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Und 73 deiner xyl..

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„Was gibt es Neues?“

„Ach, nicht viel. Die Kuh meines Freundes Gustafson in Schweden hat heute Nacht ein Kalb geworfen. Pfarrer Smith in Südwales klagte mir vorhin, daß die Regenrinne auf seinem Dach schon wieder ein Loch hat. Für heute Abend bin ich mit Abdullah in Ägypten zu einem kleinen Plausch auf 20-Meter-Band verabredet ... Nein, es gibt wirklich nichts Neues von Wichtigkeit!“

Wäre es vor ein paar Jahrhunderten • jemandem eingefallen, zu prophezeien, eine derartige Unterhaltung würde Menschen künftiger Zeiten gar nichts Besonderes bedeuten, so hätte man ihn wahrscheinlich mindestens der Hexerei verdächtigt. Und tatsächlich — was ist denn die ganze Funkerei anderes als legalisierte Telepathie?

Dem Laien wenigstens kommt's so vor. Da bin ich nun und übermittle meinen Bericht aus der Funkstation OE-l-NP, wenn schon nicht über unerklärliches, schwarz und magisch anmutendes 20-Meter-Band, so immerhin durch die Vermittlung einer nicht minder suspekten, Rotationsdruckmaschine genannten Erfindung, und wenn mir die Röhren und Drehkreise und Antennen der Funker und die Elektromotoren, welche die Rotationsmaschinen . antreiben, und die Zeilengießmaschinen, die meinen Bericht für die Vervielfältigung vorbereiten, in ihrer Funktion wenigstens zum Teil auch durchaus nicht völlig unerklärlich erscheinen, so wird mir doch immer unbegreiflich bleiben, wieso die Menschen alle diese Dinge schaffen konnten. Ich hoffe, dieser Satz ist trotz seiner Länge leichter zu durchschauen als die Wirkungsweise eines Funkgerätes, und möchte auch gleich feststellen, daß ich unfähig bin, diese zu erklären — ich habe sie nämlich selbst nicht verstanden. Und wenn ich mir die vielen vergeblichen Versuche technisch begabterer Leute, mich in die tieferen Geheimnisse der Funkwellen einzuweihen, noch einmal vor Augen halte, dann regt sich in mir der Verdacht, daß sich auch all die Zehntausende von Menschen, die in diesem Augenblick an den Knöpfen ihrer Funkgeräte herumdrehen, auf Morsetasten hämmern oder in Mikrophone sprechen, vielleicht sogar einschließlich jener, welche diese durchaus brauchbaren und dabei auch recht nett aussehenden Apparaturen erfunden haben, nur immer wieder darüber wundern können, daß sie funktionieren.

Aber sie tun es nun einmal, und da alle Geräte, an denen sich Menschen schwitzend abrackern, um sich damit ihr Brot zu verdienen, von anderen Menschen aus reiner Lust und Liebe benützt werden, gibt es auch Funkamateure. In Österreich gibt es verhältnismäßig wenige, nämlich „nur“ 3 SO, und einer von ihnen ist der Inhaber jener Station OE-l-NP, wobei „OE“ Österreich bedeutet, der Einser Wien, und das individuelle Rufzeichen „NP“, wie allgemein üblich, aus den Initialen des Stationsinhabers besteht: Norbert Pieringer.

Er ist Ingenieur und hat sich im Laufe der Jahre aus zum Teil aus dem Krieg herübergeretteten und solcherweise einer wesentlich vernünftigeren Verwendung zugeführten Bestandteilen eine Funkstation zusammengebaut, um die ihn wahrscheinlich ein besserer Ozeandampfer beneiden könnte, wenigstens sieht es in den beiden Räumen, in denen sich dieser fanatische Funkbastler unter Zuhilfenahme ungezählter Kilometer Kupferdraht in ein unsichtbares Netz eingesponnen hat, ungemein eindrucksvoll aus. Da liegen die Spulen und Drehkreise und Kondensatoren zuhauf, wie das Gold in der Schatzhöhle des Sagenzwerges Alberich, da schimmern im Halbdunkel die Skalen, bereit, ihre Zeiger über Ziffern tanzen zu lassen, da schlummern unter dem Tisch die Benzinaggregate, bereit, auch irgendwo im Freien den Strom für den Betrieb im Auto mitgeführter Funkgeräte zu liefern, da entstehen die Pläne für einen mächtigen Gittermast, der eines Tages im kommenden Frühjahr im Hof aufgestellt wird, und da stauen sich die Neuigkeiten, die eines Tages den anderen Funkamateuren übermittelt werden sollen ...

