6769039-1968_46_09.jpg
Digital In Arbeit

Nationalismus mit Autos

Werbung
Werbung
Werbung

„Wenn sich der Prozeß der Konzentrationen (Fusionen) weiterhin mit der angeblichen Regellosigkeit vollzieht, würde die europäische Industrie Gefahr laufen, in zwei Teile auseinanderzubrechen; einerseits in eine beschränkte Zahl von Unternehmen von Weltformat, anderseits in eine bunt gemischte Gruppe kleiner Unternehmen”, stellte der Chefredakteur des Pariser „Express”, Jean Jaques Servan-Schreiber, in seinem 1967 veröffentlichten Buch „Die amerikanische Herausforderung” fest. Daß aber Europa aus der „amerikanischen Herausforderung” nur sehr wenig gelernt hat, zeigen die Schwierigkeiten, die vor kurzem bei Zusammenschluß zwischen dem italienischen Autogiganten Fiat SpA Turin und der zweitgrößten französischen Automobilfabrik SA. Andrė Citroen, Paris, auftraten.

• Frankreichs Staatspräsident soll bemüht gewesen sein, Citroen rein französisch zu erhalten, und macht damit die Industriekonzentration zum antieuropäischen Nationalismus;

• und die französischen Gewerkschaften traten ebenfalls gegen die geplante Kooperation auf, wodurch ein italienischer Autokonzern — nämlich Fiat — den ersten Platz in Europa eroberte.

Das Ziel ist Turin

Alle Wege führen nach Rom, stellte man in Italien fest, aber die meisten Autostraßen Europas führen künftighin nach Turin, denn innerhalb von 14 Tagen brachte es Fiat zuwege, de Gaulles Veto und die bewegten Vertrags Verhandlungen zum Schluß zu überwinden und das Haus Fiat-Citroen nicht nur zur Automacht Nr. 1 in der EWG und in Europa zu machen, sondern auch diesen Konzern zum drittgrößten Autoproduzenten der WOlt zu erheben.

Es zeigte sich wieder einmal, daß diese für ein Vereintes Europa so Wichtige Tat nur durch- Wirlschafts- leute wie Giovanni Agnelli bei Fiat das D’ifekfofiüm ’’ Ses Citroen-Werkes zustande kommen konnte. Die Regierungen — vor allem in Frankreich — sind eher dagegen. Derzeit umfaßt der Vertrag zwei wesentliche Vereinbarungen:

1. enge technische und industrielle Zusammenarbeit mit gemeinsamen Entwicklungs-, Investitions- und Verkaufsprogrammen,

2. finanzielle Regelung über die Bildung einer gemeinsamen Holding französischen Rechts, an der Fiat mit vermutlich 15 Prozent eine relativ bescheidene Beteiligung haben wird. Offen bleiben nach wie vor noch diverse finanzielle Fragen — zusammen werden die beiden Firmen auf jeden Fall in Hinkunft als drittgrößter Autoproduzent des Erdballs zwei Millionen Autos pro Jahr auf den Markt werfen. Denn schon derzeit sind es bei Fiat rund 1,5 Millionen, bei Citroen 500.000. Aber nicht nur auf dem Pkw-Sektor wurde ein Zusammenschluß erreicht, auch die Lastwagen- und Omnibusbranche soll in Hinkunft gemeinsam betreut wefden.

Wesentlich dürfte für den Zusammenschluß aber auch gewesen sein, daß Fiat über sehr gute Beziehungen zum Osten verfügt. Diese Ostkontakte dürften aber auch der Grund dafür gewesen sein-, daß in der Konzeption eine französische und nicht eine deutsche Firma beteiligt war. So wunden nach de Gaulles Veto tatsächlich Gespräche mit deutschen Firmen aufgenommen.

Stoßrichtung: Gemeinsamer Markt

Die Stoßrichtung des erwähnten Zusammenschlusses der beiden Autofirmen zielte zunächst auf den Gemeinsamen Markt Fiat ist vor ällem daran interessiert, daß in den übrigen Ländern der EWG Marktanteile dazukommen und daß der gesamte EWG-Marktanteil von jetzt 20 Prozent für Fiat größer wird. Gegenwärtig kommt jedes vierte in der EWG verkaufte Auto auf die Gruppe Fiat-Citroen.

Nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland wird die Auswirkung dieses Zusammenschlusses wirtschaftlich für die Autoindustrie zu spüren sein — so rechnet man, daß sich auch die deutsche Lastkraftwagenindustrie zu einer starken Konzentration wird durchringen müssen, und in Paris munkelt man bereits von einem bevorstehenden Pakt Renault-Peugeot. Überhaupt dürfte das Beispiel Fiat-Citroen in Europa Schule machen — wer mit wem allerdings, darüber herrscht derzeit noch vollkommene Unklarheit.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung