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Nachts kommen die Maschinen

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DIES KÖNNTE EINEM UTOPISCHEN ROMAN als Titel dienen. Oder für einen neuen Hitchcock-Thriller. Was die Utopie betrifft: uns kam es fast wie eine solche vor. Uns: einer Gruppe von Journalisten, die von der Flughafenpressestelle eingeladen worden waren, die „Pistenkosmetik“ in Schwechat zu besichtigen. Seien Sie unbesorgt. Ich werde hier keinen trockenen Fachartikel schreiben. Ich werde einfach das Luftfahrtjournalistenherz sprechen lassen, das uns allen an jenem Abend höher schlug. „Das ist doch eine ausgesprochene Weihnachtsstimmung“ grinste ein Pressekollege mit leuchtenden Augen. Und wir konnten ihn verstehen, erging es doch jedem von uns genau so. Um das zu erklären, werde ich Sie doch ein klein wenig mit der Technik behelligen müssen.

„DAS IST EINE WAHRE WÄSCHERUMPEL!“ meinten berufene und unberufene Kritiker einmütig. Und meinten damit den 1500 Meter langen, alten Teil der Schwe-chater Piste. Nun, ein Volksfest war es wirklich nicht, wenn man dort startete oder landete, und eine Sanierung lag in der Luft. Das Problem war nur das „Wie“. Denn da Schwechat — zumindest derzeit — nur eine einzige Piste besitzt, hätte eine Totalsanierung eine Sperre des Flughafens auf rund neun Monate — lies: eine volle Saison — bedeutet. Das wäre ohne Übertreibung das Todesurteil für Schwechat gewesen. Denn nach einer Sperre solchen Ausmaßes hätte sich nur mehr ein Bruchteil der gegenwärtig Wien anfliegenden Airlines bereit gefunden, wieder auf Schwechat „umzusteigen“. „Am 15. März 1965“, hieß es aus diesem Grunde in einer Presseaussendung, „läuft auf dem Flughafen Wien-Schwechat ein Unternehmen an, das in der Geschichte des Pistenbaues einmalig dastehen dürfte...“

DASS TATSÄCHLICH „GRÖSS-TES INTERESSE bei der internationalen Fachwelt erreicht“ wurde, beweist das Faktum, daß die Fachleute aus dem In- und Ausland, sogar aus den USA, einander in Schwechat „die Tür in die Hand“ gaben. Wurde dort doch in einer einzigen Nacht ein vier Zentimeter dicker Asphaltbeton-„Teppich“, 30 Meter breit und 1500 Meter (!!) lang verlegt. Auf dem sich am darauffolgenden Morgen bereits der komplette Luftverkehr abwickeln konnte ... Acht gestaffelt „in Schlachtordnung“ auffahrende Straßenfertiger, eine Arbeitsgemeinschaft aus einem Halbdutzend der größten Fachfirmen Österreichs, es war wirklich wie in einem — für unser Land — utopischen Roman. Die Arbeitszeit für den genannten Riesenteppich aus Asphaltbeton betrug nur zehn Stunden (Sie haben richtig gelesen).

NACHTS, WENN DIE MASCHINEN KAMEN: schon die Auffahrt der Baufahrzeuge, der Straßenfertiger, der Walzen und der einfach auf Lastautos mobil montierten Generatoren und Scheinwerfer: es war ein Gesamtkunst- und Meisterwerk der Planung und Improvisation. Letzteres ohne jeden ominösen Beigeschmack, denn es gab für ein solches Unternehmen weltweit kein Beispiel, keine Vorerfahrung, auf welcher man aufbauen konnte. Es waren Nächte der absoluten und beispiellosen Superlative. Allein schon die Menge des benötigten Schüttgutes war gigantisch: 11.000 Tonnen Asphaltbeton mußten hergestellt, befördert und aufgetragen werden und durften eine bestimmte Temperatur, weit über 100 Grad, nicht unterschreiten. Es war ein mustergültiges Meisterstück an Organisation, geleitet von Fachleuten mit Funksprechgeräten, ausgeführt von hunderten modernen Heinzelmännchen, vom leitenden Ingenieur bis zum letzten „Pistenwalzer“.

Es begann damit, daß wir von höherer Warte aus, nämlich vom Flughafenrestaurant — „wie Kinder vor einer Weihnachtsauslage“ witzelte der nämliche vorerwähnte Pressekollege — die Auffahrt dertechnischen „Streitmacht“ erlebten, die sich da wie ein vorsintflutliches Riesenungetüm mit Leuchtpunkten hinausbewegte zur Piste. Dann zeichnete noch eine AUA-DC-3 eine Leuchtspur in den nächtlichen Himmel und dann, ja dann begann die „Schlacht gegen die Zeit“. Mit der Präzision eines Uhrwerkes rollte die Aktion an. Und ab. Man hätte uns kein größeres Geschenk machen können als die Möglichkeit, „dabei zu sein“. 90.000 Quadratmeter „nächteweise“ zu sanieren: das soll uns einer erst nachmachen. (Wobei dies zuverlässig geschehen wird. Aber eben erst nachher ...)

