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Gefalirliclie Worte

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Wie es in der Geologie Leitfossilien gibt, die uns anzeigen, mit welcher Erdschicht wir es zu tun haben, so gibt es auch in der Sprache Ausdrücke, die untrüglich signalisieren, welcher Kulturschicht der Sprechende angehört. Auf den Einwand: „Was kann der Mensch dafür?“ antwortet man am besten mit der Maxime des Augustinus, daß wir zwar den Sünder lieben, aber die Sünde hassen sollen; und das gelte eben auch für die Sprachsünden. Doch nur keine Pedanterie W'iwfe frei v*n deV>fiebi*fcg,1äwte-wohl man dich eben darum bis. auf die Nieten prüfen kann.

Eines der hervorragendsten Leitfossilien ist das Wort prima. Wer „prima“ sagt, ahnt nicht, daß er dadurch wie mit einem Lift in die Tiefe sinkt — dorthin, wo der Hausmeister wohnt. Dabei sagen heute sämtliche Schuljungen „prima“ (wir in Riga sagten noch „haarig“), und das ist ja ein Zeichen von Idealismus, denn die Jugend schwärmt für das Hervorragende, das Vorbildliche, und sucht also nach Ausdrücken der Hochbewertung. Solche Suche nach Superlativen hat sie mit dem Kommerz gemein, nur daß dieser die Hochbewertung zielbewußt in laufende Münze umsetzt. Wenn ein Schüler von einem geliebten Lehrer „der ist prima“ sagt, so igt das rührend, aber grauslich, weil hier ein Ausdruck niedrigerer Sphäre eine höhere untergekriegt hat. Damit sei nichts gegen den Kommerz gesagt: „Ein jeder ist an seinem Platz unsterblich“ — nämlich wenn er an seinem Platze bleibt und nicht in Höheres hinaus will. (Interessant, wie sich gerade das Verkaufswesen um Anpreisung abmüht. Vor etwa 130 Jahren genügte einem Kaufmann der Ausdruck „feine Ware“ nicht und er annoncierte kühn „feinfeine Ware“. Das sprang auf andere Sprachen über: 1916 fand ich in Helsingfors, wo man wegen der Knappheit Renntiere aß, „finfina Renstäkar“ angepriesen.) Wer „prima“ sagt, kann der beste Mensch, ja ein Heiliger sein, nur zeigt er damit an, daß er außerhalb eines gewissen Kulturgefühls steht. Ohne es zu ahnen, beleidigt er seine Sprache. Natürlich gibt es kein Wort, das der Künstler nicht an der rechten Stelle anwenden könnte — so ist zum Beispiel „prima“ unschätzbar als Indikator einer bestimmten Geisteslage I

Fast alle gefährlichen Worte sind epidemisch, wie etwa heute das Wort attraktiv, welches gleich einer Prozessionsraupe die schlimmsten Verwüstungen im deutschen Blätterwald anrichtet. „Attraktiv“ hat ein flotter Bursche zum erstenmal gebraucht, als er fühlte, daß „anziehend“ nicht recht zog - ohne zu ahnen, daß bloß er nicht fähig war, „anziehend“ auch wirklich anziehend zu machen. „Attraktiv“ ist ein typisches Besatzungsprodukt: da hat einer, der Amerikanisch lernte, „attractive“ gelesen und einen Finger darauf gelegt, einen langen. Es bedeutet keine Bereicherung, wie doch so manche Fremdwörter, sondern eine Verarmung. „Attraktiv“ wirkt, offen gesagt, abstoßend.

Eines der dümmsten Wörter ist das alte Wort Fernsprecher für Telephon, weil ja doch der Mensch der Sprecher ist und nicht der Apparat. (Merkwürdigerweise aber wirkt „Lautsprecher“ nicht falsch; vielleicht, weil das Ding öffentlich auf alle losplärrt und darum quasi als Sprecher wirkt.) Die andere Dummheit von „Fernsprecher“ besteht darin, daß dieser Appa-ra¥*r*cn3W*SpTi8re Verkehr, WrbMünf Re-fs^gentort'-ürld also möglichst irtfeMöSjfc! heißen sollte. Das haben alle Sprachen eingesehen und das Ding Telephon bleiben lassen. Nur im Lande der Fernsprecher muß man schnell Deutsch lernen, um zu wissen, wo man hier telephonieren kann. Wenn ein Volk statt Telephon was anderes sagt, so kann man sicher sein, daß es (zumindest bei Kreierung des Wortes) an Nationalhysterie gelitten hat. Wissen Sie übrigens, wie Telephon auf finnisch heißt? — „Puhelin.“ Das ist aber noch gar nichts; Parkplatz heißt dort Pysäköimispaikka. (Da müßte Täflikon der Mund wässern...)

