6640079-1957_39_23.jpg
Digital In Arbeit

Hübsch, rassig — und lebensgefährlich

Werbung
Werbung
Werbung

In den Jahren nach dem Krieg konnte es ein Tester von Kraftfahrzeugen noch verantworten, an den damaligen Fahrzeugen eine Reihe von Nachteilen großzügig zu übersehen. Der Grund hierfür ist in der Tatsache zu suchen, daß sämtliche Automobilwerke jener europäischen Län der, die in den Krieg verwickelt waren, erst wieder Anschluß an eine normale Friedensproduktion finden mußten. Dazu waren riesige Investitionen erforderlich, um überhaupt fertigen zu können, und es war deshalb nur zu verständlich, daß eine Reihe von Konstruktionsdetails nicht ganz befriedigten. Voraussetzung war aber auch damals, daß sich diese schlechten Eigenschaften nicht auf Bremsen. Lenkung, Straßenlage, Licht, Fahreigenschaften usw. überhaupt bezogen. Ueber anatomisch nicht richtig gebaute Sitze, mangelhafte Platzvezhältnisse und ähnliches sah man jedoch hinweg, in der Ueberzeugung, die friedliche Entwicklung werde diese Schwierigkeiten und Mißstände automatisch eliminieren.

Heute, nach mehr als zwölf Friedensjahren, gilt es, einen wesentlich strengeren Maßstab anzulegen. Und dabei ergibt sich die bedauerliche Feststellung, daß die Automobilindustrie — und hier namhafte Firmen — ihren Erzeugnissen zwar elegante Formen, eine hübsche Lackierung und vielfach ein einwandfreies Finish verleihen, es aber bei vielen Konstruktionen an wesentlichen Sicherheitsmomenten fehlen läßt.

Unser Vorschlag geht dahin, in jeder Automobilfabrik, die etwas auf sich hält, nicht nur einen Formgestalter, der für die Verkaufserfolge mitzeichnet, sondern auch einen Sicherheitsingenieur zu beschäftigen. Wir sind sogar der Meinung, daß dieser Mann nach dem Chefkonstrukteur den wichtigsten Posten in der ganzen Automobilfabrik darstellt. Nur solche Konstruktionen dürfen in Serie gehen, zu denen e r seine Zustimmung gegeben hat. Die Folge davon wäre zweifellos ein fühlbares Absinken der schweren und tödlichen Verletzungen bei Verkehrsunfällen, und das wäre, weiß Gott, schon lange notwendig.

Außerdem sollten sich die Automobilerzeu- ger einmal vor Augen führen, daß Unfallschutz auch ein recht brauchbares V erkaiifsargu- m e n t ist, das sich propagandistisch zweifellos erfolgreich verwenden ließe.

Wir sind davon überzeugt, daß die Käufer keineswegs so dumm sind, wie man dies anscheinend anzunehmen gewillt ist. Jeder von ihnen wird durch Verkehrssicherheitsargumente angesprochen werden. Es gibt doch fast keinen Automobilisten, der nicht bereits Zeuge eines schweren Verkehrsunfalles war und sich dabei Gedanken über Fahrzeugkonstruktionen gemacht hat. Auch die Unbelehrbaren sehen nach einem solchen Unfall ein, daß das beste Auto nicht das ist, das den schönsten Lackfarbtor., die eleganteste Form und die hübscheste Kühlermaske aufweist, sondern jenes, das bei einem Unfall die Insassen Weitestgehend schützt.

Wir möchten sogar noch einen Schritt weitergehen und den Versicherungen anraten, den Besitzern von Fahrzeugen mit besonderem Insassenschutz Begünstigungen zuzubilligen. Es sollte zu diesem Zweck innerhalb der Versicherungen sogar ein Sachverständigenkomitee gebildet weiden, das nach einem Punktesystem den Insassenschutz und die Verkehrssicherheit eines jeden Fahrzeuges beurteilt. Wenn man sich heüte eine Reihe namhafter und neuer Automobilkonstruktionen ansieht, dann kommt man immer wieder: zu der erschütternden Erkennntis: es wurde in dieser Richtung fast nichts unternommen. Vereinzelte schüchterne Versuche erstrecken sich heute lediglich auf gepolsterte Armaturenbretter, vor allem für den Passagier auf dem sogenannten „Todessitz". Wenn man sie sich jedoch näher besieht, muß man feststellen, daß auch dieses Armaturenbrett immer noch härter ist, als es ein „normaler“ Kopf verträgt.

