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Von Automaten, Flippern und Variationen

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Auch von den Jahrmärkten sind sie nahezu ganz verschwunden, die Flötenspieler und trommelnden Affen, die Boxkämpfer und Glockenschläger, die Tanzbären und die Grenadiere — diese wundersamen Geschöpfe der Mechanik, vor denen man staunend stand, atemlos die merkwürdigen Bewegungen verfolgend, noch nicht geplagt vom Wissen um Organik und Mechanik. Mitunter sind noch die großen holländischen Orgeln zu sehen, mit ihrem turbulenten, heulenden, klappernden Fortissimo, mit einer ganzen Schlagzeugbatterie von Trommeln, Becken, Schellen,

Glockenspiel und mit dem keine Miene verziehenden Kapellmeister an der Vorderfront, der einer unsichtbaren Schar von Musikanten seine Einsätze gibt.

Die Geschichte der Mechanik ist eine Geschichte des Staunens. Was muß das für ein „Churbairisches Freudenfest“ in München 1662 gewesen sein, ein Feuerwerksdrama auf einer in der Isar schwimmenden Bühne, Flugmaschinen, Kampf der Seeflotten, der von einem feuerspeienden, schwimmenden Seeungeheuer beendet wird. Später kam das kunstvollste aller künstlichen Lebewesen auf die Bühne, Hoffmanns Olympia, die Vollendung des mechanischen Menschen, so eins mit der Natur, daß Staunen in Verzückung und Verzückung in Liebe überging.

Das Staunen kam aus dem verwunderlichen Zusammenhang von Mechanik und Leben. Heute sind uns Maschinen leblose Apparate geworden, weil wir um ihre Eigengesetze wissen. Nur manchmal finden wir noch geheime Zusammenhänge, wie der französische Musiker, Chansonnier, Schriftsteller, Dramatiker und — Ingenieur Boris Vian. In einem seiner Romane schreibt er von einer Pillendrehmaschine: „Im Inneren saß ein zusammengesetztes Tier, halb aus Fleisch, halb aus Metall, das den Rohstoff hinunterschlang und ihn in Form von regelmäßigen Kügelchen wieder ausstieß. Das Tier hatte einen verlängerten Kiefer, der sich mit schnellen Bewegungen hin- und herschob. Unter der durchsichtigen Haut sah man röhrenförmige Rippen aus dünnem Stahl und einen Verdauungskanal, der sich träge bewegte.“ Erinnerungen werden wach an die Automaten des berühmten Vaucan-son; er hatte im 18. Jahrhundert eine fressende Ente konstruiert, deren Futter im Körper gelöst wurde, so daß schließlich auch die Exkremente zu besichtigen waren.

Spieltrieb bricht durch, und mitunter sogar recht hintergründiger Witz. Genosse Mao ist auch solch ein

Automat, in den man zehn Pfennig hineinwirft, dann bewegt er den Kopf, streckt die Zunge heraus und spuckt klassenbewußt das Geld wieder heraus. Man kann den Groschen hernach für den Revolverhelden verwenden, dessen Manschettenknöpfe und Krawattennadeln illuminiert werden, oder den Torpedo-Mann, der mit der Fußspitze wippt, der statt der Lungen einen veritablen Spielautomaten eingebaut hat, oder gar für die Nixe, auf deren Brustspitze falsche Edelsteine leuchten. Wer die Nixe sieht, ist freilich auch genötigt, an den kümmerlichsten aller Kunstmenschen zu denken, an die „lebensechte

Gummipuppe“, die auf Liebe funktioniert.

Die künstlichen Menschen lassen über Bewegung nachdenken. Schnelle Bewegungen rutschen leicht ins Lächerliche ab, vor allem sind sie nicht aufregend, Beginn und Ende liegen zu dicht beieinander; Langsames ist faszinierend, oft unheimlich, im Langsamen liegt die Möglichkeit zur Änderung. Aufregend war nie der Kriminalroman, in dem der Held aus der Hüfte heraus blitzschnell schoß; aufregend war der, bei dem sich der Finger langsam, ganz langsam krümmte, bis er — unaufhaltsam — den'DrUckpunkt der Pistole erreichte.

Merkwürdig, daß die Kunstmenschen von heute so wenig von kunstvoller Mechanik haben, Hoffmanns Olympia ist weit, das Repertoire der Androiden 73 ist stark eingeschränkt.

Es blieb lediglich der Spieltrieb, und es kam eine Automatenindustrie, die diesen Spieltrieb in einer Welt fortschreitender Technik mit primitiven Geräten befriedigte. Vielleicht brauchen wir das als Ausgleich, diese Welt der scheppernden und klingenden Flipperkästen, der rumorenden Schießautomaten, der lärmenden Musikboxen und der bunten Roulette-Betriebsamkeit.

