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Nur wenige Weltpremieren

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Noch nie war so deutlich zu sehen, daß sich Autosalons als Neuheitenschau (die sie doch eigentlich sein sollten) überlebt haben, wie auf dieser 43. Genfer Ausstellung. In der offiziellen Aussendung der Veranstalter wurden zwar rund ein Dutzend „Weltpremieren“ angeführt, aber keine war darunter, die diesem Begriff auch wirklich entsprochen hätte. Gewiß, Mercedes hatte die vier neuen 4,5-Liter-Wagen noch nirgends gezeigt, aber man spricht von diesen Superfahrzeugen der neuen S-Klasse bereits seit Monaten. Eine zweitürige Coupe-Version des Sun-beam 1250/1500 — so elegant und gelungen sie auch ist — war weder eine besondere Überraschung, noch eine Sensation. Und Fahrzeuge, wie die Schweizer Buggys oder der nur für pralle Geldbeutel erschwingliche Monteverdi, oder ein Sbarro (ebenfalls ein Schweizer Erzeugnis) sind für einen viel zu kleinen Interessentenkreis bestimmt, als daß man sagen könnte, sie bestimmten das Bild dieses Salons.

Es gab wieder einmal eine sehr beachtliche Sport- und Rennwagenschau (leider sehr gedrängt und wenig übersichtlich), im Freigelände fand eine Veteranenexposition statt, bei welcher Oldtimer versteigert wurden und auf dem Stand der Berner Automobil-Revue war ein herrlicher Bugatti-Typ 51 zu sehen, ein Kleinod — aber keines der wirklich brennenden Probleme, etwa Sicherheit oder Umweltschutz, wurde diesmal — so wie früher — durch eine eigene geschlossene Abteilung zur Diskussion gestellt. Man überließ diese wichtigen Themen den einzelnen Firmen, die zweifellos auf vielen Teilgebieten bereits Pionierarbeit geleistet haben, die jedoch immer wieder an die Motorjournalisten appellieren, die Regierungen der einzelnen Länder doch zu veranlassen, endlich etwas für die internationale Vereinheitlichung der Sicher-heits-, Abgas- und Ausrüstungsvorschriften zu tun.

Der Salon selbst spiegelt die Ungewißheit der weltpolitischen Lage wider: Man kocht auf Sparflamme, zwar waren die Stände schön und geschmackvoll aufgebaut, aber nur wenig vom Aufwand früherer Jahre ist geblieben. Vereinzelt sah man Schnittmodelle (Alfa Romeo), aber weder ist man „unter die Erde“ gegangen, noch gab es allzu viele erhöhte Podeste oder sonstwie kostspielige Blickfänge. Auch der Ablauf der Empfänge hat sich gewandelt: fanden früher Pressekonferenzen noch am Eröffnungstag statt, so drängte sich heuer alles auf die beiden Vortage zusammen. Für die zahlreichen österreichischen Motorjournalisten begann der Reigen sogar noch früher, als British Leyland durch Wort und Film den neuen Marketingbegriff „Bleycar“ aus der Taufe hob: ein Symbol, welches alle Marken des großen britischen Konzerns umfaßt, phonetisch an das Wort „Play“ anklingt und damit ausdrücken will, daß es Spaß und Freude bereitet, mit diesen Wagen zu fahren. Die Idee, von der man hofft, daß sie auch in anderen Ländern Fuß fassen könnte, ist eine Erfindung der Salzburger Verkaufsstrategen.

Traditionsgemäß präsentierte Mercedes seine Neuheiten in „Eaux Vives“. Die neue Serie 450 mit dem Supermotor (Achtzylinder in V-Form, 4,5 Liter, Einspritzer, 225 PS bei 5000 Touren) ist eine Erweiterung der S-Klasse nach oben. Letztere hat — trotz einer bedeutenden Ausweitung der Produktionskapazität — Lieferfristen von 15 Monaten. Von den übrigen erwähnten Neuheiten sind die Schweizer Produkte der Sbarro (mit Wankel-Mittelmotor als Coupe, und der Tiger, ebenfalls ein Coupe mit Mittelmotor) und die erste schweizerische Serienproduktion von „Swiss-Buggies“ zu erwähnen, angeblich Fahrzeuge „für jede Jahreszeit, jede Gelegenheit und jeden Zweck.“ Bei Ford beschränkten sich die Neuheiten — sowie bei Sunbeam — auf die zweitürigen Limousinen Consul und Granada, einen Fordmotor (Cobra-Jet) fand man auch beim neuen Iso-Rivolta und schließlich sei auf das neue französische Prestigeauto des Eisenbahnwaggon-Fabrikanten Testevin namens „Monica“ hingewiesen, das einen 5,9-Liter-Motor (Spitze 240 km/h, 290 PS bei 5400 Touren) erhalten hat. Der beliebte Vauxhall Victor wurde technisch verbessert: Die Kardanwelle wurde geteilt, das Getriebe lärmisoliert und neu gelagert, der Auspuff leiser gemacht, der Warmlufteintritt verbessert, Türen und Fenster mit einer speziellen Schaumab-dichtung zur Vermeidung von Windgeräuschen versehen.

