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Das Automobil als Reisegepäck

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Monate vor seinem Beginn war unser Urlaub geplant worden. Es sollte ein problemloser Aufenthalt im sonnigen Süden werden, einmal mit dem eigenen Fahrzeug und nicht mit einem Testwagen, also ohne Verbrauchsmessungen und Abstecher von der Route, um etwa auf einer kurvenreichen Bergstrecke die Straßenlage zu prüfen. Es sollten keine Notizen gemacht und es mußte kein Bericht geschrieben werden. Etwa die Hälfte der Ferientage verlief durchaus programmgemäß, angefangen mit kleinen Badefreuden in Kärnten und, zum Entzücken der Kinder, einem Besuch in Minimundus, der „kleinen Welt am Wörthersee“ (übrigens eine Aktion der österreichischen Gesellschaft „Rettet das Kind“) und einem Tag in Venedig bis zu dem Einzug in einem durch den ÖAMTC gemieteten Bungalow am Adriastrand, nördlich von Ravenna, mit Kochgelegenheit, Dusche, Einkaufsmöglichkeit, herrlichem Sandstrand, mit einem tagsüber schattigen, in der Nacht beleuchteten und bewachten Parkplatz für den Wagen. Aber plötzlich wandelte sich die Situation, es traten Ereignisse ein, welche nicht verschwiegen werden sollten, damit Italienfahrer vor Schaden, Ärger und Zeitverlust bewahrt werden. Unser Standort lag nicht weit von Städten mit besonderer historischer Bedeutung, wie Padua und Ferrara, entfernt, deren Besichtigung selbstredend ebenfalls mit zu den Ferienfreuden gehörte. Nicht minder wichtig erschien uns der Besuch der Abtei von Pomposa, um so mehr, als dort an bestimmten Tagen deutschsprachige, fachmännische Führungen stattfinden. Hier hat um 1000 nach Christus Guido d'Arezzo, ein Benediktiner, die Anfänge unserer Notenschrift geschaffen. Einen bewachten Parkplatz gibt es dort zwar nicht, aber keine 40 Meter von einer vollbesetzten „Bar“ (die Gäste saßen im Freien) stand eine schattenspendende Baumgruppe; wir stellten unser Fahrzeug, natürlich abgesperrt, zu den anderen, legten alle wertvollen Dinge auf den Boden, deckten alles sorgfältig zu, schlössen Ausstellfenster, Seitenscheiben und Türen ab und uns der Führung an.

Zurückgekehrt, fanden wir ein Ausstellfenster „fachmännisch“ erbrochen vor, sämtliche Wertgegenstände (Filmkamera, Photoapparat, Zusatzobjektive, Blitzlicht, Femglas, -Aktentasche mit Schecks, Geld, Dokumente wie Paß und Führerschein) waren entwendet. Die Polizei war zwar rasch zur Stelle, aber aus der Art der Erledigung ging klar hervor, daß sie möglichst wenig mit der Aufklärung des Falles zu tun haben wollte (keine Befragung der Bargäste oder der Besitzer der neben uns parkenden Wagen, von Spurensicherung ganz zu schweigen, auf die Beschädigung des Wagens durch den Einbruch mußte erst eigens aufmerksam gemacht werden). Routinemäßig wurde eine Bestätigung ausgestellt („eine Kopie für Ihre Versicherung“) und empfohlen, in das 60 Kilometer entfernte Ferrara zu fahren, wo angeblich in der Quästur des Fremdenamtes Ersatzpapiere und sogar Geld für die Heimreise zur Verfügung gestellt würden. Unser Treibstoffvorrat langte knapp bis zur Quästur, dort stellte sich allerdings heraus, daß erstens zwar die kleinen, aber nicht bevollmächtigten Beamten von einer rührenden Hilfsbereitschaft waren, dafür aber nur sehr mangelhafte Sprachkenntnisse besaßen, und zweitens, daß der Abteilungschef des Fremdenamtes nicht einmal über diese verfügte und uns einfach ans österreichische Konsulat nach Venedig verwies. Die Frage, wie man dorthin ohne Geld und Treibstoff gelangen solle, wurde mit einem Achselzucken beantwortet, von Ersatzpapieren oder gar von Geld für die Rückreise war nicht die Rede. Obwohl auch der Schutzbrief des ÖAMTC gestohlen worden war, begaben wir uns zum Autoklub von Ferrara, der ein Telephongespräch mit unserem Club in Wien vermittelte. In Wien war die Reaktion auch routinemäßig, allerdings mit dem Unterschied, daß rasch und wirksam geholfen wurde: Innerhalb von etwa 18 Stunden hatten wir 5000 Schilling In bar und Duplikate der Fahrkarten, des Schlafwagens und des Frachtbriefes für die Rückbeförderung des Wagens von Venedig nach Wien — sie waren beim Einbruch ebenfalls abhanden gekommen — in der Hand:7Eine Hostess des Autoreisezuges Wien—Bari händigte uns die rettenden Scheine in aller Herrgottsfrühe nach dem Hüferuf am Bahnhof von Ferrara aus, als wäre das die selbstverständlichste Sache der Welt. Der ÖAMTC, das österreichische Verkehrsbüro, die „Arbeitsgemeinschaft österreichischer Reisebüros“ hatten ganze Arbeit geleistet.