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Die „Spielhölle“ von heute ist die Kneipe nebenan mit den Groschenautomaten oder die Spielhalle mit ihren Flipper-Variationen. Der Groschenautomat hat sich kräftig geändert,- Ingolstadt gibt ein paar Beispiele dafür. Früher sah er aus wie eine Ladenkasse, nicht sehr einladend zum Spiel eigentlich, aber sehr ehrlich, denn der Automat gewinnt immer. Da stand es auch noch deutlich zu lesen: „Zeigt aich nach Ablauf des Spielvorgangs keine der angegebenen Zahlenkombinationen, so hat der Spieler verloren.“ Das war eindeutig und eher abstoßend. Heute ist vom Verlieren nicht mehr die Rede, heute heißen die Automaten „Sportsman“ oder „Sieger-Turnier“, heute sind aie bunt und auffordernd. Allerdings schluckt der Automat die Groschen wie eh und je und gibt sie nur selten wieder heraus. Deshalb hat sich in der Kneipe nebenan ein neuer Typ von Spieler entwickelt: Er trinkt sein Bier an der Theke, wirft das Geld in den Kasten, läßt die Zahlen und Figuren sich drehen und schaut nicht mehr hin. Der Sportsmann neben dem Automaten kann nicht mehr verlieren, weil er beim Spiel nicht mehr mitmischt; er spielt und spielt doch nicht, ist dabei und doch unbeteiligt, der Groschenautomat wird zur Lotterie, der Spieler manövriert sich selbst ins Abseits.

Beim Flippern ist alles anders, .Flippern ist aktuell, Flippern ist monströses Styling, Flippern ist Kampf jeder gegen jeden, Flippern ist Selbstbestätigung, Flippern ist Rekordjagd, Flippern kann man jetzt auch zu Hause, mit ausgedienten Flipperkästen, mit denen die Industrie ein gutes Geschäft macht, Flippern ist „for amusement only“, beim Flippern gibt es nichts in klingender Münze zu gewinnen, und doch kann man da gewinnen, Flippern ist das Spiel, wo Kugeln durch Teufelsschluchten und Wilden Westen rollen, durch Ballsäle und einsame Herzen, Flippern ist Anticken und der Blick zur Scheibe, wo sich die Punkte summieren, Flippern kann man stundenlang, ohne auszunippen, Flippern ist die ständige Versuchung des Spielmenschen, Flippern ist super und Flippern ist abendfüllend.

Keiner der jungen Leute, die stundenlang ihre Flippergeräte bedienen, die Kugeln mit ständig neuem Schwung durchs tickende Labyrinth befördern, wird so recht Auskunft darüber geben können, was ihn denn an dieser Spielmaschine so festhält. Kluge Leute meinen vom Leistungszwang reden zu müssen, der sich von der Arbeit in die Freizeitgruppe fortsetzt, Flippern kann man zu viert, und da gibt es einen Sieger, und da braucht es Geschick, Leistung also, und nicht nur Glück. Aber Flippern ist eine unbezahlte Leistung, da gibt es nichts zu gewinnnen, außer den ersten Platz, und fürs Gewinnen zahlt der Sieger noch. Man muß nicht immer so weit greifen, um hinter den Spieltrieb von heute zu kommen. Flippern ist das Kind von Coca-Cola und Musicbox, von Gunman und Comics, ist der vielgeliebte Sprößling einer Industrie, die weiß, auf welches Design der Spielmensch heute anspricht.

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Und schon hat der Flipperautomat neue Bereiche erobert. Mauricio Ka-gel, musikalischer Bastler aus Profession, hat einen akustischen Flipper gewerkelt, einen Kasten, in dem man eine Kugel nach Belieben rollen lassen kann. Auf ihrem Weg stößt sie auf verschiedenes Klangmaterial, gibt so eine Komposition der Zufälligkeit. Musikalisches Spielzeug für Kinder nennt Kagel das, und es scheint nicht einmal der schlechteste Weg zu sein, vom Geräusch zum Klang zu linden.

Freilich: Das schönste Spielzeug des Menschen ist der Mensch selbst, nicht der künstliche Mensch und nicht der Spielautomat. Als wir Kinder waren, spielten wir mit Kindern, die Puppe bedeutete Ersatz, so wie der Tischfußball das Spiel auf dem Rasen simuliert. Doch jetzt kommen andere Arten von Spielen auf uns zu, Spiele, bei denen es nicht nur um den geschickten Einsatz unseres Körpers geht. Bei diesen Spielen steht mehr auf dem Spiel; sie sind nicht mehr in Ausstellungen zu besichtigen, weil wir uns da selbst ausstellen sollen, der Einsatz ist unser Ich. „Spiele, die glücklich machen“, empfiehlt ein jüngst erschienenes Buch: „Wahrscheinlich leben Sie nur auf halber Flamme. Der Alltagstrott lähmt Ihren Unternehmungsgeist, Ihre Sinne sind abgestumpft, Ihr Körpergefühl schlummert, Hemmungen erschweren Ihnen den Zugang zu anderen Menschen. Von Lebensfreude gar nicht zu reden. Greifen Sie jetzt nicht zu Alkohol oder Rauschgift. Sie helfen nur scheinbar. Wenden Sie die in diesem Buch beschriebenen Techniken an. Hier werden zweihundert Spiele vorgestellt, die Ihre Sinne schärfen, Ihre Gefühle intensivieren, Ihr Bewußtsein erweitern, Ihren Körper mit neuer Vitalität erfüllen, Hemmungen beseitigen und gegenseitiges Vertrauen aufbauen. In Amerika wurde in Verbindung der neuesten psychologischen Forschungsergebnisse mit fernöstlichen Erkenntnissen über den Menschen das ,Sensitivity-Trai-ning' entwickelt, wo wildfremde Menschen in einer Gruppe ihre Probleme ausfechten und sich anschließend wunderbar befreit fühlen. Auch in Europa hat diese Art der Gruppentherapie sofort zahlreiche Anhänger gefunden.“

Nun brauchen wir also den Kunstmenschen und den Automaten nicht mehr. Wir spielen mit uns selbst, Ping-Pong der Seelen, und stehen selbst auf dem Spiel.

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