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Autosalon der Superlative

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Genf ist eine bezaubernde Stadt. Sie verliert ihren Reiz nicht einmal in jenen hektischen Tagen, wenn, wie alljährlich Mitte März, der Autosalon, diese erste, große internationale PS-Schau des Frühjahres, mit dem ungewöhnlichen Andrang in- und ausländischer Besucher ihre Pforten öffnet.

Daß es heuer Besonderes zu sehen geben wird, hatte sich bereits Wochen vorher herumgesprochen. In früheren Jahren pflegten die üblichen Pressempfänge am Tage der Eröffnung, bestenfalls am Vortage stattzufinden.. Diesmal begann der Reigen bereits zwei Tage vor dem Beginn. Diese Zusammenkünfte, die nicht nur von Autofirmen, sondern auch von Organisationskomitees und von verschiedenen mit dem Kraftfahrwesen zusammenhängenden Vereinigungen arrangiert werden, finden meist in einem besonderen Rahmen statt: Entweder in einem der großen Luxushotels der Stadt oder in einem inmitten herrlicher Parkanlagen gelegenen Restaurant, z. B. im „Eaux-Vives“, mit herrlichem Blick auf den See und den Komplex der der UNO-Paläste, oder in eigens adaptierten Räumen des ausgedehnten Ausstellungsgeländes.

Österreich ehrenvoll vertreten

Stärker als sonst war diesmal der Besuch aus Österreich, obwohl durch das Fehlen einer Nutzfahrzeugabteilung im heurigen Salon unsere Industrie nur im Zubehörsektor, dort allerdings sehr würdig, etwa durch Semperit, vertreten war. Journalisten aus Wien und den Bundesländern, Pressephotographen, ein komplettes österreichisches Fernsehteam, die Chefs einer Reihe von Public-Relations-Abteilungen österreichischer Firmen, leitende Funktionäre der meisten mit der Automobilbranche unseres Landes zusammenhängenden Firmen, sie alle waren gekommen, um diesen Salon der Superlative zu sehen.

Seit Jahren gab es nicht so viel Neues, nicht nur, was die Anzahl der von der Tagespresse bereits genau beschriebenen „Weltpremieren“, also noch nirgends vorher gezeigter Modelle, anbelangt, sondern auch in bezug auf Errungenschaften prinzipieller Natur.

Die Automation dringt vor

Beginnen wir mit dem am wenigsten spektakulären Phänomen, dem sich abzeichnenden Umschwung in der elektrischen Ausrüstung der Fahrzeuge: Zugegeben, daß diese Entwicklung vorläufig nur wenigen Eingeweihten auffällt. Das große Publikum hat sie noch nicht zur Kenntnis genommen, und das kann auch gar nicht anders sein, denn bevor diese interessanten, vor allem der Verkehrssicherheit dienenden Neuerungen Allgemeingut werden, wird noch einige Zeit vergehen. Aber sollte man deshalb daran vorbeigehen? Wir stehen wahrscheinlich am Anfang der Automation auch im Automobilbetrieb, in der Automobilerzeugung ist sie ja längst Wirklichkeit geworden. Nach jahrelanger Forschungsarbeit ist es der englischen Firma Lucas in Birmingham gelungen, im Preis erschwingliche Halbleiter (Germanium, Silizium) zu entwickeln und die Erfahrungen der Transistorentechnik mit Schwachströmen auch auf stärkere Ströme zu übertragen. Dadurch ist es möglich, die bisher nur im Flugwesen, in der Fernmeldetechnik und bei ferngelenkten Raketen verwendeten Materialien auch auf Automobilmotoren zu applizieren. Welche Bedeutung dieser neuen Technik zukommt, geht aus der Tatsache hervor, daß die Berner „Automobil-Revue“ in ihrer letzten Ausgabe dem neuen System mehrere Seiten widmet. Die nicht immer einfachen Zusammenhänge lassen sich kurz und auf eine einlache Formel gebracht, etwa folgendermaßen schildern:

In Verbindung mit Photozellen werden uns die Halbleiter in nicht allzuferner Zukunft das sich bei nächtlichen Begegnungen automatisch abblendende Scheinwerferlicht bringen, ferner Park- und Schlußlichter an unseren Fahrzeugen, die sich bei Einbruch der Dunkelheit von selbst einschalten, Rückspiegel, die ohne daß wir sie berühren müssen, die Blendung von rücksichtslosen Hintermännern hintanhalten werden. Die sogenannte „T. A. C.“ (transistor-assisted-con-tact-) Zündung wird die Lebensdauer unserer elektrischen Systeme im Aflto verlängern, die Leistungen steigern und die Wartung bedeutend vermindern.

