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Liegt Graz in Osterreich?

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DER NACHMITTAG IST HERR- LICH, und die schnittige Super- ,,Viscount” der ,.Austrian Airlines” liegt wie das beriihmte Brett in der Luft. Wir sind vor kurzem in Wien- Schwechat gestartet und werden dem- nachst in Graz landen. Nicht nach drei, vier oder funf Stunden, wie mit der Bahn, sondern in 25 Minuten werden wir steirischen Boden betreten. Kein planmafiiger Flug. Leider. Ein Presseflug, veranstaltet vom „Club der Luftfahrt-Publizisten” anlafilich der Jahreshauptversammlung. Der Besuch gilt also — ist es ein Zufall? — dem „Luftverkehrsstiefkind” Graz …

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ES BEGANN SCHON NACH DEM ERSTEN WELTKRIEG, als die „Pen- sionopolis” .der osterreichisch-ungari- schen Monarchic, damals an der „Sud- bahn” gelegen, durch die Grenzziehung hinter Spielfeld-Strafi jah vom Durch- gangsverkehr abgeschnitten wurde. Seither ist wenig geschehen. Die paar Industriebetriebe, die sich dort eta- blierten oder etabliert wurden, kbn- nen daran nichts andern: Graz war und blieb irgendwie „auf einem Stock- geieise” und gait unter den Landes- hauptstadten im allgemeinen als ,,fin- sterste Provinz”. Ungeachtet gewalti- ger kultureller Anstrengungen und Leistungen, ohne Riicksicht auf die Bemiihungen der Verantwortlichen, die „Sackgassenstadt” aus ihrer Aschen- brodelrolle herauszufuhren.

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WIE DOCH DIE ZEIT VERGEHT: ,,Der Anteil der Verkehrsluftfahrt an der fur Osterreich und die Steiermark so iiberaus wichtigen Entwicklung des Fremdenverkehrs als Teil der oster- reichischen bzw. der steirischen Wirt- schaft war schon damals bedeutend”, berichtet der Direktor der Flughafen- Betriebs-G. m. b. H„ Ing. Karl Donner. ,,1927 wurde der Flughafen Graz durch Gesetz zum Zollflughafen er- klart. Bereits in den Jahren 1929 bis 1936 wurde.pr ,vn sechs,iin-t und- aus- landischen Linien’befuhft. Heute ist es wesentlich anders: die ALIA lafit Graz links liegen, und wenn sich Graz durch besonders gutes Service etwa eine schwedische Chartergesell- schaft gewogen macht, dann ..fordert” man das von Wien aus, indem man Nachtlandungen dieser Gesellschaft untersagt. Die Flugsicherung habe zu- wenig Personal…

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WENIG VERSTANDNIS FUR GRAZ beweisen auch die Osterreichischen Bundesbahnen. Minister auBer Dienst DDDr. Udo Illig, seines Zeichens Aufsichtsratprasident der Flughafen- Betriebsgesellschaft Graz - Thalerhof, hatte eine gdnze Liste an Unfreund-

lichkeiten vorzutragen, die schon nicht mehr rein zufallig anmuten. So wurde, wie auch in anderen Gegenden Osterreichs, „aus Ersparnisgriinden” das zweite Geleise in Richtung Marburg abgetragen; der „BalkanexpreB”, die einzige Schnellverbindung zwischen Wien und Agram, braucht heute um 40 Minuten langer als ein gewohn- licher Schnellzug vor 40 Jahren; die zweitgrofite Stadt Osterreichs kennt keine Zuggarnitur mit Schlaf- oder Speisewagen. Und so weiter.

„WAR ES NUR EINE TATAREN- NACHRICHT”, fragt DDDr. Illig die Journalisten, „dafi Graz aus dem Luft- verkehr Osterreichs .ausgeschlossen’ werden soil?” Etliche Grazer Blatter hatten diese Befurchtung ausge- sprochen, mehr noch, sie regelrecht als Tatbestand behauptet. Sofort werden beschwichtigende Worte laut, das „miiBte man doch wissen”, wenn ,,wirklich etwas Wahres daran ware”, und „man moge doch noch Geduld haben”, es sei eben „alles noch in Schwebe”, und „nichts werde so heifi gegessen, wie es gekocht werde” und so weiter. — Die Grazer Verantwortlichen horen nur noch halb hin. Sie sind derlei Vertrbstungen gewohnt, wissen, was sie von ihnen zu halten haben. Und ihre Geduld geht langsam, aber sicher dem Ende entgegen …