Eines Tages, wenn der große Umbau der Station fertig ist, denn augenblicklich muß sie schweigen. Es gibt unter den Funkamateuren eine Gruppe von hauptsächlich technisch interessierten Leuten, denen der Bau neuer Funkgeräte und das Verbessern der fertigen das Wichtigste an ihrem Hobby ist. Sie streben nach immer höherer Vollkommenheit ihrer Geräte. Und da Vollkommenheit auf Erden unerreichbar ist, streben sie ihr Leben lang. Und da sie ein unerreichbares Ziel vor Augen haben, sind sie wahrscheinlich die Glücklichsten unter den Funkamateuren...

Aber wirklich glücklicher als jene, die sich ein teures Gerät anschaffen oder mit Ach und Krach selber bauen, um es dann, wenn es nicht unbedingt sein muß, nie wieder auseinanderzunehmen? Ihnen ist der Funkverkehr an sich das Wichtigste, deshalb nennt man sie im internationalen Amateurjargon auch die „rag-jewers“, was man frei mit „Plaudertaschen“ übersetzen könnte. Diesen liebenswerten Menschen ist es ganz und gar gleichgültig, ob sie sich von Wien nach Südamerika unterhalten oder mit einem Kollegen in Bruck an der Mur, sie wollen nur möglichst oft und möglichst lange reden.

Drahtlos natürlich.

Was sie in jedem Kaffeehaus auch haben könnten.

Und sogar genau so drahtlos. Über den Tisch.

Dann gibt es noch die sogenannten Ehrgeizigen. Ihnen kommt es vor allem darauf an, möglichst schwierige Verbindungen herzustellen und allerlei Diplome zu sammeln, die von den verschiedenen Vereinigungen der Funkamateure für besondere Leistungen verteilt werden. Eines dieser Diplome erwirbt man zum Beispiel, indem man eine Funkverbindung in jeden Staat der USA herstellt — ausschließlich zu anderen Amateuren selbstverständlich, denn professionelle Funkstationen,.Schiffe .etwa, Aüc~,. fen Funkamateure nicht anrufen. Das WAC Diplom („Working all Continents“) wiederum bescheinigt seinem Inhaber, daß er mit mindestens einem Funkamateur auf jedem Erdteil Verbindung aufgenommen hat. Am allerschwersten aber ist das WAZ-Diplom zu bekommen: dazu muß man mindestens eine Funkverbindung in jede der Zonen hergestellt haben, in welche der Funkverkehr auf der Erde aufgeteilt ist. Und da es mitunter nicht leicht sein soll, etwa einen Funkamateur in der Umgebung des Südpols oder in China aufzutreiben, haben nur wenige Amateurfunker diese Bescheinigung ihrer Tüchtigkeit. Und manchem dieser Auserwählten sagen die Kollegen nach, er hätte, da mit Geld alles geht, einfach einen Kollegen mit einem Funkgerät in gewisse Zonen geschickt, in denen es sonst keine Amateurfunker gibt.

Natürlich muß man beweisen, daß man die ersehnte Verbindung hergestellt hat. Das geschieht mittels Bestätigungskarten, die jeder Amateur bereithält, um sie, mit Eintragungen über Zeitpunkt und nähere Umstände des Gesprächs versehen, anderen Amateuren schicken zu können. Manche Amateure haben große Sammlungen solcher Karten. Und manche dieser Karten haben ausgesprochenen Seltenheitswert. Während arme Funker einfach hekto-graphierte, Zetteln verschicken, ließ sich £Üx begüterter Amateur Karten auf Goldlame drucken. Und er versendete sie so lange, bis ihm sein reicher, mit 200 Söhnen gesegneter Papa die ganze Funkerei einstellte. Der Papa heißt zufällig Ibn Saud, der Sohn Prinz Talal.

