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In Genf herrschte Optimismus

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Der 37. Genfer Automobilsalon war einmal mehr Marktbarometer für die Situation im Motorwesen der Welt; er war außerordentlich reich beschickt, und wenn auch diesmal die Nutzfahrzeuge, entsprechend dem Zweijahresturnus, nicht in Erscheinung traten, Österreich daher nur durch den Steyr-Puch-Haf-linger vertreten war, so konnte man nebenbei auch über Nutzfahrzeuge einiges in Erfahrung bringen, strömen doch Mitte März alljährlich die Fachleute, Konstrukteure, Motorjournalisten aus aller Welt am Lac Leman zusammen und tauschen ihre Erfahrungen aus. Wir sprachen mit Leuten, die einen guten Überblick über die augenblickliche Situation und über kommende Entwicklungen haben, etwa mit dem Generaldirektor der Schweizer General Motors, W. R. Price, oder mit J. S. Andrews, dem ehemaligen Boß von Ford-Köln, der jetzt, wie er sich selbst bezeichnete, als „Fliegendes Mädchen für alles“ ganz Europa bereist. Beide Herren sind von großem Optimismus erfüllt, betrachten die augenblicklich etwas angeschlagene Situation in Deutschland als vorübergehende Erscheinung, und beide glauben, daß sich die Verkäufe weiterhin gut entwickeln werden.

In technischer Beziehung ist insoferne relativ Ruhe eingetreten, als man nicht mehr so viel von Turbinen, Brennstoffzellen und Elektroautos redet wie früher. Die Wissenschaftler können jetzt ruhiger an diesen Neuerungen arbeiten, dafür wendet man sich mehr den wirklich dringenden Problemen zu, wie der Sicherheit durch Konstruktion, der Reduktion der Luftverunreinigung, der weiteren Steigerung der Wirtschaftlichkeit und der besseren Raumausnützung, der Erhöhung der Bequemlichkeit im Fahrzeug, die ja auch ein wesentlicher Beitrag zur Sicherheit ist. Die Turbine übrigens ist vorläufig als Antrieb für Personenwagen (nicht jedoch für Lastwagen) ad acta gelegt worden, da sie sich, besonders was die Ansprechzeit beim Beschleunigen anbelangt, nicht bewährt hat. Aufgehört hat auch das höchst überflüssige Disputieren um Front- oder Heckantrieb, seit große Firmen, wie VW, ihre Position bezüglich der einen Antriebsart konsolidiert, andere Firmen (Oldsmobile, Cadillac, BMC, Audi) wieder mit dem Frontantrieb große Erfolge erzielt haben. Es sind eben beide Antriebsarten neben der klassischen Bauweise berechtigt und vertretbar. Im Getriebebau kommen wir in Europa mit kleinen, aber konsequenten Schritten langsam zur Automatik, grundlegend neue Systeme aber gibt es in dieser Richtung keine, der Mittelschalthebel dringt wieder vor, die Vollsynchronisierung des Getriebes ist zur Selbstverständlichkeit geworden.

Modernisiert, verbessert und in wartungs-technisdher Hinsicht vorteilhaft gestaltet wurden die Radführungen, die Federung; auch hier muß der VW besonders hervorgehoben werden: seine Straßenlage ist bedeutend aufgewertet worden. Die Scheibenbremsen dringen weiter (auch In den USA) vor, das Zweikreisbremssystem setzt sich durch, leider nicht so sehr die Servolenkungen. Daß die Problemstellung „Sicherheit durch Autokon-struktion“ auch in Genf lebhaft diskutiert wurde, versteht sich von selbst. Wir wollten es genau wissen und fuhren mit jenem Wagen von Wien nach Genf, der besonders in den Sicherheitsdiskussionen Angriffsobjekt des amerikanischen Rechtsanwaltes R. Nader gewesen ist. Hätte Nader bloß auf wahrscheinlich vorhandene Unzulänglichkeiten eines früheren Modells des Corvair hingewiesen und hätte er nicht alle Heokmotorwiagen, also auch den VW, in Bausch und Bogen diskriminiert, wir hätten ihm vielleicht in seiner Kampagne zugestimmt, denn zweifellos hat er eine längst fällige, sich für den Kunden nur nützlich auswirkende Diskussion ausgelöst. Im speziellen Fall Corvair aber müssen wir feststellen, daß dieser Wagen keine schlechteren Eigenschaften als jeder andere mit Heckmotor angetriebene aufweist, im Gegenteil, trotz schlechtester Wetterbedingungen kamen wir auf der ganzen Reise und scharfer Fahrt auch nicht einmal in eine brenzliche Situation.

Um auf Genf zurückzukommen: Sichtverbesserung, Erhöhung der Bequemlichkeit, Entschärfung der Innenräume der Karosserien, Schaffung einer behaglichen Atmosphäre durch entsprechende Temperatur- und Luftregelung (vorbildlich: Mercedes, Ford, Renault), Geräuschminderung, alle diese Errungenschaften tragen zur Sicherheit bei, und gerade am Genfer Salon konnte man studieren, wie weit wir in dieser Beziehung schon fortgeschritten sind und wieviel zu tun noch bevorsteht.