Hier sei einmal versucht, in groben Umrissen jene Faktoren aufzuzählen, die bei Ausdehnung des Insassenschutzes zu berücksichtigen wären.

Armaturenbrett: Das schaumgummigepolsterte Armaturenbrett müßte allgeme'n durchgeführt und die Polsterung hierbei so beschaffen sein, daß sie auch bei wirklich star

kem Aufprall den Stoß dämpft. Vorspringende Ecken und Kanten sind absolut zu vermeiden.

Windschutzscheibe: Es genügt nicht, daß man die Windschutzscheibe aus splitterfreiem Glas herstellt, wenn sie eine Festigkeit besitzt, die ein norm der Schädel nur selten aushält. Es gibt Fahrzeuge, deren Windschutzscheibe im entscheidenden Moment nicht splitterte, der Beifahrer aber erlitt trotzdem tödlichen Schädelbruch! Eine Binsenweisheit ferner: Die Windschutzscheibe müßte bei einem bestimmten Aufprall automatisch aus dem Rahmen fallen, wodurch die Möglichkeit einer Verletzung bedeutend herabgesetzt ist.

Lenkrad: Seit Jahrzehnten weiß man, daß die schwersten Verletzungen des Fahrers durch die aufspießende Wirkung der Lenksäule zustande kommen. Bei einem Zusammenstoß werden die Lenkradspeichen meist gebogen oder gebrochen, und die Lenksäule dringt dann in d?n Brustkasten des Fahrers. Die Amerikaner haben hier bereits in einigen Fahrzeugen Abhilfe geschaffen, indem sie den Lenkkranz mit nach unten schrägstehenden Speichen an der Lenksäule abstützen, so daß diese tiefer liegt als der Lenkring, wodurch er bei Zusammenstößen tragend wirkt. Wenn diese Lenkräder dann noch bei Druck nachgeben, sollte eigentlich d?r Sicherheit Genüge getan sein. Daß solche Lenkräder auch hübsch ausgeführt werden können, zeigen die bereits in amerikanischen Fahrzeugen in Verwendung stehenden deutlich.

Rückspiegel: Rückspiegel gehören nicht in, sondern außerhalb des Fahrzeuges angeordnet, denn der in der Mitte der Windschutzscheibe angebrachte, vorragende, kanten- und

eckenreiche Körper ist im allgemeinen auch noch steif befestigt und gibt dadurch bei einem Aufprall nicht nach. Er hat bereits zu schwersten Schädelverletzungen geführt. Wenn er schon im Fahrzeug angeordnet werden muß, was jedoch absolut nicht notwendig ist, so könnte man ihn zumindest an einem Kugelgelenk aufhängen, das bei Aufprall sofort nachgibt.

Sitze: Sicherheitsgürtel müßten zur absoluten Standardausführung jedes Fahrzeuges gehören. Gurten wie bei Flugzeugen reichen nicht aus, die Gürtel müßten auch um die Schultern gelegt werden können, damit bei einem Zusammenstoß oder einem Aufprall der Oberkörper nicht gegen das Armaturenbrett oder die Windschutzscheibe geschleudert werden kann. Diese Gurten müßten so verankert werden, daß sie normaler Bewegung keinerlei Widerstand entgegensetzen, während sie aber bei einer gewissen Beschleunigung, wie sie etwa bei einem Aufprall stattfindet, fixiert werden und somit das Vorschnellen1 des Körpers verhindern. Konstruktiv dürfte dies keinerlei Schwierigkeiten bieten. W;r sind überzeugt, daß bei Ueberlandfahrten, und für sie gilt diese Sicherheitsmaßnahme ja in erster Linie, sicherlich 80 Prozent der Kraftfahrer davon Gebrauch machen würden, namentlich wenn diese Gurten keinerlei Bewegungsbehinderung mit sich bringen. In offenen Sportflugzeugen gurtet man sich ja schließlich noch wesentlich fester.