SO GANZ NEBENBEI UND DOCH NICHT am Rande vollzog sich ein kleines Wunder: der „Ausweichflughafen“ Preßburg wurde, einvernehmlich mit tschechoslowakischen Stellen im allgemeinen und der CSA im besonderen, anläßlich dieser Nachtarbeit in Betrieb genommen. Denn die beiden AUA-Kurse aus Zürich und Frankfurt kommen nun einmal zu „nachtschlafend“ Zeit“ in Schwechat an. Weshalb man sie bis Preßburg weiterfliegen und dort „übernachten“ ließ. Nicht so die Fluggäste: die wurden vom Jet weg in einen komfortablen Bus verfrachtet und durch weitoffene Schranken ohne jede Formalität nach Wien gebracht. Luftverkehr, der Grenzen öffnet: könnte man ihm ein schöneres Kompliment in dieser an Grenzen so reichen Zeit machen? Und wer's selber oder zumindest am TV-Schirm miterlebte: es war ein herzerfrischender Anblick, als der ausländische Grenzer lächelnd die Schranken hochwippte und den Autobus passieren ließ.

Eine der ebensten Pisten Europas ist jene von Schwechat durch diese sensationelle „Nachtarbeit“ geworden, über die sich die geplagten Cap-tains ebenso freuen wie die Fluggäste. Und wie die Flughafenbetriebsgesellschaft. „Ich träume schon jede Nacht davon“, seufzte frohlockend Direktor Dipl.-Ing. Heribert Kreis. Man glaubt es ihm, daß es nicht nur Alpträume waren, die er da hatte. Ein Traum wurde Wirklichkeit. Wörtlich. Und wenn sich einer von uns, die wir dabei waren, verstohlen in die Nase gezwickt hätte, ob er nicht doch träume: niemand hätte ihm den geringsten Vorwurf gemacht. Und lächelte nicht auch der volle — und mit regiemäßiger Pünktlichkeit im richtigen Moment aufgehende — Mond zufrieden vom Himmel?

Die acht Millionen Schilling, die das Bauvorhaben ungefähr gekostet hat, sie werden spielend aufgehoben durch das erhöhte Maß an Sicherheit, das die „entschärfte“ Piste auf Jahre hinaus mit sich bringen wird. Was aber nicht heißt, daß wir nicht — lieber gestern als heute! — die zweite Piste dringender denn je benötigen. Hier wäre ein Verzögern, ein zu langes Uberlegen nicht zu verantworten. Da man sich über die Richtung von Piste 2 so ziemlich geeinigt hat, müßte sie rasehest begonnen werden, um in zwei, drei Jahren fertig zu sein. Seit jenen Märznächten dieses Jahres glauben wir daran, daß es möglich ist. Wenn die Verantwortlichen nur wollen und „ja“ dazu sagen. Ein „Nein“ oder ein „Zu spät“ wäre, schlicht gesagt, das endgültige Todesurteil für das „Luftkreuz Südost“.

DENN WENN MAN DEN VERANTWORTLICHEN glauben darf — und warum sollte man eigentlich nicht? — dann braucht Schwechat in ekligen Jahren eine zweite Piste. Aus dem oberwähnten Grund, nämlich, weil bis dahin eine gründlichere Pistensanierung „von unten her“ unvermeidlich geworden sein wird. Außerdem, weil der Verkehr ja doch rasch zunimmt. Obwohl sich auch hier manche Skeptiker, manche Realisten zu Wort melden und meinen, man könnte unschwer auf einer Piste, mit entsprechenden „Schnellabrollwegen“, einen ungleich dichteren Verkehr bewältigen als heute; auf vielen anderen Airports mit einem solchen „ungleich dichteren“ Verkehr sei das so, und so weiter. Nun, diese „Schnellabrollwege“ haben in der Tat viel für sich. Zur Information: es handelt sich um schräge Verbindungsstreifen zwischen „taxiway“, also Rollweg (beziehungsweise auch Vorfeld) und Startbahn, die es erst ermöglichen, modernste Brems- und Rollstreckenverkürzung so richtig auszuwerten. Dann was nützt es, wenn unsere modernen Riesenjets durch das Zaubermittel der „Schubumkehr“ (der Ab-gasstrahl wird zum Teil gegen die Rollrichtung gelenkt) oft auf paar hundert Metern Rollstrecke zum Stehen gebracht werden könnten, wenn, ja wenn dann nicht die Möglichkeit besteht, auf einem von mehreren solcher Schnellabrolhvege „ums Eck zu verschwinden“ und die Piste wieder freizugeben?

