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Hervorragende Mittelklasse

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Es war Anfang März dieses Jahres. Ein schöner Vorfrühlingstag. Auf dem Reifen- prüfgelände Semperit in Kottingbrunn. Ford- Binteregger hatte Motorjournalisten zu einem Testtag eingeladen. Kein alltäglicher, sondern ein ganz ungewöhnlicher: War da doch eine „Rumpelistrecke” aufgebaut worden aus rauhen Holzbohlen, über die man so rasch als möglich fahren mußte, ohne eine an den Wagen (Ford 17 M) amgeschnallte Eierkiste allzusehr zu erschüttern. Für jedes zerbrochene Ei gab es Strafpunkte. Spektakulärer waren Sprünge mit denselben Fahrzeugen über eine Holzrampe (Weiten von rund 10 Meter wurden von den 25 bis 30 Presseleuten erzielt), und noch manches andere wurde den Fahrzeugen zugemutet.

Warum darüber noch jetzt berichtet wird, da doch Bilder und Beschreibungen dieser Zerreißprobe bereits durch die Tages- und Fachpresse gegangen sind? Weil gerade für mich der Testtag kein einmaliges Ereignis, sondern ein Anfang war, und das kam so: Zum Genfer Salon sollte ich mit einem „Großen Amerikaner” fahren. Just am Tag vor der Abreise, gerade während der 17-M-Quälerei in Kottingbrunn, kam die Nachricht, mein „Straßenkreuzer” sei auf dem Transport nach Wien von einem anderen Wagen gerammt worden. „Dann nehmen Sie eben einen unserer drei Testwagen”, meinten die Herren von Ford, und ohne weitere Formalitäten drückten sie mir Schlüssel und Papiere in die Hand. Noch nie hatte ich ein Fahrzeug mit so gemischten Gefühlen übernommen: Einerseits Freude über die Großzügigkeit der Ford-Leute, anderseits aber Bedenken, denn es war spät am Nachmittag, eine gründliche Untersuchung des 17 M nach all den Torturen war nicht mehr möglich, der Start für meine Reise war für den nächsten Tag zeitig früh festgelegt.

Niemand von den Mitfahrenden nahm es mir übel, daß ich zu Beginn der Reise sehr vorsichtig fuhr. Selbst auf der Autobahn übte ich äußerste Zurückhaltung. Nur sich nicht verführen lassen durch das Temperament des Motors, durch die leichtgängige Lenkung, die guten Bremsen! Vorsorglich hatte ich mir ein Verzeichnis der Ford-Kundendienststellen auf der Strecke nach Genf geben lassen. Beim geringsten Verdacht, daß etwas am Wagen nicht in Ordnung sein könnte, beim leisesten irregulären Geräusch wollte ich sofort eine kompetente Werkstätte aufsuchen. Die Sorge war unbegründet. Mit jedem Kilometer wuchs die Gewißheit, daß sich der 17 M in perfekter Verfassung befand, obwohl nach dem Testtag nichts am Wagen gemacht worden war: Keine Schraube wurde nachgezogen, nichts wurde einreguliert oder neu eingestellt, kaum daß der Wagen einer ganz kurzen und flüchtigen Kontrolle unterworfen worden war. Dabei war das Wetter während der Fahrt durchaus nicht immer günstig. Am Tag vor der Ankunft in Genf herrschte ein Schneesturm wie schon lange nicht, Regen, Winde, stellenweise auch noch Schnee und Glatteis, der 17 M schnurrte seine Kilometer herunter, daß es eine Freude war.

