mit einem speziellen Griffel malt das Kind Figuren aus, zeichnet Buchstaben nach oder löst erste Bechenaufgaben. Wie von Zauberhand erscheint alles zeitgleich auf dem Bildschirm, und bei erfolgreicher Lösung fangen die Figuren an, sich zu bewegen und das Ergebnis in kleinen „Zeichentrickfilmen” darzustellen. Das Kind kann dabei in den Handlungsablauf eingreifen.

Absicht ist natürlich, die Kleinen möglichst früh an die Marke zu binden. „Die Kinder müssen darauf vorbereitet werden, daß die Kommunikation im 21. Jahrhundert anders verläuft als heute.” So stellt sich das aus der Sicht des Sega-Managers Torsten Oppermann dar. „Die Bedienungsanleitung richtet sich bewußt an die Eltern”, wird von ihm betont, „aber wir können ihnen nicht vorschreiben, mit ihren Kindern gemeinsam die Möglichkeiten dieser Lernsoftware zu nutzen.” Er macht sich keine Illusionen darüber, daß auch die neue Computerspiele-Technik letztendlich von Kindern angewendet wird, die allein mit sich gelassen sind. „Wenigstens ist das dann ein aktiver Umgang mit dem Medium Fernsehen anstelle von passivem Konsum irgendwelcher Actionfilmserien.””

Ein ähnliches Bild bei VTech aus Hongkong, der in den letzten beiden Jahren mit Lerncomputern den Umsatz jeweils verdoppelte. Hier ist aber nicht der Fernseher die Spiel-und Ausgabestation, sondern Vaters PC. An den hängt der Junior seine eigene Tastatur/Computer-Kombination und beginnt zu spielen. Eingebaut ist ein Schutzprogramm, das angeblich verhindert, daß Papas Datensätze bei einer Fehlbedienung gelöscht oder beschädigt werden. Daß Junior dann - allein - vor dem PC sitzen wird, wenn der Herr Vater außer Haus ist, läßt sich an den Fingern einer Hand ausrechnen.

Diese neuen Lernprogramme sind pädagogisch auf einem erstaunlich hohen Niveau. Sie waren - bei einigem Wohlwollen - als Trend der 46. Nürnberger Spielwarenmesse auszumachen. Weniger innovativ,, bei buchstäblich richtiger Handhabung aber mindestens genauso spektakulär, ist eine zweite bemerkenswerte Entwicklung: 1995 wird alles „magic”! Wer bisher noch keine Zauberkästen in seinem Programm hatte, der bietet sie ab sofort feil. Wobei die Zaubertricks meist einzeln verkauft werden. Legt man zwischen 140 und 200 Schilling auf den Ladentisch, erhält man Material und Instruktionen, wie man seine Schulkollegen oder Partygäste garantiert verblüfft. Mit dem Stempel „Magic” versehen ist auch beliebiger Krimskrams wie Dekorationssprays, in der Dunkelheit leuchtendes Spielzeug, Knetmassen oder eine Modelleisenbahn, deren Lokomotive sich mit ein paar Handgriffen von einer elektrischen in eine Dampflok „verwandelt”. David Copperfield hat seine Spuren hinterlassen.

Die Branche muß sich den Kuchen mit immer mehr Freizeitaktivitäten teilen, die Umsätze dümpeln dahin. Weil auf dem wichtigsten Markt, Deutschland, mit Solidarabgabe und Pflegeversicherung, die Kaufkraft schwindet, läßt sich kein traditioneller Anbieter auf Experimente ein. Für Mädchen gibt es mehr Spiele und Spielzeug rund um das Lieblingstier Pferd als je zuvor. Der Kleiderschrank für Barbie und Plagiate wird mit Bastalook und anderen ethnischen Ergänzungen polyglott. Für die Buben wird im Medienverbund jede neue Zeichentrickserie sofort mit Actionhero-Figuren nachspielbar gemacht. Dem Bedürfnis, sein Spielzeugauto immer wieder kaputtzumachen, kommt MB entgegen: ans „Crash Car” werden Plastikraketen und Accessoires befestigt, die beim An-die-Wand-Werfen wegfallen, um sie für den nächsten Unfall erneut anbringen zu können.2'

Trist sieht die Lage auf dem Brettspielmarkt aus (siehe oben). Es wimmelt nur so von „Junior-Ausgaben bewährter Titel und Ergän-zungs.packungen. Marktführer Bavensburger geht gleich mit drei Kinderausgaben5' auf Nummer sicher. Das tun auch andere Verlage. Von mehreren Partyspielen kommen nach dem Vorbild von Hollywoodfilmen „Edition 2”-Ausgaben4'. Der Vorteil für die Konsumenten ist zweifellos, daß er damit nicht die Katze im Sack kauft und sich auf ein bewährtes Spielsystem verlassen kann.

Wer nach anspruchsvolleren oder komplexeren Spielen fahndet, ist am ehesten bei Kleinverlagen bedient. Hier besteht allerdings oft das Problem, daß ihre Programme vom Spielwarenhandel hur lückenhaft geführt werden.

Der Vertreter eines anderen wichtigen Spielwarensegments ist hingegen überall zu erhalten: das Plüsch-tier für die individuellen Wehwehchen. Schmeicheltiere sind für Hersteller wie Händler eine sichere Bank. Gerade in Zeiten, die rauher und liebloser werden. Kein Wunder, daß auch immer mehr Erwachsene zu Anschmiegsamem greifen. Fürs Zwiegespräch über die schnöde Welt legt der bekannte Puppenmacher Si-gikid seine „Philosophen” ans Herz - ulkige Phantasiefiguren aus Plüsch für Erwachsene.

Der Autor ist

Freier Journalist in Bregenz und Herausgeber der einzigen Publikumszeitschrift für Spielefans in Österreich, der „Spiel-Wiese”.

1) 93,1 Prozent der Sechs- bis ^jährigen beiderlei Geschlechts geben einer aktuellen deutschen Untersuchung zufolge Fernsehen als liebste Freizeitbeschäftigung an. Mehrfachnennungen waren möglich

2) In deutschen Kinderzimmern hat sich die Emanzipation noch nicht durchgesetzt 81 Prozent der Mädchen spielt am liebsten mit Puppen und Stofftieren Bei den Buben liegen nach wie vor elektrische Eisenbahnen und Autorennbahnen mit 91 Prozent vorne. )) Vom „Ver-rückten Labyrinth”, dem „Nilpferd in der Achterbahn” und von „Malefiz”.

4) Abgesehen von Ergänzungen zu „Trivial Pursuit” kommen dazu neue „Tabu” und „Therapy”-Packungen (MB), „Nobody ist perfect 2” (Ravensburger), und auch der Österreicher Piatnik baut auf eine Fortsetzung seines „Activity”-Erfolgs mit dictum”-, „English”- und einer „zeitgeschichtlichen” Ausgabe.

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