Die Geburt des Konkavdaches

Das wäre der eine echte Fortschritt, der aus Genf zu vermerken ist. Der andere ist jedermann sichtbar, er kommt auch nicht von ungefähr. Die Tendenz im Karosseriebau hat sich seit Jahren abgezeichnet, sie ist jetzt nur in ein akutes Stadium getreten. Eine der führenden Marken der Welt hatte den Mut, einen ganz ungewöhnlichen Schritt zu tun, der aber letzten Endes nur die konsequente Weiterfuhrung einer gewissermaßen in der Luft liegenden Entwicklung ist. Mercedes Benz hat den 230 SL als Nachfolgetyp für seine beiden Sportwagen 190 SL und 300 SL geschaffen. In den begeisterten Berichten der Weltpresse wird der kraftvolle neue Sechszylinder-Motor mit zahlreichen sehr fortschrittlichen Details (obenliegende Nockenwelle, Sechs-Stempel-Einspritzpumpe und Einspritzung in den Ansaugkanal im Zylinderkopf) gepriesen, der dem Wagen eine ruckfreie Beschleunigung vom 20-km-Stadttempo bis zu 200 km pro Stunde auf Autobahnen verleiht. Daneben aber findet ein Detail dieses Wagens oft nur am Rande Beachtung, nämlich die neuartige Dachkonstruktion, das sogenannte Pagodendach.

Bisher waren alle Autodächer haubenartig geformt, also konvex, nach oben ausgebaucht. Die moderne Linie der letzten Jahre verlangte nach flacheren Dächern, die entstanden auch, aber irgendwo gab es eine Grenze; ganz eben, wie eine Tischplatte, kann man ein Autodach nicht machen, weil es dann keine Festigkeit mehr hätte, und die ist aus Sicherheitsgründen natürlich wichtig. Also ging man bei der Daimler-Benz A. G. einen mutigen Schritt weiter: Man bog das Dach ganz leicht, aber doch sichtbar nach unten aus. Das Konkavdach war geboren mit allen seinen Vorteilen, vor allem der besseren Sicht durch die hochgezogenen Windschutzscheibenecken, was wichtig für den Blick auf Verkehrsampeln und bei Paßfahrten ist. Durch bessere Sicht nach den Seiten durch ebenfalli hochgezogene Türausschnitte werden günstigere Einstiegsverhältnisse geschaffen. Schließlich erfolgt eine weitere Sichtverbesserung durch da Hochziehen der Fensteroberkanten. Konkret gesprochen: 12 cm (I) werden beim Einstieg in den eleganten niedrigen Wagen gewonnen, und um 31 Grad ist der Sichtwinkel nach oben verbessert.

Die Raum- und Sichtverhältnisse haben sich übrigens nicht nur bei dieser Type, sondern ganz allgemein verbessert. Durch die steilere Anordnung der Heckscheiben und die flachen Dächer hat man an Kopffreiheit bei allen modernen Wagen gewonnen, die stirn- und heck-seitigen Knicklinien der schon vor eineinhalb Jahrzehnten vom in Deutschland lebenden Wiener Ingenieur Barenyi geschaffenen und konzipierten Trapezlinie liegen jetzt oft in einer Flucht mit den Leuchtkörpern, die Motorhauben und die Kofferdeckel werden immer breiter. Das also wären die wichtigsten baulichen Tendenzen, die uns in Genf aufgefallen sind.

Von Mailand bis Tokio

Für jene Leser, die einen Salonbericht für unvollständig halten würden, wenn nicht doch wenigstens die wichtisten Neuheiten erwähnt würden, seien die folgenden Neuerscheinungen kurz genannt und telegrammstilartig beschrieben:

ASA/lOOO ist eine neue Spyder-Karosserie von Bertone, eine junge Mailänder Marke, ATS ist ebenfalls ein Neuankömmling Italiens aus Bologna, Citroen brachte eine Luxusausführung des bekannten 2 CV, Fiat eine Reihe von wunderschönen Modellen, darunter den 1100-D-Fa-miliare, ein verbessertes Modell 1600 S und die Luxuslimousine 2300. Ford zeigte neben dem Sportwagenprototyp „Mustang“ zwei der sich immer größerer Beliebtheit erfreuenden Stationswagen, vom englischen Cortina in viertüriger und vom deutschen Taunus 12 M in zweitüriger Ausführung, Lancia brachte einen entzückenden 1,1 Liter (Frontantrieb), mit dem klingenden Namen Fulva, auch Opel ließ es sich nicht nehmen, ein Kombi-Mcdell auf dem Kadett zu präsentieren, und die französische Großfirma Simca überraschte Publikum und Fachwelt mit gleich drei Ausführungen des Modells 1300/1500.

Die Engländer stellten erstmals den Sunbean-Alpine-Mark-III mit einigen interessanten Verbesserungen vor, und dann gab es, wie immer in der Schweiz, eine ganze Reihe hinreißend schöner Schweizer und italienischer Spezialkarosserien von Bertone, Ghia, Pininfarina, Graber usw. Auch exotische Länder waren vertreten, etwa Israel durch den Sabra (Kaktus) genannten, zum Teil von der englischen Firma Reliant gebauten Wagen, ferner Japan mit einem von Michelotti karossierten Hino (Contessa Sprint), und Rußland rüstet neuerdings gewisse bereits bekannte Typen mit englischen Rover-Dieselmotoren aus.

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