Der Genfer Salon auf neutralem Schweizer Boden gestattet wie kein zweiter, allgemeine Tendenzen festzustellen, da hier die gesamte automobilbauende Welt vertreten ist. Um mit den Karosserien zu beginnen: Das Kabriolett stirbt langsam, aber sicher ab, sportliche Versionen und zweitürige Ausführungen sind gefragt, konventionelle Formen mit verfeinerten Linien (Musterbeispiel ein bildschöner Opel Commodore) nehmen überhand. Immer weniger Anklang finden die extrem flachen und niedrigen Experimentierfahrzeuge, in denen man mehr hegt als sitzt und aus denen man eine schlechte Sicht (nach rückwärts fast gar keine) hat, ein Widerspruch in einer Zeit, in welcher „Sicherheit“ groß geschrieben wird. Wir fragten den inzwischen zu einer Autorität herangereiften jungen österreichischen Karosseur Werner Hölbl: „Gewiß, heute ist die Keilform Mode, aber ob sich das halten wird? Fahrzeuge mit hochbauenden Motoren sind dafür ganz ungeeignet, die endgültige Form des Autos der nächsten Jahre ist das jedenfalls nicht.“ Und Hölbl senior, ebenfalls in Genf, Stimmt zu.

Motorlage und Antriebsart zeichnen sich klar ab: Der Frontantrieb ist im Vormarsch auf Kosten der Heckmotortypen, der Mittelmotor bleibt auf Sportzweisitzer beschränkt. Bei den Motoren selbst nehmen die obenliegenden Nockenwellen deutlich überhand, die Verdichtungen hingegen wegen der Abgasvorschriften eher ab, die V-Anordnung wird infolge der geringen Baulänge immer mehr bevorzugt. Der Wankelmotor steht in der Lebenserwartung dem Kolbenmotor nicht sehr nach, zu einem Durchbruch aber ist es nicht gekommen, noch immer stehen ihm bedeutende Werke (so etwa Chrysler) skeptisch gegenüber. Auch der Ein-spritzung^kommt immer mehr Bedeutung zu, ohne daß ein endgültiger „Sieg“ zu verzeichnen wäre. Im Fahrgestellbau wäre das Anti-Dive-System (Jaguar) zu erwähnen, welches das Absinken des Vorderwagens beim Bremsen verhindert, ferner die Abkehr vom Fahrschemel bei der S-Klasse von Mercedes. Hier wird durch die Koppelachse wiederum das Aufbäumen des Wagenbugs beim rasanten Beschleunigen dieser Fahrzeuge vermieden. Als weiterer Schritt bei dieser führenden Marke ist wohl ein Federungssystem mit Niveauausgleich, wie bei Citroen, zu erwarten.

Bei den Getrieben geht die Tendenz zu mehr Stufen und natürlich zur Automatik. Die Reifen entwik-keln sich immer mehr in Richtung Stahlgürtel. Semperit zeigte auf seinem vorbildlichen Stand den Hi-Life M 401, der bei einem internationalen Wettbewerb 97 von 100 möglichen Punkten erhielt und damit die gesamte Fachwelt in Erstaunen versetzt. Wenn es auch mit Ausnahme von Mercedes fast keine ein breiteres Publikum ansprechende Neuheiten gab, einige technische Leckerbissen sollten doch erwähnt werden: etwa die überzeugend klare und einfache Struktur der im übrigen sehr reparaturfreundlichen Saab-Karosserie (eines der wenigen Schnittmodelle) mit den genial zusammengesetzten Blechen, oder der sehr hochliegende (etwa in Reifenoberkante) Hauptträger im Vorbau des Peugeot 104, der bei Frontalaufprall den Stoß besser auffangen kann, und der tiefliegende Motor nebst der kurzen Lenksäule des Alfa Sud — hier ist viel für die passive Sicherheit getan worden — und schließlich das Sicherheitsfahrzeug von Datsun mit vielen zukunftsweisenden Merkmalen.

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