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Erzieherisches heimisches Spielzeugschaffen

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Nur noch selten hört man ein Wort gegen das kindliche Spiel. Das Verständnis für seinen Wert scheint Allgemeingut geworden zu sein. Zuweilen ist es sogar so, daß in Übertreibung dieser Erkenntnis manches Kind, das Anteil haben will am Tun der Erwachsenen, weggeschickt wird zu „seinem“ Spiel.

Dem verständigen Beobachter bleibt es aber nicht verborgen, wie wenig das kindliche Spiel durch die bejahende Grundhaltung allein gesichert ist. Bemerkungen wie: „Räum weg, der Vati kommt bald nach Hause“, „Komm schon Hände waschen“, „Mach nicht solch eine Wirtschaft“, „Wozu brauchst du all das Zeug, wirf es doch endlich weg“, reißen nicht selten das Kind aus vertieftem Spiel, lassen es mit seinem Tun heimatlos werden, erwecken den Groll gegen die Erwachsenen, die so gar kein Verständnis haben, führen dazu, daß das Kind alle Freude an seinem Tun verliert. Damit aber versickert ein Quell, der in vielen Fällen nie wieder zutage kommt.

Beobachtern wir ein Kind, das zum erstenmal Bausteine in die Hand bekommt, so sehen wir, wie es diese neuen Dinge unermüdlich betastet, immer wieder danach greift, damit wirft. Zu einem späteren Zeitpunkt sie mit Bedacht aneinanderreiht, aufeinandertürmt, einen Bau errichtet, den es ungezählte Male wieder zerstört und wieder aufbaut. Wir beobachten, wie das Kind die Bausteine in Puppen, Kochgeschirr, Geld, Autos, Eisenbahnen verwandelt. Eines Tages aber bleibt es vor seinem Werk betrachtend stehen, zerstört es nicht mehr und stellt mit Stolz fest: „Das ist eine Brücke!“ Welch bedeutender geistiger Fortschritt! Aus unermüdlichem Hantieren ersteht ein Werk, das nun nicht mehr unmittelbar zerstört wird. Viele wertvolle Erfahrungen hat das Kind dabei gesammelt: soll der Bau stehen, müssen die Bausteine exakt aneinandergereiht werden, soll er stabil sein, müssen die großen Bausteine die Grundmauern bilden, will man etwas Großes bauen, braucht man Hilfe. Diese im ausdauernden, innigen Zwiegespräch mit den Spieldingen gesammelten Erfahrungen kann kein Erwachsener durch Worte, durch Vormachen oder gar ständiges Dreinreden vermitteln. In weiterer Entwicklung vermag es das Kind selbständig einen Plan zu fassen: „Heute baue ich eine Garage für mein Auto!“ Nun geht das Kind daran, das nötige Material zusammenzusuchen, den rechten Platz auszuwählen, das Werk zu beginnen. Nunmehr ist das selbstgesteckte Ziel die Triebfeder zu ausdauerndem Tun, das die Forderung stellt, so lange durchzuhalten, bis das Werk vollendet ist. Zusammenfassend ist zu sagen: Uber das Hantieren mit den Dingen gewinnt das Kind reiche Erfahrung, Sorgfalt und Ausdauer im Tun, Selbständigkeit und die Fähigkeit, auch dann, wenn die Lust am Tun absinkt, durchzuhalten, sein Werk zu vollenden. Viele Klagen über den Mangel an Arbeitstugenden, die heute so oft mit Recht laut werden, könnten verstummen, wenn im Kindesalter Gelegenheit zu intensivem Spiel geboten worden wäre.

Im Streben, dies zu tun, geht es zunächst darum, dem Kinde die nötige Spielzeit zu sichern. Das kostet uns Erwachsenen vor allem Selbstkontrolle: wie oft lassen wir das Kind unnötig einfach warten, bis das Zimmer aufgeräumt ist, die Mutter Zeit zum Anziehen hat, dies und das besprochen ist — alles vermeidbare Wartezeiten, in denen dem Kinde wertvollste Spielzeit verlorengeht, in denen es in seinem geistigen Fortschritt, den wir so sehr wünschen, gehemmt wird.

Die gleiche Bedeutung kommt der Sicherung des Spielraumes zu. Das Kind entwächst eben seinem Gitterbett, seiner Gehschule, seiner Spielecke. Es dringt allmählich vor in seine weitere Umgebung. Indem es immer mehr und mehr planvoll spielt, wird der Spielplatz zum Arbeitsplatz. Hat es den Spielplatz liebgewonnen, hat es gelernt, Ordnung zu halten, dann wird sein Arbeitsplatz die gleichen Vorzüge genießen: er wird trotz anstrengender Pflichterfüllung ein Ort frohen Schaffens sein, ein Ort, den man erst dann zu verlassen wünscht, wenn die Arbeit getan ist.