Besonderes Interesse fanden die Japaner, die es mit ihren Fahrzeugen den alteingesessenen Firmen gleichtun wollen. Sie haben England, Frankreich und Italien bereits in puncto Autoerzeugung distanziert und nehmen hinter den USA und Westdeutschland den dritten Platz in der Weltproduktion ein. In Asien und den USA haben sie bereits beachtliche Exporterfolge erzielt, nunmehr ist Europa offenbar das nächste Ziel; gewaltig sind die Anstrengungen im Hinblick auf den Ausbau eines Kunden- und Ersatzteildienstes und die Fühlungnahme mit namhaften Importfirmen (nicht nur in der Schweiz), deren Endeffekt der Ausbau eines funktionsfähigen Vertreternetzes ist. Die Fahrzeuge, davon konnten wir uns in Genf überzeugen, entsprechen technisch und preislich durchaus unseren Auffassungen. Es fragt sich nur, 6b der erwähnte Kundendienst wirksam genug in Erscheinung treten wird und ob die gewiß nicht kleinen Transportspesen nicht die in Japan gegebenen Preisvorteile zum Großteil wieder aufheben. Experten sind verschiedener Meinung, diie einen sprechen breits von einer japanischen Gefahr, die anderen glauben, daß die europäische und die amerikanische Autoindustrie stark genug sind, auch einem konzentrierten Angriff von Großkonzernen —* etwa der Toyota oder der Nissan Motor Company (Datsun) — die Stirne zu bieten.

Der seit Jahren zu beobachtende Zug zum sportlichen Wagen war auch diesmal deutlich zu sehen: Da waren die wunderschönen Coupes von Spider von Fiat (Dino und 124), die Mustangs von Ford, der Firebird von Pontiac, der Barracuda von Chrysler, ja sogar VW — erst in der letzten Zeit durch die Förderung der Formal V dem Sport zugeneigt — zeigte den vom Schweizer Tourenwagenmei-ster Blank aus dem VW 1500 entwickelten 1600 RS, der mit 84 Din-PS der bisher stärkste Käfer ist und angeblich auch nach Österreich geliefert werden wird. Allerdings wird er nur an geschlossenen Rennen teilnehmen dürfen, da er wegen seiner Lärmentwticklung keine Straßenzulassung erhalten dürfte. Der VW ist also recht vielfältig in bezug auf seine Eignung als Basis für „heiße Eisen“ geworden.

Den Reigen der Pressekonferenzen eröffnete traditionsgemäß Mercedes-Benz m einem vornehmen Schloßrestaurant am Genfer See. Hier leitete der sprachgewandte Pressechef Keser kurz ein und übergab das Wort dein Vorstandsmitglied Dr, Scherenberg, der den 250 SL als einen Tourensportwagen vorstellte, der schon ein sehr günstiges Echo bei der deutschen Kundschaft hervorgerufen hat. Die Automatik sei speziell bei der Daimler-Benz AG. auf dem besten Weg, immer mehr Fuß zu fassen, der etwa 60 Prozent betragende Export des Konzerns sei befriedigend, noch mehr aber freue ihn, so betonte der Sprecher, daß sich die seinerzeit vorgenommene Trennung des Programmes in zwei Typenklassen so gut bewährt habe. Auch das Lastwagengeschäft sei gut, in puncto Sicherheitsmaßnahmen habe Mercedes auch in den USA nichts zu befürchten, denn bekanntlich sind viele jetzt verlangten Vorkehrungen längst bei Daimler-Benz verwirklicht worden.

Auf dem Stand von Glas dominierte bereits das BMW-Zeichen. Die bayrische Firma, die nunmehr Dingolfing übernommen hat, ist neben Mercedes eine der wenigen, die von der augenblicklichen Flaute in Deutschland nicht allzusehr betroffen ist. Im übrigen wird von Fachleuten die zeitweilige Produktionseinschränkung In verschiedenen deutschen Werken durchaus nicht als Alarmzeichen, sondern als eine vorübergehende Erscheinung betrachtet. Um auch noch ein weiteres kleineres, aber sehr aktives Werk zu nennen: NSU zieht die Blicke der Besucher durch einen Rennwagen aus dem Jahr 1926 auf Sich, der 175 Kilometer Spitze erreichte und seinerzeit Sieger im Großen Preis von Deutschland wurde. Verschwunden ist die Betonung des NSU-Wankel-Motors, man sah weder Zeichnungen noch ein Schnittmodell, er ist eben — zumindest für die Neckarsulmer — heute bereits so weit, daß man ihn nicht eigens propagieren muß. Es wurde auch ein Spider mit dem Kreiskolbenmotor gezeigt.

Die Stände In Genf zeichneten sich schon immer durch vornehme Zurückhaltung, dafür aber durch Geschlossenheit und Einheitlichkeit aus. Diesmal wurde diese Tendenz nochmehr betont; man sah einerseits nur wenige sich drehende hin- und herfahrende oder sich auf- und abbewegende Objekte. Anderseits jedoch ging es an verschiedenen Stellen recht turbulent zu. Wo im Vorjahr die historische Schau — unter der Erde in der zweiten Halle, nahe der GM-Bar — stattgefunden hatte, wurde diesmal die Schweizerische Slot-Racing-Meisterschaft ausgetragen. Sie zog ebensoviele Besucher auf sich wie die wohlgelungene und reich beschickte Ausstellung bekannter und beliebter Renn- und Sportwagen, unter denen die Porsche und die unter Österreichischen Fahrern so erfolgreichen Formel-V-Fahrzeuge besonders auffielen, Auch bei dem Modell der Versuchsbahn von Opel, mit Rüttelstrecke, Steigungen und Gefällen, ging es lustig zu, well dort Spielzeugautos ständig unterwegs waren und alle Torturen eines echten Testwagens mitmachen mußten. An einer Telefonanlage konnte jeder Interessent abhören, welche Bewandtnis es mit der „größten und modernsten Probestrecke Europas“ hatte.

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