Eines der magenumdrehendsten Worte ist „Feinkost“ für Delikatessen, welches im ersten Weltkrieg aufkam, damals, als die Schuljugend sang: „Wir wollen siegen, wir müssen siegen, weil wir nur Marmelade kriegen.“ (Marmelade = Fruchtmus.) Eben damals ist auch das Greuelwort Anschrift für Adresse populär geworden. Wer Anschrift sagt, gibt sich eine Aufschrift und verdient eine Inschrift, weil man ihn ja abschreiben muß.

Was heute „prima“ und „attraktiv“ sind, das waren einst „erstklassig“, „effektiv“ und „prominent“. Zwar sind diese drei in Gebrauch geblieben, die Sprache fand nicht die Kraft, sie auszuscheiden, doch haben „erstklassig“, „effektiv“ und „prominent“ ihre einstige Virulenz verloren — wie ja ebenfalls die Bazillen mancher Krankheiten nach einer Seuchenfrist zu altern beginnen und auch nicht mehr das sind, was sie früher waren.

„Erstklassig“ ist eine Art „prima“ und kann nur von einem Hotel oder ähnlichem gesagt werden. Aber, ach, wie wehmütig wird man bei „effektiv“: was war das einst für ein energiegeladener, berückend knotiger Ausdruck! Als man 1909 zweifelte, ob Cook den Nordpol erreicht habe, rief im Cafe eine Stimme aus dem Nebenzimmer: „Lassen Sie's gut sein, er hat ihn effektiv entdeckt!“ Und als ich zum erstenmal nach Deutschland kam, gab es dort quicklebendige Leute, die alle drei Minuten „effektiv“ sagten, und zwar wollüstig nachschmeckend, wie später die Schieber im ersten Weltkrieg, welche bekanntlich (wie schon Karl Kraus damals feststellte) jeden Satz mit „Also, was soll ich Ihnen sagen...“ begannen. Ach, gerade durch die Kriege hat „effektiv“ sehr, sehr gelitten, weil es in den Militärausdrücken „Effektivbestand“ und „Effektivstärke“ leider richtig verwendet wurde, was seiner faszinierend blöden Unnütz-lichkeit Abbruch tat.

„Prominent“ war die Geißel des entre deux guerres, denn so wie die Kommerzwelt auf „prima“ fliegt, sind auch Kunst, Theater und Literatur wehrlos vor allen Ausdrücken, welche Berühmtheit bezeichnen. Zumal weil damals, in den zwanziger Jahren, mit der Vervielfältigung der Vervielfältigungsmittel jener neue Ruhm aufkam, der die Kausalität umkehrte, indem jetzt nicht mehr der Berühmte reproduziert wurde, sondern der Reproduzierte berühmt. „Prominent“ breitete sich damals aus wie eine asiatische Grippe, denn es gab niemand bei Theater oder Film, der nicht prominent war oder es doch nicht mit Händen und Füßen sein wollte. Dabei bedeutet prominent bloß „hervorragend“ auf englisch; es ist derselbe dümmliche Tatbestand wie bei attraktiv. Die Seuche ging damals so weit, daß bereits auf dem Immobilienmarkt „prominente Häuser“ annonciert wurden. Jawohl, die Sprache bringt es an den Tag, zum Beispiel gleich mit „jawoll“, das eben solch ein preußisches Leitfossil ist, wie „tunlichst“ ein österreichisches. Heute hat „prominent“ seine Virulenz verloren und wirkt nur noch, wenn es sich auf etwas buchstäblich Hervorragendes bezieht.

Gänzlich begraben und versteinert sind heute die Leitfossilien der Nazizeit. Wie man sich erinnert, begann sie präludierend damit, daß mit dem Worte Raum alles mögliche Schindluder getrieben wurde: der völkische Raum, der dichterische Raum, der Wirkungsraum — es war, als ob man sich damit für die herrschende Wohnungsnot entschädigen wollte. Dann jedoch traten die eigentlichen Naziworte „schlagartig“ und „unter Beweis stellen“ in Aktion. Diese Worte keimten überall auf, wie die Zahnbürsten unter den Nasen. Warum eigentlich machte es den Leuten solch ein Vergnügen, statt „beweisen“ nun „unter Beweis stellen“ zu sagen? Teils wohl wegen der Suggestivkraft des Hammelsprunges, vielleicht aber auch, weil sie sich darunter so etwas wie ein Gerichtsverfahren und Auf-die-Folterbank-Schnallen vorstellten. Dagegen ist ein Ausdruck wie „Kampfstoff“ nie epidemisch geworden; man führte ihn nur ein, weil man dem Wort „Giftgas“ ausweichen mußte. Die einzigen, die dem Unter-Beweis-Stellen in die Nähe kamen, waren natürlich „Einsatz“, „zwangsläufig“ und „Garant“, welche wir unter „ferner liefen“ buchen wollen.