Die „Frequenz“, also die Startfolge könnte solchermaßen auch auf einer Piste um ein Mehrfaches gesteigert werden. Und die Baukosten dieser Schnellabrollwege nehmen einen Bruchteil dessen ein, was Piste 2, so notwendig sie sein dürfte, kosten wird. Sie könnten zudem quasi hier und heute in Angriff genommen und schon von vornherein für kommende Maximalbelastungen ausgelegt und dimensioniert werden. Da ja schon heute die Jetgiganten keineswegs bei 150 Tonnen halten, sondern demnächst die 200-Tonnen-Grenze erreichen dürften ... Dabei sah alles anfangs ganz friedlich aus. Man legte in gemessener Entwurfsentfernung (die internationalen Empfehlungen der ICAO sehen eine Mittelliniendistanz von 1200 bis 1500 Metern vor) eine zweite Parallelpiste in die Landschaft, die als solche recht günstige Betriebsergebnisse sichern würde (viele der großen internationalen Airports arbeiten mit Parallelpisten). So weit, so gut, bis dann zu Pfingsten 1964 zwei (notabene: Sport-) Flugzeuge über dem Stadtgebiet von Wien zusammenstießen und abstürzten.

ES WÄRE KAUM ZIELFÜHREND, jetzt eine große Diskussion darüber zu eröffnen, ob es nicht doch besser gewesen wäre, Deutsch-Wagram, Wiener Neustadt oder Langen-iebarn zu wählen. Apropos Langen-lebarn: auch dieser frühere PANAM-Endpunkt und nunmehrige Fliegerhorst der Luftstreitkräfte stand im Mittelpunkt von realistischen bis tollkühnen Kombinationen. So hieß es unter anderem, man könnte doch die Langenlebarner Piste ausbauen und, falls man Schwechat zwecks Pistansanierung „sperren“ müßte, den Wiener Verkehr via Langenle-barn abwickeln. Abgesehen davon, daß sich nur sehr wenige von den rund zwei Dutzend internationalen Airlines, die Wien anfliegen, dazu bereitfinden würden, ihre sämtlichen Einrichtungen in das ziemlich spartanisch möblierte Langenlebarn zu transferieren, müßte alldort in beiden Anflugrichtungen ziemlich „von vorne angefangen“ und befeuert werden. Zudem hat sich die „Pistensperre“ in Schwechat durch obbe-richtete Glanzleistung erübrigt, damit haben auch die Spekulationen um Langenlebarn — zweifellos für die Luftstreitkräfte mit einem lachenden, einem weinenden Auge — praktisch ihre Bedeutung verloren. Schwechat kann nicht mehr ungeschehen gemacht, nicht mehr verlegt werden. Die Entscheidung ist schon vor vielen Jahren gefallen. Weshalb also jetzt auf einmal tollkühne Erwägungen, die teils Heiterkeit teils Verärgerung zur Folge haben?

Wiens „Luftkreuz Südost“ hat zweifellos nicht zuletzt durch die „Pistenkosmetik“ und die daraus resultierende „Traumpiste“ sehr viel an Popularität bei Airlines und Cap-tains gewonnen. Wer die Statistiken der Flughafen-Wien-Betriebsgesellschaft aufmerksam liest, kann die ins Auge springenden Steigerungszahlen nicht übersehen. Das kommt aber nicht von selbst, nicht von allein. Das will erarbeitet und ausgebaut sein. Und da man uns in Schwechat, in jener historischen „Märohennacht“ ausdrücklich die Zeit von höchstens drei Jahren als „Lebensdauer“ für die „Traumpisten“-Oberfläche nannte, muß — in Anbetracht der Pla-nungs- und Bauzeiten — sofort begonnen werden. Zuerst die endgültige, wohlüberlegte Entscheidung über die Lage der zweiten Piste — diese „Aneinanderidee“ scheint nicht so übel zu sein, soferne man in Aspern auf Granit beißt —, und dann sofort Inangriffnahme zunächst der Schnellabrollwege. Denn es wird nötig sein, jenen intensiven Verkehr zu lancieren, für den man doch die Piste 2 bauen will, und diese Laneierung geschieht durch „Verflüssigung“. Lies: Schnellabrollwege...

DAS ZWEITE WÄRE DIE BEFEUERUNG der Anflugrichtung Ost, und gleichzeitig die Inangriffnahme der zweiten Piste. Sie muß in drei Jahren betriebsfertig sein, mit allen elektronischen Einrichtungen, mit einer Festigkeit, die auf lange Zeit den möglichen Entwicklungen Rechnung trägt. Da auch der Ausbau der Gebäude, vor allem eines neuen Frachthofes, vorgesehen ist, sollte eigentlich alles genau so parallel laufen, wie es sein müßte, um zum gegebenen Zeitpunkt auch fertig, betriebsfertig zu sein. Geben wir uns keiner Täuschung hin: „rundherum“, wartet man darauf, daß wir zu langsam sind, zu spät kommen, zu kurzsichtig planen. Diese „Hoffnungen“ zu durchkreuzen, muß Ziel aller Planung und Arbeit sein.

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