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Arbeitszentrum des ÖAMTC

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Anfang Mai findet anläßlich der Generalversammlung des österreichischen Automobil-, Motorrad- und Touring-Clubs (ÖAMTC) die feierliche offizielle Einweihung eines neuen Gebäudekomplexes im 15. Wiener Bezirk, Schanzstraße 44, statt, auf den nicht nur der Touring-Club, sondern die gesamte österreichische Kraftfahrerschaft stolz sein können.

Schon im März d. J. gab es für die Presse einen Empfang in den neuen, von Architekt Prof. Dr. Schwänzer geschaffenen Räumlichkeiten. Der Betrieb dieses Arbeitszentrums läuft dort allerdings schon seit Anfang des Jahres. Es dient, wie Dipl.-Ing. B. Coreth, der Generalsekretär des Touring-Clubs, und Dr.-Ing. G. Seidel, der Leiter der Technischen Dienste des ÖAMTC, ausführten, gleichermaßen der Verkehrssicherheit, weil hier dafür gesorgt wird, daß Fehler an Kraftfahrzeugen rechtzeitig erkannt werden, und auch der Betriebssicherheit und damit der Wirtschaftlichkeit der geprüften Automobile und Motorräder. Den beiden Vorträgen folgte eine Führung durch die mit den fortschrittlichen Maschinen und Geräten ausgestatteten Prüfräume.

Nach Dornbirn, Innsbruck, Salzburg und Linz ist durch die Errichtung dieser modernsten Prüfstelle in Wien ein vorläufiger Abschluß und zugleich ein Höhepunkt jener Kette von Objekten in den einzelnen Bundesländern geschaffen worden, mit denen der ÖAMTC eine Baugesinnung an den Tag legt, um die ihn andere Klubs beneiden dürften. Das Objekt ist organisch mit dem heute etwa 300.000 Mitglieder zählenden Klub gewachsen. Es ist damit ein Grundstein gelegt worden für das Vertrauen seiner Mitglieder; die funktionelle Gestaltung und die stilistische Form sind Ausdruck unserer Zeit.

Die meisten der zur Eröffnungsfeierlichkeit erschienenen Gäste waren überrascht, was hier in bloß zweieinhalb jähriger Bauzeit geschaffen wurde: Ein Areal mit 20.000 Kubikmeter umbautem Raum, mit einem Gesamtaufwand von 30 Millionen Schilling dient mit dem Verwaltungsgebäude, mit der fließbandartigen Reihenüberprüfung von Fahrzeugen, der Teststation für Sonderprüfungen und der Zentralgarage für die Fahrzeuge der „Gelben Engel“ der Betreuung der Mitglieder des ÖAMTC. Was besonders erfreulich ist: Hier gibt es keine Parkplatzschwierigkeiten, und der ganze Komplex ist so angelegt, daß er im Bedarfsfall erweitert werden kann.

Im Vorraum des Hauptgebäudes überrascht ein großer, heller Schalterraum, in dem Informationen erteilt und Behelfe, Dokumente usw. ausgegeben werden. Hier ist die Leitung der Technischen Dienste untergebracht. In der Mitgliederabteilung läuft der vorläufig händische Betrieb auf vollen Touren. Einmal wird man, wenn die Zahl der Mitglieder so weiterwächst wie bisher, auf IBM-Lochkarten umsteuern müssen, worauf jetzt schon bei der Planung Rücksicht genommen wurde. Eine der größten Zeitungen Österreichs, das offizielle Organ des ÖAMTC, der „Auto Touring“, wird von hier aus vertrieben. In der Versicherungsabteilung verwaltet man 30.000 Versicherungsverträge; in der Sportabteilung und in der „Obersten Nationalen Sportkommission“ werden die motorsportlichen Ereignisse betreut.