Ob auch Prinz Talal die Prüfung abgelegt hat, die man — jedenfalls in Österreich — bestanden haben muß, bevor man sich zum selbstgebauten Funkgerät setzt? Dieser Prüfungszwang soll verhindern, daß ein Amateur ein Chaos im allgemeinen Funkverkehr anrichtet, wozu ein Anfänger durchaus imstande wäre, während ein anderer etwa seine quer durch das Zimmer gespannte Antenne unter eine Spannung von tausend Volt setzt, so daß es mit beachtlichen gesundheitlichen Nachteilen verbunden wäre, sie anzufassen. Die Prüfung erstreckt sich aber nicht nur auf das Morsen (60 Zeichen in der Minute sind das Mindeste, große Könner bringen es auf das Dreifache) und auf das Technische — man muß auch die im Funkverkehr gebräuchlichen Abkürzungen beherrschen, auf daß man den Kollegen nicht ihre Zeit unnötig stehle.

Immer noch wird etwa die Hälfte des internationalen Amateurfunks mit der Morsetaste abgewickelt. Und da erleichtert man .sich? die Arbeit gern. Statt „Wo ist Ihr Standort?“ funkt man einfach QRA, und QRU heißt: „Ich habe nichts mehr für Sie. — Wollen Sie beenden?“ Statt „Viele Grüße!“ morst man einfach die Zahl 73, statt „Viele herzliche Küsse!“ die Zahl 88, und wenn einem dieser Abschied als Dame zu intim erscheint, dann antwortet man kühl: „99!“ Das heißt: „Fahr ab, du Frechdachs!“ Wer dem Funkkollegen von seiner Freundin erzählt, nennt sie einfach „meine yl“, das heißt „meine young lady“, und die Ehefrau wird nur als „xyl“ erwähnt: „Ex-young-lady“! So hart sind im Äther die Bräuche.

Die Funkamateure haben schon so manchen Hilferuf um ein lebensrettendes Medikament weitergeleitet, manche von ihnen leisten aber auch auf technischem Gebiet Beachtliches für die Allgemeinheit. Der Wiener Funkamateur Walter Novakovsky zum Beispiel, der kürzlich 500 Kilogramm Geräte im Gesamtwert von 100.000 S auf den Hochschneeberg geschleppt hat, um an einem internationalen Wettbewerb teilzunehmen, bei dem es jedes Jahr darum geht, möglichst viele Kilometer auf Ultrakurzwellen zu überbrücken, nahm bei dieser Gelegenheit Messungen vor, deren Ergebnisse der österreichischen Postverwaltung zur Verfügung gestellt werden. Zweck dieser Messungen war es, herauszufinden, in welchen UKW-Bereichen (Kanälen) eine auf dem Hochschneeberg allenfalls aufgestellte Fernsehrelaisstation arbeiten könnte und in welchen man mit Störungen durch andere Sender zu rechnen hätte.

Im allgemeinen jedoch ist der Funkverkehr der Amateure natürlich ein Steckenpferd, das sich selbst genügt. Und das dem Inhaber der Station 0E-5-AH, Erzherzog Anton, ebensoviel Freude macht wie dem Amateurfunker Doktor Rath, im „Zivilberuf“ Landesgerichtsrat. Hilfsarbeiter und Journalisten, Studenten und Professoren, Hotelbesitzer und Finanzbeamte, ein Bierbrauer ebensogut wie ein Porzellanfabrikant oder wie eine ganze Reihe englischer Landgeistlicher, sie alle sind dem seltsamen Reiz der meistens selbstgebastelten, unscheinbaren kleinen Kästen erlegen, aus denen, wenn man an den richtigen Knöpfen dreht, plötzlich die ganze Welt zu einem spricht.

Und die so hartnäckig schweigen können, wenn man einmal Wert auf eine ganz bestimmte Verbindung legt...

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