Ein ganz gefährliches Wort ist dagegen „Aufmachung“; so wie man beim Schachspiel sagt: „NeRmett^&r &&i Bauern nicHt, der ist ver-giRfet0^ scf kar#'ätkh vor v.AltrrMcfeang“ nuT gewarnt werden. Jede Silbe dieser Wortbildung zeugt von seelischer Häßlichkeit. „Aufmachung“ ist tödlich; es geht nie, unter keinen Umständen — da muß man sich schon zähneknirschend mit „Herrichtung“, „Ausschmük-kung“, „Emballage“ und ähnlichem begnügen. Vielleicht rührt seine absolute Verbotenheit daher, weil Aufmachung das Schicksalswort einer Kultur war, die sich ganz in den Dienst des Kaufmannes und also selbst zum Verkauf gestellt hatte. Wie ja auch weiland S. M. verlangte, daß ihre Auslandskreuzer mehr Schornsteine hätten: „Powerfull muß so 'n Kasten ausschauen, powerfull, sag ich Ihnen!“ Der war für Aufmachung. Und gewiß war auch das sogenannte wilhelminische Barock ein Stil der Aufmachung. Nah verwandt diesem Greuelwort ist „ganz groß“. Schon als Knabe erzielte ich eine Lachwirkung, als ich zu jemand an der Familientafel sagte: „Mein Lieber, du bist einer von den ganz Großen!“ Am schönsten finde ich das Wort angewandt in: „Also heute woll'n wir mal ganz groß ausgehen!“ — man stelle sich vor, was das für parfümierte Knoten sein müssen...

Bekanntlich sind die gefährlichsten Druckfehler jene, denen man's nicht ansieht: wenn statt Graben „Gabren“ steht, so ist das lange nicht so schlimm, wie wenn „Garben“ dastünde. So gibt es auch Greuelwörter, denen man den Aussatz gleich ansieht, wie etwa „Raffinesse“ oder „kolossiv“, und wieder andere, die völlig harmlos ausschauen, wiewohl sie doch insgeheim bereits Spucknäpfe geworden sind, wie zum Beispiel „einmalig“, „zeitlos“, „Innerlichkeit“ und so weiter — diese können nur durch einen langwierigen Sterilisierungsprozeß wieder gutgemacht werden. Aber was fängt man mit einem Wort wie „Festival“ an? Es hat höchstens noch ironischen Wert. Und wie schwer wäre es, „Mentalität“ so zu sagen, daß es nicht verschmockt wirkt.

Doch eigentlich darf man ja von isolierten Worten nicht reden, ebensowenig wie man Menschen an sich beurteilen könnte: Jedes Wort hat Millionen Fühler, und also seine Wirkungen erst in dem Satz, in den man es hineinstellt. Der Satz ist es und mithin der Gedanke, der das Wort erhebt oder erniedrigt, erfüllt oder aushöhlt. Ein Wort, das seinem Wesen nach selten ist, wie das wundervolle „beschwingt“, erregt Übelkeit, sobald es in Alltagsfloskeln hineingezerrt wird. Die Schändung von „beschwingt“ ist eine Nachkriegserrungenschaft; ich hörte das in einem Zahnpastereklamefilm singen:

Man fühlt sich gar nicht sehr beschwingt,

Wer weiß, was dieser Tag noch bringt...?

Das ist derselbe elegante Hausfrauenton, der im Küchenreklamefilm statt Bohnen oder Nieren „Böhnchen“ und „Nierchen“ sagt und womöglich noch statt „guten Tag“ „Tagchen“ — Ausdrücke, die einem mit sofortiger Wirkung den Appetit nehmen. Dann aber brach es los — in jenem Beschwingtfilm, gesungen als Duett mit Orchesterbegleitung —, und ich werde Text und Melodie bis an mein Ende nicht vergessen: Pepsofix nimmt Tag für Tag Dir den trüben Zahnbelag . ..

Es schien mir wir das Geplärre einer von der Zahnpasta, nein, vom „trüben Zahnbelag“ untergekriegten Kultur! Man geht jetzt daran, die Menschen gesetzlich vor Lärm zu schützen. Aber wer schützt einen vor den Worten, zum Beispiel vor solchem „trüben Zahnbelag“? Oder auch vor „letzten Endes“? ... Man sagte so oft „letzten Endes“, bis dieses dann 1945 wirklich kam.

Doch das ist ja alles vergebliche Kammerjägerei! Nun gut, die Leute werden bestenfalls „attraktiv“ und vielleicht sogar „Aufmachung“ meiden („prima“ werden sie nie mehr loswerden). Aber da der Worthunger des Vakuums gewaltig ist, so werden sie sich halt neue Sprachopfer zum Zerkauen aufschnappen, und dann werden eben das die gefährlichen Worte sein. — Das schon, aber dann haben wir immerhin eine idyllische Pause zwischen „nicht mehr“ und „noch nicht“. Diese Zeit wenigstens laßt uns genießen.

Gewiß, der banale Mensch macht alle Ausdrücke gefährlich. Er trägt in sich den strahlenden Kern, der alle ihm nahekommenden Worte kretino-aktiv werden läßt. Und nur dem Dichter gelingt es, sie wieder ehrlich zu machen.

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