Ein Prachtobjekt des neuen Gebäudekomplexes ist der Vortragssaal mit einem Fassungsraum von 150 Personen, der mit allen nur möglichen akustischen und optischen Finessen ausgestattet ist. Da hier Lehr- und Bastlerkurse, auch Schulungen des Fachpersonals und Vorträge stattfinden, bei denen am Kraftfahrzeug selbst und nicht etwa nur an Wandtafeln Anschauungsunterricht erteilt werden soll, hat man Vorsorge getroffen, daß mit Demonstrationsfahrzeugen von der Straße aus direkt in den Saal gefahren werden kann. In der Verkehrsplanung der Städte schwebt bekanntlich den Planern als Ideal die Trennung des Fußgängers vom Fahrverkehr vor. Hier ist sie im kleinen vorbildlich durchgeführt. Im Untergeschoß zirkulieren die Fußgänger, zu ebener Erde die Fahrzeuge. In ersterem sind Lagerräume, die sanitären Anlagen und die Heizung untergebracht.

Das Interessanteste im neuen Arbeitszentrum ist natürlich die Reihenüberprüfung der Fahrzeuge. Sie erfolgt auf zwei parallelen Fließbändern, im Taktverfahren passieren die Fahrzeuge elektronische Prüfgeräte, das Diagnosepersonal und der Besitzer des Fahrzeuges gehen mit dem „Prüfling“ durch zehn Takte, von denen jeder sechs Minuten dauert. Außerdem gibt es eine Teststation für Sonderprüfungen mit zusätzlichen Spezialgeräten für alle jene Fälle, in denen ein Mitglied keine Gesamtuntersuchung seines Fahrzeuges wünscht, dafür aber die Diagnostizierung eines bestimmten Fehlers. Auch solche Fahrzeuge, bei denen am Fließband Verdachtsmomente auftreten, die in der vorgeschriebenen Zeit nicht geklärt werden können, kommen in diese Abteilung. Karosserie- und Lackschäden können hier durch ein spezielles optisches Verfahren einwandfrei festgestellt werden, selbst wenn sie noch so raffiniert verdeckt worden sind.

Dreißig Pannenfahrzeuge sind in einem Garagenraum untergebracht. Er enthält auch die Telephonzentrale für die Pannenhilfe und die Aufenthalts-, Garderobe- und Duschräume für die Pannenfahrer, die im Jahresdurchschnitt 400 bis 500, in Stoßzeiten bis 1000 Einsätze pro Tag fahren. Vielleicht interessiert es, daß an der Wiege der Technischen Dienste des ÖAMTC eine Fachzeitschrift, der „Auto Touring“, stand. Schon in den ersten Nachkriegsheften dieses Organs entfaltete sich ein Frage- und Antwortspiel, dessen Hauptthema, bedingt durch die damaligen Zustände, in den Unzulänglichkeiten eines zerschlagenen Kraftfahrzeugbestandes lag Aus dem „Briefkasten“ entwickelte sich lawinenartig eine Flut mündlicher Auskünfte. Immer wieder war es nötig, auch vor der Haustür das Fahrzeug eines Fragestellers zu untersuchen. Daher wurde schon 1949 ein richtiger Technischer Dienst notwendig; er amtierte in einer kleinen Garagenbox, wo damals im Prinzip die gleiche Einzelprüfung vorgenommen wurde wie jetzt labormäßig im modernst ausgestatteten Testbetrieb der Schanzstraße.

Die Mitglieder des Touring-Clubs kommen mit ihren technischen Sorgen und im Vertrauen auf die inzwischen unvergleichlich besseren Diagnosemöglichkeiten ins Arbeitszentrum, wo schon zu einer Zeit Behelfe der Medizin auf das Kraftfahrzeug angewendet wurden, als dies noch etwas Ungewöhnliches war. Viele dieser Instrumente haben sich inzwischen in Form von Testgeräten in der Methodik der Kraftfahrzeugdiagnose allgemein eingeführt und sind sogar als serienmäßige Erzeugnisse zu kaufen. Vorbild waren das Zystoskop, der Zahnspiegel, das Elektrokardiogramm und der Pneumothorax. Auch die Fernsehröhre wird zur Kraftfahrzeugüberprüfung verwendet.