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„MAN VERSCHONE UNS MIT DIESEN DINGEN!” rief ein AUA- Direktor aus, als auf einer Pressekon- ferenz die Rede auf den innerbster- reichischen Verkehr kam. „Die AU A hat repasentativ-nationale und nicht binnen-nationale Aufgaben. Sie ist dringend an der eigenen Rekonstruk- tion interessiert und soil nicht mit anderen Aufgaben belastet werden.” Und derselbe AUA-Direktor schreibt in einem Vortrag iiber luftverkehrs- politische Probleme, wie sehr andere Lander ihre Gesellschaften stiitzen und unterstutzen. Er verschwcigt,.da!>die AUA ihre MaschTnefr praktisch vom Staat aus Steuergeldern geschenkt be- kam. Und auf der anderen Seite sind, um ihn bei der Pressekonferenz weiter zu zitieren, „alle Bundeslander gleich- mafiig an der AUA-Finanzierung be- teiligt, ob sie jetzt angeflogen werden oder nicht”, und im iibrigen „fallt Graz wegen seiner nachbarlichen Ver- haltnisse, ungeachtet der guten Lage, mehr oder weniger aus”, sagt ein anderer. Da werden sich die Grazer aber freuen!

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„ZUM KUCKUCK, LIEGT GRAZ IN OSTERREICH ODER NICHT?” argert sich Oberregierungsrat Doktor Josef Gaisbacher, „Fremdenverkehrs-

chef” der steirischen Landesregierung und OAeC - Landesverbandsprasident. ,,Man nimmt unsere Steuergelder, aber man gibt uns nichts dafiir!” Und zum Thema des Ausbaues von Graz- Thalerhof stellt er fest: „Wir tun, was wir konnen. Wir sind durchaus bereit, uns am finanziellen Risiko des Ausbaues zu beteiligen, mit entsprechen- den Mitteln einzuspringen, um den Ausbau der Piste auf 2000 Meter, die Ausweitung der Landehilfen sowie den Bau eines entsprechenden Flugsiche- rungs- und Kontrollturmes schon 1961 zu ermbglichen. Wir werden da an jeder uns vorgeschlagenen Besprechung und Konferenz teilnehmen. Man muB doch endlich einmal die alte Devise: .Verkehr schafft Verkehr’, aufgreifen, statt uns dauernd zu benachteiligen.” Die Steiermark ist also bereit, tief in die Tasche zu greifen. ,,Damit man endlich einmal aufhbrt”, erganzt Oberregierungsrat Dr. Gaisbacher, „uns vorzuwerfen, man kbnne Graz nicht in das osterreichische Flugnetz ein- beziehen, weil die Flugplatzeinrichtun- gen modernen Anspriichen nicht ge- niigen. Bin neugierig, welche Konse- quenzen man daraus ziehen wird.”

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DER FLUGHAFENDIREKTOR IST PESSIMISTISCH, Graz wird anschei- nend auch weiterhin verurteilt blei- ben, dreieinhalb bis sieben Zug- stunden von der (angeblich so nahen) Bundeshauptstadt entfernt zu bleiben. Und als man auf der letzten Luftver- kehrskonferenz in Paris einen wesent- lichen Erfolg erzielte und stolz mit der heifierkampften, verkiirzten Route nach Venedig und Rom heimkehrte (sie fuhrt praktisch iiber Graz!), da wurde dem Flughafendirektor von maBgeblicher AUA-Seite versprochen, die ..Friendly Airline” werde die stei- rische Landeshauptstadt in ihr Linien- netz einbeziehen. Seither „werden zwar alle Gesetze, die den Luftver- kehr betreffen, auf die nationale Flug- gesellschaft zugeschnitt»rtnd--so Jor- muliert, daB sie die grofften Vorteile daraus hat”, wenn aber jemand auf die vermessene Idee kommt, Binnenflug- verkehr zu planen, dann stoBt er rundherum an. Hier und nicht bei den „bdsen Landern” liegen offenbar die wirklichen Ursachen fur die schon jphrelang dauernde Verzogerung eines innerbsterreichischen Flugverkehrs, in dem man vori Linz nach Graz nicht mehr iiber funf Stunden bummeln, sondern in 50 Minuten fliegen wird …