Die Lehre aus unserer Geschichte: Die erwähnten Vorsichtsmaßnahmen beim Abstellen eines Wagens in Italien genügen nicht. Man muß sich der Mühe unterziehen, Wertgegenstände entweder überhaupt nicht im Wagen oder zumindest nur im versperrten Kofferraum zu belassen, nachts ist auch das nicht ratsam. Oder aber, man läßt — und das haben wir oft beobachtet— ein Familienmitglied im Wagen als „Wache“ zurück, was allerdings dem gemeinsamen Erleben von Ferienfreuden nicht gerade zuträglich ist. Keinesfalls aber darf man eine Italienreise ohne Schutzbrief, ohne Gepäcks- und Kaskoversicherung, letztere zumindest für die Dauer des Aufenthaltes, antreten. Aus unerfindlichen

Gründen wird die längst versprochene Einführung einer gesetzlichen Haftpflicht in Italien immer wieder auf die lange Bank geschoben. Nach letzten Meldungen wird sie auch zum „endgültigen Termin“, am 1. Jänner 1971, nicht erfolgen.

Ebenso glatt und planmäßig wie der Beginn unserer Ferienreise verlief die letzte Phase, die Rückfahrt mit dem Auto als Reisegepäck. Diese in zahlreichen Ländern seit Jahren geübte moderne Art des Reisens ist bei uns noch wenig bekannt. Autoreisezüge sind eine nerven- und zeitsparende Einrichtung und, nimmt man alles in allem, eine gar nicht so kostspielige Angelegenheit. In unserem speziellen Fall: Wir verluden den Wagen zwischen 20 und 21 Uhr in Venedig-Mestre, fuhren um 22 Uhr ab und langten in den frühen Morgenstunden frisch und ausgeschlafen In Wien-Südbahnhof an, ein ganzer Reisetag war gewonnen, es gab keinen Ärger mit Stauungen und Kolonnenfahren, Hostessen des österreichischen Verkehrsbüros und Herren der „Arbeitsgemeinschaft der Reisebüros“ stehen mit Rat und Tat zur Seite, die Zollabfertigung erfolgt rasch und unbürokratisch, das Verladen der Fahrzeuge ist denkbar einfach. Man hat vor dem Auffahren über eine Rampe auf den offenen Waggon bloß die Radioantenne ein- und, oben angelangt, die Handbremse anzuziehen, den ersten Gang einzulegen und das Fahrzeug zu verschließen. Die Verankerung auf dem Waggon besorgen Bahnbedienstete. Wer rechtzeitig zur Verladung kommt, hat vor Abgang des Zuges Zelt, einen Imbiß einzunehmen. Die Kosten der Fahrt Mestre—Wien für ein Fahrzeug von 4,7 m Länge beliefen sich auf S 670.—, die Bahnfahrt 2. Klasse pro Person auf S 194.—; für den Liegewagen wären S 85.— zu bezahlen gewesen, wir allerdings zogen den Schlafwagen vor, was pro Person S 176.— kostete. Zwei Personen geben daher bei Benützung eines Schlafwagens S 1410.—, im Liegewagen bloß 1228 Schilling aus. Die Strecke Venedig-Wien mißt zirka 650 km, mit einem Fahrzeug der Mittelklasse betragen die reinen Treibstoffspesen (12 Liter Super pro 100 km) rund 304 Schilling, dazu kommen eine Übernachtung mit Frühstück und einer Hauptmahlzeit, also weitere 500 Schilling, das sind bereits zirka 800 Schilling, doch ist diese Rechnung ein Selbstbetrug. Realistischer ist es, das „amtliche Kilometergeld“ zur Berechnung der tatsächlichen Kosten heranzuziehen, es beträgt zur Zeit für einen Wagen über 2000 ccm S 2.60, und das ergibt auf der Distanz Venedig—Wien S 1690.—, also einige hundert Schilling mehr als die Fahrt per Reisezug.

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