Das ursprüngliche Mißtrauen wandelte sįch, und als das Fahrzeug nach zehntägiger Benützung und mit genau 2450 Kilometer mehr am Tachometer zurückgegeben wurde, ohne daß (außer zur Ölkontrolle) auch nur einmal die Motorhaube geöffnet worden wäre, da fiel der Abschied gar nicht so leicht, so hatten wir uns aneinander gewöhnt Was den Wagen so sympathisch macht? Man ermüdet selbst auf langen, scharfgefahrenen Strecken überhaupt nicht, und man hat immer, in jeder Situation, ein sicheres Gefühl. Und dazu kommen noch die vielen Kleinigkeiten, wie etwa die Federn an den Türscharnieren, welche die Türen in weitgeöffneter Stellung festhalten, das absperrbare Handschuhfach, die stufenlos regelbare Helligkeit der Instrumentenbeleuchtung, die Scheibenwischer, die nur einmal hin und her gehen, wenn man die Fußpumpe der Scheibenwaschanlage nur kurz antippt, die sofort ansprechende Heizung und Belüftung. Man kann den Frischluftstrom leicht dosieren und lenken, alle Hebel und Kippschalter (mit einer Ausnahme allerdings) sind leicht zugänglich.

Rätselhaft, warum gerade der wichtigste, der nämlich, der die Scheinwerfer bedient, so angeordnet ist, daß man ihn bei Dunkelheit nur schwer findet. Wenn wir schon bei der Kritik sind: Warum muß die Tachometernadel gerade bei der Geschwindigkeit, die man am häufigsten fährt, die Kilometeranzeige verdecken? Das sind Unzulänglichkeiten, die einen bei einem sonst so wohldurchdachten Fahrzeug ärgern. Und warum muß das Reserverad so ungeschickt angeordnet sein, daß man auf längeren Reisen, wenn der Kofferraum vollgepackt ist, nicht nur nicht dazu kann, nicht einmal der Pneudruck läßt sich kontrollieren, weil das Ventil auf der verkehrten Seite sitzt. Das alles müßte nicht sein, aber es hat unserer Freude am Wagen keinen Abbruch getan, denn es sind eben nur Kleinigkeiten, die man gern verzeiht, wenn man die sonstigen Vorteile in Betracht zieht, wie die Verstellbarkeit der Sitze, ihre Bequemlichkeit, die gute Sicht, das Raumangebot auch für die Fondpassagiere; das alles macht den Wagen zu einem idealen Transportmittel für große Fahrt, seine Wendigkeit, die leichte Handhabung prädestinieren ihn aber ebenso zum Stadtfahrzeug.

Zu alldem kommt noch eines: Die Wirtschaftlichkeit. Trotz forcierter Fahrweise, stundenlangem Dauerhöchsttempo auf Autobahnen und trotz schrittweisem Kolonnenverkehr in der überfüllten Genfer Stadt war der Verbrauch mit etwas über 10 Liter pro 100 Kilometer außerordentlich niedrig, und das Erstaunlichste war, daß wir keinen Tropfen öl nachgießen mußten. Bei jedem Tanken, besonders nach Tempofahrten, haben wir den Ölstand gewissenhaft kontrolliert, er blieb immer gleich, dabei wäre ein halber bis ein Liter öl pro tausend Kilometer Fahrt, insbesondere nach schonungsloser Behandlung, durchaus normal gewesen. Ziehen wir auch noch die Synchronisation des Getriebes, die ohne Fehl und Tadel ist, den niedrigen Geräusch spiegei auch bei hohem Tempo und das stufenlose Gebläse in Betracht, das auch bei langsamer Fahrt zusammen mit den Entlüftungsöffnungen in den hinteren Dachholmen für den Abzug verbrauchter Luft sorgt, dann rundet sich das Bild folgendermaßen ab: Ein Wagen mit sehr vielen Plus- und vemachlässigbar wenigen Minuspunkten, ein Fahrzeug der Mittelklasse par excellence, wirtschaftlich, wendig, ermüdungsfrei zu fahren, bequem und sicher. Obwohl diese halbe Liebeserklärung kein „Test” im eigentlichen Sinne, sondern nur ein Fahrbericht ist, zum Schluß doch zwei kurze Zahlenangaben: Es wurden von 0 auf 80 Stundenkilometer genau 10 Sekunden, auf 100 Stundenkilometer weitere 6 Sekunden benötigt. Auch diese Werte sind für ein Fahrzeug dieser Größe recht günstig.

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