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ZWE1 ZWEIMOTORIGE GEGEN EINE VIERMOTORIGE, das war die Rechnung, die man noch vor kurzem bei der AUA vorhatte. Aus der Ver- sicherungssumme der Moskauer „Vis-

count” zwei zweimotorige „Turbo- props” fiir untergebuchte oder wenig gebuchte Routen sowie als „Start- hilfe” fiir den binnenbsterreichischen Verkehr, so hiefi es schon ganz offi- ziell. Dann kaufte man aus zweiter Hand ..Viscounts -’-altefen •Typ£; tui-d gegenwartig traunit man schon von Diisenmaschinen des Typs ~SE-„Cara- velle” oder „Boeing 727”. Kein Wunder, daB da die steirischen Sorgen keinerlei Gehbr finden. Die steirischen Pessimisten von Ende 1960 haben also recht behalten. ,,Dafi die AUA mit viermotorigen .Turboprops’ niemals rationell Graz anfliegen kann, ist klar.” Aber wieso geht es dann bei Salzburg und bei Innsbruck?

DA STRITTEN SICH DIE LEUT’ HERUM, welche Type fur den Zwei- motorbetrieb innerhalb Osterreichs am besten geeignet sei. und leider waren es nicht immer nur fachliche und sachliche Griinde. SchlieBlich messen die verantwortlichen Behbrden ja auch mit zweierlei MaB, je nach- dem, ob es sich um einen bsterreichi- schen oder einen importierten Sport- flugzeugtyp handelt (siehe M;222 und

JSB 5?’,”54.tdti,1JlEnstrii*’ und wie die Faile heiBen). Auch bei der Whhl des „Innerbsterreifhtyps” ging’s drunter und driiber. Und am Ende wurde — iiberhaupt nichts ge- kauft. Sollen die Lander sehen, wie sie den Binnenflugverkehr aufziehen. Die AUA soil — sagte ja der Direktor — ,,nicht etwa mit einer Kapitalsabgabe fur die Befliegung unrentabler Strek- ken belastet werden”.

„UNSERE GEDULD IST ZU ENDE”, erklart mir ORR. Dr. Gaisbacher, er- klart mir Flughafendirektor Ingenieur Donner bei einer „Stippvisite” in Graz. „Wir haben es satt, ewig das Aschenbrodel Osterreichs zu spielen. Man hat uns lange genug an der Nase gefuhrt, Versprechungen noch und noch gemacht und keine gehalten. Man wird sich entscheiden miissen, ob Graz in Osterreich liegt oder nicht.” Und Flughafendirektor Ing. Donner schlagt in dieselbe Kerbe: „Kein AUA-Verkehr, kein Innerbsterreich- verkehr, Behinderung des Charterflug- verkehrs . . . was sollen wir denn machen?” Wahrhaftig, sie haben es nicht leicht, die Murstadter, und man sollte in Wien endlich einmal zur Ein- sicht gelangen, daB es auf die Dauer ein untragbarer Zustand ist, planmabig und voll Bedacht die zweitgrofite Stadt Osterreichs zum Aschenbrodel. zum ..Luftverkehrsstiefkind Nr. 1” zu de- gradieren.

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DIE STEIRER SIND DARAN, WILD ZLI WERDEN, und es bleibt abzu- warten, ob sie sich auch weiterhin be- schwichtigen und auf den Sankt- Nimmerleins-Tag vertrosten lassen werden. SchlieBlich geht es im Faile Graz-Thalerhof nicht um das Hobby einiger Gutsituierter, sondern um das Luftkreuz der Steiermark, und bei der geringen Horbereitschaft gewisser Stel- len in Wien nicht (nur) um persbn- liche Einzelressentiments, sondern um ein groGangelegtes Konzept, „den ge- samten Flugverkehr nach Wien- Schwechat zu konzentrieren und zu zentralisieren”. Mutmafit man in Graz. Das sind massive Vorwiirfe- gegen Wien. An Wien wird es liegen, sie nicht abzutun, sondern die Konse- quenzen daraus zu ziehen. Die Steirer warten darauf…

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