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Passagier Nr. 100.000

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Der Tambourstab zuckt hoch. Die in Reih und Glied angetretene Kapelle am Rande des Schwechater Flugplatzes schickt schmetternde Marschklänge in den gfauverhangenen Himmel, aus dem sich eben eine viermotorige Maschine der AUA löst und zur Landung ansetzt. Mit gedrosselten Motoren rollt das Flugzeug von weit draußen von rechts nach links, beschreibt eine elegante Kurve wieder nach rechts und kommt auf der Betonpiste näher. Das Bodenpersonal eilt zur fahrbahren, mit grünem Tannenreisig bekränzten Ausstiegstreppe. Beiderseits des roten Teppichs, der zum Aufnahmegebäude führt, haben Stewardessen in ihrem kleidsamen Blau das schönste Lächeln aufgesetzt. Das Heulen der Motoren verstummt, die Türe der Kursmaschine OS 702, aus Stuttgart kommend, öffnet sich. Es ist kurz nach halb zwei Uhr nachmittags. Einige ernste Männer mit Aktentaschen sind die ersten, welche die Maschine verlassen. Die Verwunderung über den festlichen Glanz ringsum steht ihnen trotz des Ernstes ins Gesicht geschrieben. Und dann erscheint auf dem obersten Treppenabsatz eine brünette, attraktiv aussehende Dame mit Pelzhütchen. Blitzlicht gleißt auf, die Kamera der Wochenschau schnurrt, die Verschlüsse der Photoapparate knacken, die Reporter kritzeln auf ihren Schreibblocks. Was ist denn los? Großer Bahnhof, kleiner Bahnhof? Ein Filmstar in Wien? Nein, keineswegs. Es ist der „Jubiläümspassagier" Nummer lOO.OOO, Frau Edith Woehrle, die drei Dutzend Kilometer von Wien entfernt, im Raume über Tulln, erst erfuhr, was ihr an Festlichkeit bevorsteht. Im Flughafenrestaurant werden die Glückwunschtelegramme verlesen, vorerst das des Bundeskanzlers, werden Geschenke überreicht. Die Kapelle draußen spielt noch immer, und plötzlich, als wäre dies von der Regie vorgesehen, bricht die Sonne durch die Wolken.

Dieser Sonnenschein ist ein Symbol. Es hat Zeiten gegeben, wo echte und künstliche (Gerücht-) Wolken um alles, was österreichische Zivilflugfahrt hieß, schwebten. Die Kritikaster sind bald eines Besseren belehrt worden, und diese berufsmäßigen Raunzer waren in Schwechat, als der hunderttausendste Passagier

Wiener Boden betrat, nicht unter den Festgästen. Wie wir später, als sich der erste Trubel gelegt hatte, von den maßgeblichen Persönlichkeiten der Austrian Airlines hörten, hat sich das vorgesehene und mit Bedachtnahme auf die kommerziellen und verkehrspolitischen Möglichkeiten allmählich ausgebaute Netz als richtig geplant erwiesen. Nach dem derzeitigen Fahrplan, der bis 31. März 1960 in Kraft steht, be- fliegt die AUA folgende Kurse: Wien—Frankfurt am Main; Wien—Zürich; Wien—London; Wien—

Rom; Wien—Paris; Wien—Stuttgart; Wien- Belgrad; Wien—Athen; Wien—Sofia; Wien—Warschau (und weiter nach Moskau); Wien—Kairo und schließlich Wien—Innsbruck. Von diesen Kursen werden die Routen nach Frankfurt, Stuttgart, Paris und Innsbruck täglich beflogen, Zürich und Rom werden an drei Tagen, London wird an zwei Tagen der Woche angesteuert, die anderen Kurse einmal wöchentlich. Die Frequenz auf den Linien liegt im Durchschnitt bei 40 Prozent, aber es gibt höhere — wie die Strecke nach Stuttgart, von wo die Maschine landete — und die Verbindung nach Paris, wo die Frequenz 89 Prozent erreicht. Also eine Leistung, die sich sehen lassen kann, wenn man die Konkurrenz berücksichtigt, geradezu ein ausgezeichneter Erfolg der jungen „Austrian Airlines".