Umklappbare Sitzlehncn der Vordersitze sind ebenfalls gefährlich, da sie für die im Fond des Wagens Sitzenden bei Aufprall keinen Widerstand und dadurch auch keine Bremswirkung bringen. Im Gegenteil, das Gewicht des Hinten- sitzenden drückt noch als zusätzliche Belastung auf die vorne Sitzenden, wodurch die Verletzung aller Insassen eine wesentlich größere sein wird. Zugegeben, eine konstruktive Lösung ist hier etwas schwieriger zu finden, da es natürlich eine ganze Reihe von zweitürigen Fahrzeugen gibt,

bei denen bei steifen Vordersitzlehnen der Einstieg sehr erschwert wäre. Aber wir sind überzeugt, auch dieses Problem ließe sich lösen.

Türen: Es ist nachgewiesen, daß die schwersten Verletzungen dann eintreten, wenn- es nicht gelingt, die Fahrzeuginsassen bei einem Unfall im Fahrzeug zu behalten. „Moderne“ Autotürverriegelungen und -türschlösser sind vielfach das armseligste, das man sich vorstellen' kann. Autos werden eben leider nicht selten nach ihren Schnallen, nicht aber nach den Türschlössern gekauft. Wir meinen, daß sich mit einiger Ueberlegung — und Ford in Amerika etwa hat es bereits vor&terziert — Türverriegelungen finden lassen, die auch den härtesten Anprall aushalten, ohne aufzugehen, und zugleich weitestgehend abgesichert sind gegen, Klemmen der Türen. Oft kommt es darauf an,} Verletzte in kürzester Zeit aus einem brennenden Fahrzeug zu bergen. Klemmende Türen sind' hier ein glattes Todesurteil.

Dach: Bei manchen Fahrzeugen ist es den Konstrukteuren mit geradezu teuflicher Berechnung gelungen, gerade dort,1 wo bei einem umstürzenden Fahrzeug die Köpfe der Insassen aufprallen, einen scharfkantigen Träger untei! den samtweichen Himmel zu praktizieren. Dieser Träger hat schon Kopfverletzungen herbeigeführt, wenn das Fahrzeug nur über eine tiefere Mulde fährt. Können solche Versteifungsträger nicht ebenso gut um 20 Zentimeter verlegt werden — wenn sie in dieser gefährlichen Form überhaupt erforderlich sind? Wieviel würde es die Automobilfabrik schon kosten, den leeren Raum von etwa 2 bis 5 Zentimeter zwischen Himmel und Blechdach mit Schaumgummi zu polstern, der die Insassen eines sich überschlagenden Fahrzeuges weitgehend vor Verletzungen schützen könnte? Optisch brauchte das überhaupt nicht in Erscheinung zu treten. Ueberhaupt müßte man bestrebt sein, alle vorspringenden Ecken und Kanten oder sonstige gefährlichen Konstruktionselemente entweder überhaupt zu entfernen oder zumindest besser anzuordnen.

Wir haben uns diesmal ausschließlich über den Insassenschutz unterhalten, der durch relativ einfache und billige Maßnahmen in der Ausstattung des Innenraumes' eines Automobils erreicht werden kann. Nächstens wollen wir uns den konstruktiven Maßnahmen zuwenden, die ebenfalls ohne wesentliche Erhöhung des Kaufpreises eines Fahrzeuges nur durch etwas humanere Ueberlegungen seitens der Flersteller zur Erhöhung der Sicherheit des Fährbetriebes wesentlich beitragen könnten.

Es ist zu hoffen, daß sich bald verantwortungsbewußte Firmen finden, die ihre Verkaufsargumente und ihre Werbeslogans endlich einmal nicht nur auf den rassigen Motor, die hohe Spitzengeschwindigkeit, den geringen, jedoch sehr problematischen Normverbrauch und die moderne Linienführung aufbauen, sondern sich etwas realeren und lebens,v er länger n- den Argumenten zuwenden. Wir sind überzeugt davon, daß solche Konstruktionen beim heutigen technisch meist recht gut orientierten Käuferpublikum ausgezeichnet ankommen würden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung