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Digital In Arbeit

Mit klappernden Zähnen auf Nachtwache

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Der Baubeginn des Kraftwerkes Lambach löste Proteste durch Naturschützer, die Teile des Baugebietes besetzten, aus. Da seien bezahlte Randalierer am Werk, war zu hören. Uber seine Erfahrungen im Lager berichtet ein „Aubesetzer".

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Der Baubeginn des Kraftwerkes Lambach löste Proteste durch Naturschützer, die Teile des Baugebietes besetzten, aus. Da seien bezahlte Randalierer am Werk, war zu hören. Uber seine Erfahrungen im Lager berichtet ein „Aubesetzer".

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Hallo, aufwachen!" - Das Öffnen des Reißverschlusses meines Zeltes schreckt mich aus dem Halbschlaf. Es ist zwei Uhr morgens, Zeit für die Wachablöse. Die Minusgrade des Winters machen es notwendig, daß ich praktisch angezogen im Schlafsack liege. So muß ich mir nur die Schuhe schnüren, ehe ich zähneklappernd in die Schneenacht zu F. trete.

Wir befinden uns in einer kleinen Zeltstadt in einem Gebiet, das in den letzten Wochen eine gewisse Bekanntheit erreicht hat: zwischen den Gemeinden Lambach und Stadl-Pau-ra will die Oberösterreichische Kraftwerks AG (OKA) an der Traun ein Wasserkraftwerk errichten. Das, obwohl Österreich in absehbarer Zeit keine neuen Kraftwerke braucht (Verbundchef Hans Haider) und obwohl in Oberösterreich im besonderen der Stromverbrauch in den letzten Jahren sinkt. Mit diesem Kraftwerk würde die letzte freie Fließstrecke der Traun (bereits 90 Prozent der freien Fließwasserstrecken in Oberösterreich sind verbaut) sowie ein wertvolles Vogelschutzgebiet für immer verschwinden.

Dies und noch weitere erhebliche Gründe haben erbitterten Widerstand hervorgerufen: seit zehn Jahren kämpfen die Bürgerinitiative Traun und andere Umweltschützer für eine umfassende Prüfung dieses Projektes durch unabhängige Experten. Vor drei Wochen jedoch, da die rechtlichen Verfahren seitens der OKA als abgeschlossen betrachtet wurden, begann man eilig mit dem Bauvorhaben.

Die rollenden Bagger und die heulenden Motorsägen erforderten einen entsprechend neu formierten Widerstand. Auf dem Flußufer der Gemeinde Stadl-Paura, deren Einwohner mehrheitlich gegen den Bau sind, blockierten Umweltschützer erst für einige Stunden einen Bagger, um wenige Tage später im Herzen der Au ein Camp zu errichten.

Seit dem 14. Jänner des Jahres schlafen pro Nacht 20 bis 30 Personen aus verschiedenen Berufsgruppen und Bundesländern in dem Zeltlager, verköstigt von der umliegenden Bevölkerung, die aus Empörung über das Kraftwerk selbst tagsüber viele Stunden hier verbringt: mindestens 100 bis 150 Personen täglich (am Wochenende deutlich mehr) zeigen so ihre Ablehnung und versorgen uns gleichzeitig mit allem Lebensnotwendigen, wie warmen Mahlzeiten, heißem Tee, Decken, Holz und Strohballen ...

Zurück zu F., der mich geweckt hat. Er ist Konditor in einer nahegelegenen Stadt. Fast täglich kommt er nach der Arbeit in die Au und des öfteren nächtigt er auch hier. Seit Mitternacht hat er heute mit R., einem Linzer Philosophiestudenten, Wache geschoben. Als Zeichen, daß die Reihe nun an mir ist, drückt er mir eine Trillerpfeife in die Hand.

„Gute Nacht!"

„Schlaf gut!"

Bevor ich zu B., die schon auf Posten steht, gehe, hole ich mir noch einen Apfel aus dem Versorgungszelt. Im einzigen beheizten Zelt des Camps bringen wir unsere Verpflegung unter. Zirka vier Grad Celsius hat es da. Wenn man zu Hause den Eisschrank öffnet, dann empfindet man diese Temperatur, in der die Essensvorräte aufbewahrt werden, als kühl.

Ganz anders hier: die als wohlig erfahrene Wärme lädt ein, länger zu bleiben. Einige von uns nützen daher den verbleibenden Raum und verbringen die Nacht schnarchend zwischen den Lebensmittelkisten. Ich aber muß wieder hinaus, gehe vorbei an den zweien, die am Lagerfeuer Wache halten und klettere mit Hilfe eines Seiles einen vereisten Hang hinauf. B., die vor einigen Tagen ihr Biologiestudium abgeschlossen hat, erwartet mich.

Die kommenden zwei Stunden werden wir einen Weg abschreiten, von dem man einen recht guten Überblick über die Lagerumgebung hat. Sollte sich ein Bäumkommando der Gendarmerie nähern, wecken wir das gesamte Lager mit schrillen Tönen auf, damit niemand im Schlafsack überrascht wird.

Ein Polizeifahrzeug fährt an uns vorüber, B. winkt dem Lenker zu, er erwidert mit einem kurzen Handzeichen. Die Gendarmen, die das Lager und die dort stattfindenden Bewegungen tagsüber und auch nächtens genau beobachten, begegnen uns stets mit großer Fairneß.

Manche äußern gar Bespekt vor unserer körperlichen Kondition. Freilich, sprechen wir sie auf ihre Meinung zum Gegenstand des Konfliktes selber an, halten sie sich bedeckt. „Das ist Sache der Politik, darüber haben wir nicht zu urteilen", lautet es unisono.

Mein Blick fällt auf die andere Flußseite, nach Lambach. Dort stehen, durch einen starken Scheinwerfer beleuchtet und bewacht, einige Baufahrzeuge in eingezäuntem Gebiet. Ganze Arbeit wurde in den letzten Wochen drüben schon geleistet: der gesamte Wald geschlägert, die Erde verschoben und niedergewalzt ...

„Die Arbeiter brauchen diese Baustelle wie einen Bissen Brot. Jedes noch so kleine Projekt hilft der Bauwirtschaft ... und die Umweltschützer wollen dieses hier verhindern!", hören wir immer wieder.

Das Hauptargument der Befürworter des Kraftwerkes ist, daß der Bau Arbeit schafft. Was für Projekte noch haben wir von einer Politik zu erwarten, die so ihre Vorhaben motiviert? Ist nicht eine solche Aussage die Bankrotterklärung gegenüber jeglichem Anspruch einer sachlichen Rechtfertigung eines Unternehmens?

Natürlich schafft jede Investition Arbeitsplätze. Welche Ideen Materie werden, welcher Geist feste Form annimmt, das liegt in der Hand der Entscheidenden. Arbeit wird damit immer gesichert.

Gerade jene, die am stärksten auf dieser Schiene für den Bau argumentieren, schreien offensichtlich am lautesten, daß wir Demonstranten bezahlt werden. Wir alle hier empfinden das als Schlag unter die Gürtellinie, wir, die weder Kälte, noch Kosten und Mühen scheuen, um unserer Empörung darüber Ausdruck zu verleihen, daß hier wieder einem Stück Natur sinnlos der Garaus gemacht werden soll. Keiner von uns ist für diesen Protest eingestellt worden. Freilich wird die Aktion durch Umweltschutzorganisationen unterstützt, die einzelne Mitarbeiter mit Erfahrung in Medienarbeit und Politik zur Verfügung stellen. Daraus die pauschale Unterstellung zu zimmern, daß wir alle bezahlt werden, empfinden wir als schamlos.

