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Sicherheit und Sport im Vordergrund

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Der 39. Automobilsalon in Genf gehört zwar bereits der Geschichte an, ist aber noch „im Gespräch“. Er brachte neben einer Reihe von sehr spektakulären Spezialerzeugnissen, die vor allem für die sportbegeisterte Jugend und für Käufer mit prallen Geldtaschen bestimmt war, auch eine Reihe von Novitäten für den Durchschnittskäufer, doch scheint uns der eigentliche Wert dieser Ausstellung darin zu liegen, daß sie wie keine andere in der ganzen Welt zweierlei gestattet: Die Schweiz ist ein neutraler Boden, mit einer Ausnahme (Monteverdi), werden hier keine eigenen Personenwagen erzeugt, die Wettbewerbsverhältnisse sind für alle Marken der Welt die gleichen, daher wird diese Ausstellung auch von den meisten Autofabriken beschickt, und die Vergleichsmöglichkeiten sind aus diesem Grund die besten. Der zweite Grund, warum Genf von der Fachwelt besonders geschätzt wird, ist die Tatsache, daß sich gerade hier die Tendenzen im Autobau besonders augenfällig zeigen: Die im Vorjahr begonnene „Sicherheitswelle“, hervorgerufen durch die US-Gesetzgebung, schreitet vorwärts, leider nicht ganz im Sinne der im Vorjahr in Genf von einem Gremium von Autokonstrukteu-ren ausgesprochenen „Deklaration“, die dafür plädierten, Sicherheitsvorschriften müßten einheitlich auf internationaler Ebene erlassen werden. Soweit ist es aber noch nicht, wenn auch an diesen Fragen heftig gearbeitet wird. Die Modellvielfalt vergrößert sich weiterhin, der leistungsfähigere und größere Wagen wird immer mehr begehrt, mit einer einzigen Ausnahme, dem Citroen Ami 8, gab es zum Beispiel keinen neuen kleinen Wagen zu sehen. Im Motorenbau dominiert die Tendenz zur obenliegenden Nockenwelle, man findet sie jetzt auch bei BMW, bei Opel, Fiat und Vauxhall, damit werden die höheren Drehzahlen leichter beherrscht, auch die Verdichtung nähert sich langsam aber sicher den in Amerika üblichen Werten von rund 10:1. Während dort fast ausschließlich der V-8-Motor dominiert, neigt man in Europa langsam zum Sechszylinder, manchmal auch in der V-Form (der neue Fiat 130). Die Einspritzung, von Mercedes als dem Pionier dieser modernen Gemisehaufbereiturig ausgehend, wird wahrscheinlich einmal, schon im Hinblick auf die Abgasprobleme, den Vergaser bedrängen. Bosch hat bereits einen weiteren Schritt in dieser Richtung getan, denn neben der mechanischen Einspritzung wurde für Mercedes, Opel und VW die elektronisch gesteuerte Benzineinspritzung entwickelt, sie ist zwar aufwendiger und komplizierter für den Kundendienst, aber sie wird zweifellos an Verbreitung gewinnen, Peugeot und BMW haben sich der Kugelfischer-Einspritzung verschrieben, englische Fabrikate benützen wiederum andere Systeme.

Das automatische Getriebe gewinnt zwar langsamer als erwartet, aber sichtbar an Boden, VW ist ein gutes Beispiel dafür, wie man schrittweise, von der Halbautomatik bis zur Vollautomatik Wegbereiter einer durchaus gesunden Entwicklung sein kann. Renault hat sich ebenfalls mit seinem neuen Modell 16 TA (transmission automatique) dieser Richtung zugewandt. Fünfganggetriebe greifen vom sportlichen Fahrzeug auf den Gebrauchswagen über, dort, wo noch mit der Hand geschaltet wird, kommt die Mittelschaltung immer mehr in Mode.

Ganz besonders auffällig ist der Umschwung bei den Fahrgestellen. Mehr und mehr befaßt man sich mit der Hinterachse, die früher dominierende Starrachse wird mit der Zeit moderneren Ausführungen, darunter allerdings auch dar altbewährten De-Dion-Achse, in modifizierter Form, Platz machen. Ein Beispiel dafür sind die Opel-Modelle Kapitän, Admiral und Diplomat, ferner der 130 Fiat und der Peugeot 504. Opel hat sich der aufwendigsten Konstruktion dieser neuen und zugleich alten Tendenz verschrieben. Hier wurde eine ideale Kombination von Doppelgelenkachse mit einem De-Dion-Rohr-gefunden. Die früher sehr konservative Firma Opel hat also nicht nur in den letzten Jahren fortschrittliche Konstruktionsmethoden im Motorenbau, sondern nunmehr auch geradezu avantgardistische Konstruktionsprinzipien bei den Fahrgestellen gewählt.

Bei den Karosserien wird der beliebten sportlichen Linie durch immer mehr Coupes und Cabriolets Rechnung getragen. Man schätzt außerdem Aufbauten, wie sie etwa durch den Renault 16 bereits vpr Jahren eingeführt wurden, die unpraktische Fastbackform (Schwierigkeiten im Winter) wird viel zuviel gepflegt, dais praktischere ebenfalls moderne Stufenheck ist die bessere Lösung. Wir sprachen mit einem jungen österreichischen Designer, Werner Hölbl, der in Turin als selbständiger Entwerfer von Karosserien arbeitet und schon international bekannt ist. Er ist der Ansicht, daß die Scheinwerfer der zukünftigen Automobile mehr und mehr in den Aufbauten verschwinden und nur im Bedarfsfalle „ausgefahren“ werden, das gleiche gilt von den Scheibenwischern, die im Ruhezustand hinter der Motorhaube verschwinden, ebenso werden die gefährlichen, weil im Sonnenlicht glitzernden Chromleisten verschwinden; das alles sind Erscheinungen, die beim Genfer Salon bereits an zahlreichen Beispielen beobachtet werden konnten.

In der Reifentechnik wurde festgestellt, daß die Pneus immer breiter und breiter werden, das Verhältnis von Breite zur Höhe ist im Durchschnitt bereits 100:70 geworden. Auf dem Stand der Firma Semperit (diese Firma vertritt das österreichische Zubehör seit Jahren in origineller Weise auf dem Genfer Automobilsalon) konnte man sich über die zukünftige Entwicklung des Personen- und Lastwagenpneus an Hand der gezeigten Reifen mit Experten informieren. Neben den technischen Tendenzen wurde in Genf natürlich auch der wirtschaftliche Aspekt der letzten Entwicklung diskutiert; das sind in erster Linie die Zusammenschlüsse auf internationaler und nationaler Ebene. Da ist die vielbesprochene Zusammenarbeit zwischen Fiat und Citroen, die beiden kontrollieren augenblicklich über ein Drittel der Autopro-dtiktion der EWG. Bedenkt man, daß auf der einen Seite Citroen mit Maserati in Italien und anderseits mit NSU in Deutschland zusammenarbeitet, VW jedoch über Audi nunmehr NSU unter seine Kontrolle gebracht hat, dann muß man jenen Kreisen recht geben, die bereits heute an eine Zusammenarbeit zwischen den beiden kontinentalen Giganten Volkswagen und Fiat glauben, womit ein

Gegengewicht gegen den übermächtigen Einfluß der Amerikaner über deren Tochtergesellschaften . in England, Deutschland und Frankreich und gegenüber dem großen Ley-land-BMC-Konzern in England geschaffen werden könnte. Das alles ist zwar Zukunftsmusik, aber in keiner Weise utopisch.

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