Bald kamen Mitglieder nicht nur mit dem Wunsch nach konkreter Feststellung eines bestimmten Mangels zum Technischen Dienst, sondern auch, um ihr Fahrzeug vor der Urlaubsfahrt durchsehen zu lassen, oder weil sie einen Wagen aus zweiter Hand kaufen wollten, dessen Geheimnisse zu ergründen waren. Daher wurde in der kleinen Garage das System der Reihenüberprüfung entwik-kelt und zu einem routinemäßigen Vorgang gebracht, bei dem zwei Fachleute in einer Stunde optimale Diagnoseerkenntnisse schufen. Diese Art der Reihenüberprüfung wird heute übrigens in 22 mobilen Prüfstellen und in 19 stabilen Prüfboxen im ganzen Bundesgebiet angewendet. Nur in der großen Prüfhalle des Arbeitszentrums in der Schanzstraße wird nunmehr nach dem neuen Fließbandsystem vorgegangen.

Noch viel zu wenig bekannt ist die umfassende Organisation des ÖAMTC: Er gehört zu den Gründungsmitgliedern der vier großen offiziellen Weltverbände des Kraftfahrwesens (AIT, FIA, FIM und OTA) und ist in der perzentuellen Erfassung der Kraftfahrer Österreichs einer der führenden Klubs der Welt. Fast die Hälfte der österreichischen Automobilisten ist nämlich im ÖAMTC zusammengeschlossen. Nicht nur relativ, auch absolut gehört er zu der Gruppe der zehn größten Kraftfahrzeugorganisationen. Seine Technischen Dienste nehmen eine Spitzenstellung ein. Sie haben 1963 zirka eine halbe Million technischer Hilfsleistungen aller Art erbracht. Dies entspricht einem Tagesdurchschnitt von über 1300 Hilfen.

Die Straßenwacht des Touring-Clubs konnte im Vorjahr über 14.000 ausländischen Kraftfahrern kostenlos helfen. Die Einsatzfahrzeuge seiner Technischen Dienste bilden derzeit eine Flotte von 187 Automobilen, die im letzten Jahr über drei Millionen Kilometer zurückgelegt haben. Nicht unerwähnt soll bleiben, daß das „Kuratorium für Verkehrssicherheit“ auf Initiative des ÖAMTC gegründet wurde und von der Fachwelt des Auslands sowohl in bezug auf seinen Aufbau wie auf seine Arbeitsleistung als vorbildlich bezeichnet wird.

Die Zentrale am Schubertring wird nunmehr ebenfalls etappenweise ausgebaut und instandgesetzt; einige Abteilungen, wie das Generalsekretariat, die Rechtsabteilung, die Verwaltung des Auto Touring, die Hausdruckerei usw. verbleiben im Stadtzentrum.

Einige Zahlen, die sich nur auf die Technischen Dienste des Klubs beziehen, zeigen, welche Leistungen alljährlich vollbracht werden. Von 1961 bis 1963 stieg die Zahl der technischen Leistungen von 405.606 auf 516.582, also um 27 Prozent (stabile und mobile Prüfdienste, Pannenhilfe und Straßenwacht zusammengenommen). Der Personalstand stieg in dieser Zeit von 221 auf 255, also bloß um rund 15 Prozent. Auch der Fuhrpark veränderte sich von 156 Fahrzeugen auf 187, was einem zwanzigprozentigen Zuwachs entspricht. Aus diesen Zahlen geht deutlich hervor, daß sich die Produktivität außerordentlich gebessert hat. Die Zahl der gefahrenen Kilometer der Pannenhilfe innerorts und der Straßenwacht über Land stieg von 3,460.089 Kilometer im Jahre 1962 auf 3,603.192 Kilometer im Vorjahr.

Im neuen Arbeitszentrum wurde ein Werk geschaffen, das nicht nur die künftige Entwicklung des österreichischen Kraftfahrwesens vorweggenommen hat, sondern den guten Ruf Österreichs auch im Ausland festigt, denn beim wachsenden Fremdenverkehr — bekanntlich reisen zirka 85 Prozent der Touristen mit Kraftfahrzeugen ein — kommen immer mehr ausländische Kraftfahrer in den Genuß einer Einrichtung, die zur Hebung der Verkehrssicherheit und auch zum Wohlbefinden unserer Gäste geschaffen wurde.

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