Was steckt für ein Denken in diesen Köpfen, das sich - vom Wirtshaustisch bis in die hohe Politik - nicht vorstellen kann, daß man „für Gottes Lohn" so einen Einsatz leistet? Eine Philosophie, die alle nur in ökonomische Kategorien einordnen kann, die alles für käuflich hält und nur fragt: „Wieviel kostet's?". Vielleicht ist dies überspitzt formuliert. Aber wir befürchten, daß dieses Denken die Welt zugrunde richtet. Und werden vor Ort darin bestätigt.

Beim Auf- und Abgehen haben wir Lust auf einen warmen Tee bekommen. Anrainer stellen in ihre Gärten Thermoskannen mit heißen Getränken, sodaß wir jederzeit zu einer Er frischung kommen. Nach dem Trunk treten wir wieder auf die Straße. Die Turmuhr des Lambacher Stiftes, da; über der beschriebenen Baustelle thront, schlägt drei.

Mich, den Christus hierher geführi hat, beschäftigt die folgende Frage sehr: Was für eine Bolle spielen die hiesigen Benediktiner in dieser Aus einandersetzung?

Obwohl es keinen Volkswirtschaft liehen (und noch weniger einen öko logischen) Grund für das Projekt gibt, haben doch die Mönche hier der OKA Grund genug gegeben, dieses Kraft werk zu bauen. Als die Bürgerinitiati ve Traun schon längst die ökologische| und ökonomische Unsinnigkeit des Projektes aufgezeigt hatte, veräußer te nämlich das Stift dennoch durch Grundstückstausch und Pachtverträ ge die für den Bau notwendigen Bö den an die Betreiber.

Warum haben sich die Verant wortlichen nicht auf die Seite des Ar men, auf die Seite der bedrohter^ Schöpfung gestellt?

Um die nach wie vor aktuelle Ver wicklung des Stiftes in die ganze An gelegenheit sichtbar zu machen blockierten einige von uns zwei seinei) Traktoren, die unweit des Camps ge fällte Au-Bäume zwecks Baufortsetzung wegräumten. Die Freigabe wurde angeboten, sofer-ne der Orden für einen Baustopp eintrete. Dieses Versprechen wollten die Vertreter der Brüder nicht geben. Stattdessen wurden im Gegenzug Klagen angedroht, da der Schaden durch deri| tagelangen Stillstand! angeblich in die Hun derttausende gehe. Tage| später wurden die Trak toren von der Exekutivel befreit.

Vor drei Wochen be gann die illegale Beset zung unter den Mauern des Stiftes, als Fortset zung eines zähen Kon fliktes nicht nur um die Erhaltung eines wertvollen Naturabschnittes, sondern grundsätzlich um einen verantwortungsvollen Umgang mit der Schöpfung, in dem der sparsame Umgang mit Energie einen wesentlichen Bestandtei bildet. Bis jetzt aber hat sich keir schwarzer Zipfel einer Benediktiner kutte im Zeltlager sehen lassen ...

Jedoch, die Hoffnung geben wir nicht auf, daß immer mehr Menschen aufstehen und sich für das Lebensrecht der Schöpfung engagieren.

Unser Wachdienst geht zu Ende. Dienächste Schicht ist dran. An uns ist es nun zu rufen: „Aufwachen!" Wir klettern den Hang hinunter, vorbei an dem zugefrorenen Teich, auf welchem jeden Sonntag ein ökumenischer Gottesdienst gefeiert wird. Er ist regelmäßig einer der Höhepunkte des Tages - nicht nur für Christen.

Jugendliche mit buntgefärbten Haaren, Mütter mit Kinderwägen, Handwerker und Studenten bilden die Augemeinde. Letzten Sonntag lauschten sie hier unter freiem Himmel aufmerksam der Feldrede Jesu: „Selig, die arm sind vor Gott; / denn ihnen gehört das Himmelreich. / Selig die Trauernden; / denn sie werden getröstet werden. / Selig, die keine Gewalt anwenden; / denn sie werden das Land erb^n. / Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; / denn sie werden satt werden."

Der Autor ist

Student in Wien.

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