Noch eins: Wie sich der Erwachsene gelegentlich Rat holt, bedarf auch das Kind kluger Führung seines Spiels. Es will, daß wir Anteil haben an seinem Tun, will uns fragen, will von uns geschickte Handgriffe übernehmen, braucht von uns allerlei, mit dem es sein Spiel bereichern kann. Wenn die Kinderspielforschung feststellt, daß sich ein dreijähriges Kind im Tag 64mal an den Erwachsenen wendet, möge daran erkannt werden, wie nötig es ist, für die Kinder einfach da zu sein, wenn sie auch immer mehr das „Selbermachen“ anstreben.

Es wäre allerdings ein Fehler, ange-lichts der Bedeutung, die dem Spiele zukommt, nun zu hohe Anforderungen an die Ausdauer des Kindes zu stellen beziehungsweise ängstlich zu vermeiden, den Kindern gelegentlich verschiedene kleine Aufgaben zu stellen. Wenn ein Dreijähriges etwa 50 Minuten ausdauernd bei seinem Spiel bleibt, dann hat es Beachtliches geleistet, während die Zeit, die ein Fünfjähriges ausdauernd zu spielen vermag, ein Ausmaß von eineinhalb Stunden erreichen kann. Was das Ubernehmen kleiner Aufträge anlangt, ist darauf zu achten, daß deren Erfüllung das Vermögen des Kindes nicht übersteigt. Hat sich dieses aber selbst eine Aufgabe gestellt, dann ist dafür Sorge zu tragen, daß sie tatsächlich ausgeführt wird.

Nun noch einiges zum Spielzeug: Um die Sache gleich ins rechte Licht zu rücken, müßten wir besser von Spielmaterial sprechen. Sehen wir das so, dann werden wir uns nie verleiten lassen, unbrauchbare Dinge zu kaufen: etwa Hohlwürfel aus Pappe — sie halten dem oftmaligen Gebrauch nicht stand; Puppen, bei denen die Unterwäsche angeklebt ist — damit kann die Puppenmutter nichts anfangen) Bausteine, die so klein sind, daß ein herzhaftes Zupacken gar nicht in Frage kommt; Besen, Schaufel, Gießkanne, mit denen man nur so tun kann, als ob man kehren, umstechen, gießen wollte! Das Kind will Wirklichkeit in seinem Spiel und findet sich durch derlei unbrauchbares Zeug enttäuscht und wir um seinen geistigen Fortschritt betrogen. Wenig, doch Brauchbares zu schenken, ist daher ein dringendes Gebot: ein Wagen soll feste Räder haben,' soll so geräumig sein, daß man wirklich etwas aufladen, einfüllen, befördern kann; vielleicht bietet er sogar die Möglichkeit, die Pferde, die das erste Weihnachtsfest gebracht hat, einzuspannen. Gewöhnen wir das Kind von Anfang an daran, seine Dinge mannigfach zu verwenden, so wird es von selbst nur gutes Spielzeug wünschen. Es ist interessant, wie Kinder, denen zu viel Spielzeug zur Verfügung steht, nicht nur oberflächlich von einem Spielding zum andern gleiten und schließlich alles gelangweilt weglegen, sondern auch weit weniger Einfälle haben, als Kinder, die sich nur mit wenigen Dingen ihr Spiel gestalten. Ihr Spiel ist um so reicher an Erleben, weil sie vieles einzu-beziehen wissen: die Abfälle aus Mutters Schneiderei, Küchenabfälle, Kastanien, Federn und was sonst noch in Wohnung und Park sich finden läßt.

Wünsche des Kindes dürfen bei der Auswahl von Spielzeug nur Ausgangspunkt sein. Wir müssen sie verständig lenken. Keineswegs aber sollen jene Dinge gekauft werden, die für die Eltern Wunschträume aus der Kinderzeit geblieben sind. Bei der Auswahl von Spielzeug muß ein rechter Zusammenklang sein zwischen dem, was sich das Kind wünscht, was seiner Entwicklung entspricht, was imstande ist, das Spiel zu bereichern, und was finanziell und räumlich tragbar ist.

Wem es gelingt, Spielzeit, Spielraum, nötigen Kontakt mit Gleichaltrigen und in weiser Beschränkung sorgfältig ausgewähltes Spielzeug zu bieten, der wird einerseits der Erkenntnis vom Werte des kindlichen Spiels tatsächlich Rechnung tragen, andererseits eine gesunde körperliche und seelisch-geistige Entwicklung seiner Kinder weitgehend sichern.

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