Der innerösterreichdsche Verkehr hat sich, wie das Beispiel der Verbindung nach Innsbruck zeigt, gut eingeführt. Für das nächste Jahr denkt man jedoch bei der AUA nicht, die Hände in den Schoß zu legen, sondern will an die Realisierung des Rundkurses schreiten, der, von Wien ausgehend, Salzburg, Innsbruck, Klagenfurt und Graz einschließen wird. Diesem innerösterreichischen Verkehr schenken die Organisatoren des Fremdenverkehrs schon heute große Aufmerksamkeit. Wenn die Listen der Reisebüros bereits in der vergangenen Saison bei der Erstellung von Urlaubsvorschlägen — man denke nur an die geradezu Mode gewordenen Flüge nach Mallorca — die Benutzung des Flugzeuges in Rechnung ziehen und kommerzielle Erfolge aufweisen, so ist es einleuchtend, daß der innerösterreichische

Verkehr sowohl für sich, als im Anschluß an die internationalen Kurse, seine Zukunft hat. Der erreichte Zeitgewinn für Anreisende aus dem Ausland wird für die Frequenz auch entlegenerer Sommerfrischen von Wert sein. Hier eröffnet sich, wie wir hören, ein besonderes Aufgabengebiet für unsere Luftfahrt. Es wird Sache der Koordinierung von Flug, Bahn und Autobus sein, diesen erzielten Zeitgewinn nicht zu vergeben. Die Gebiete im Süden Oesterreichs werden durch die Besucher Wiens profitieren, die schnell an die Kärntner Seen oder in die Berge der Steiermark gelangen wollen. Diese Besucher werden gerade durch die Möglichkeit des Fluges ihren Aufenthalt auf österreichischen Boden verlängern, oder einige Tage Ferien an den Seen und im Bergland in weitergespannte Reisen (nach Oberitalien und an die Adria) einbauen. Von Innsbruck wiederum, das sagt man dort hoffnungsvoll, wird der Reiseverkehr nach Südtirol neue Impulse erhalten. Hier gibt es auch keine Saisonschwankungen, weil Tirol sowohl im Sommer wie im Winter stark, in der Vor- und Nachsaison beachtlich frequentiert wird. Der Erfolg für das Ansteuern von Salzburg liegt klar auf der Hand. Aber selbst das steirische Grenzland und die Bregenzer Festspiele werden — richtige Abstimmung mit der Bahn vorausgesetzt — für die innerösterreichischen Kurse kein Defizitgeschäft sein.

An der Jahreswende sind Rückblicke üblich. Und da ist es wohl am Platz, einmal festzustellen, daß im Jahre 1958 die Starts und Landungen gegenüber 1957 um 24 Prozent (gegenüber 1956 um 54 Prozent) zugenommen haben. Diese Steigerung ist auf die Aufnahme des Flugdienstes durch die AUA zurückzuführen. Die Ziffern für 1959 sind noch nicht ganz abgeschlossen. An der Stabilität des von Wien ausgehenden allgemeinen Flugverkehrs (Juli 1959; 15.198; Oktober 1959: 15.145) hat die AUA jedenfalls einen beträchtlichen Anteil, sowohl nach der Fahrgastseite hin als hinsichtlich der Frachtrate.

Der Betrieb mit Chartermaschinen — es sind derzeit vier — wird nun angesichts dieser Entwicklung, trotz der bekannten Ermäßigung der Chartergebühren, über kurz die Frage aufwerfen, ob man die Charterverträge erneuern soll oder ob man zur Installierung eines eigenen Flugparks schreiten soll. Das ist natürlich eine rein finanzielle Sache und durchaus nicht allein Angelegenheit der AUA. Da in aller Welt bereits die großen Schiffahrtslinien (ob eingestanden oder nicht) mit Subventionen arbeiten und die Zivilflugfahrt als die vornehmste Repräsentanz eines Landes in aller Welt sozusagen dessen Visitenkarte darstellt, haben auch auf dem Flugsektor die auswärtigen Staaten (ebenfalls eingestanden oder nicht) eingesehen, daß Subventionen, in welcher Form immer, auf die Dauer betrachtet, Zinsen tragen. Es wäre an der Jahreswende, wo man kritisch zurückblickt, für die maßgeblichen Stellen in Oesterreich nützlich, sich diese Frage nüchtern vorzulegen und den Rechenstift zu zücken. Wenn eine Fluggesellschaft wie Austrian Airlines, die am 31. März 1958 ihren Flugdienst aufgenommen hat, in eindreiviertel Jahren den hunderttausendsten Fluggast buchte, wozu die OELAG siebenmal mehr Zeit brauchte, heißt dies wirklich erfolgreich gewesen zu sein.

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