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Registrierungen und Wahlresultat

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Ab 3. Juli 1945 hatten sich die nach Paragraph 4 des Verbotsgesetzes registrierpflichtigen Personen bei den magistratischen Bezirksämtern zu melden, und zwar galt dies zunächst nur für die Bezirke I bis XXI. Für die Bezirke XXII bis XXVI wurde der 10. September 1945 als Meldetermin bestimmt, weil dies mangels regelmäßig funktionierender Verkehrsmittel nicht früher möglich gewesen wäre. Die Meldefrist lief für die erste Gruppe am 25. August, für die zweite am 24. September 1945 ab.

Zu diesen Terminen hatten sich In Wien 77.311 Personen, darunter 52.664 männliche und 24.647 weibliche Personen, gemeldet. Ungefähr 90 Prozent derselben hatten gemäß Paragraph 27, Verbotsgesetz, Nachsichtsgesuche eingebracht!

Ab 25. April 1946 lagen die Registrierungslisten zur allgemeinen Einsicht auf. Bis Ende August 1946 hatte sich infolge der Meldungen zurückgekehrter Kriegsgefangener und sonstiger abwesend Gewesener die Anzahl der Registrierten in den Bezirken I bis XXI auf 103.903 erhöht. An erster Stelle stand der 3. Bezirk mit 8048 registrierten Personen, davon 5524 männlichen und 2524 weiblichen. Von diesen hatten 6548 Ent-registrierungsanträge überreicht (4868 Männer und 1680 Frauen).

Aus der von der Gemeinde Wien verlautbarten Aufstellung ergibt sich, daß mit wenigen Ausnahmen die Reihung der einzelnen Bezirke mit den Zahlen bei den Wahlen im Jahre 1934 im großen und ganzen übereinstimmen. Beide Male lagen der erste und elfte Bezirk an letzter Stelle!

Mit Entschließung des Wiener Bürgermeisters vom 30. März 1946 wurde ich erstmalig zum Mitglied der Einspruchskommission für den 3. Bezirk bestätigt, die unter dem Vorsitz des damaligen Obermagistratsrates Dr. Franz Dietmann, späterem Hofrat im Verwaltungsgerichtshof, amtierte. Ich blieb bis 9. Oktober 1951 in dieser Funktion.

In der Kommission waren Vertreter der drei politischen Parteien vertreten. Bei der enormen Menge der eingebrachten Anträge, die Eintragungen, Streichungen und Richtigstellungen zum Gegenstand hatten, mußten in den ersten Jahren wöchentlich zwei Sitzungen abgehalten werden, bei denen durchschnittlich 15 bis 20 Fälle zur Entscheidung kamen. Manche Fälle benötigten oft mehrere Stunden oder wurden von Sitzung zu Sitzung vertagt, so schwierig war der Tatbestand und so schwer die Entscheidung. Stimmenmehrheit der Kommissionsmitglieder entschied.

In viele tausend Lebensschicksale bekam ich damals Einblick und damit die Uberzeugung, daß in der überwiegenden Mehrheit der Fälle die drückende Notlage der dreißiger Jahre, die Sorge um die eigene Existenz und die der Angehörigen sowie der in Dienst- und Arbeitsplätzen ausgeübte Druck die unmittelbare, besser gesagt, mittelbare Ursache waren, Mitläufer zu werden.

Ich habe es stets als meine Pflicht erachtet, keinerlei Haß- oder Vergeltungsgefühle bei den Entscheidüngen mitspielen zu lassen, sondern allen jenen, die keine Schuld auf sich geladen hatten, den Weg in ihren früheren Beruf zu ermöglichen. Daß mir dies auch gelungen ist, beweisen die vielen Hunderte von Dankbriefen. Die Beweiswürdigung war uns Kommissionsmitgliedern in die Hand gegeben, und die große Praxis und gründliche Kenntnis der nationalsozialistischen Parteiorganisation, die wir uns erwarben, gab die Möglichkeit, wenn schon nicht die reine Wahrheit zu finden, wohl aber derselben möglichst nahe zu kommen.

Mit Entschließung des Bürgermeisters der Stadt Wien wurden die in den einzelnen Bezirken eingesetzten Einspruchskommissionen aufgelassen, da der größte Teil der Arbeit bereits geleistet war, und für ganz Wien sieben Einspruchskommissionen gebildet, welche die Geschäfte übernahmen.

Am 17. Juli gab es eine große Demonstration vor meinem Amtsgebäude. Anlaß hierzu bot der Verkauf von Zigaretten in zwei Geschäftslokalen des Bezirkes. Nicht nur der verhältnismäßig hohe Preis,sondern auch die Verkaufszeit, die es der am Vormittag in Arbeit stehenden Bevölkerung unmöglich machte, davon etwas zu bekommen, erregten Unwillen. Ich stellte diese Aktion sofort ab.

Am Montag, dem 23. Juli, als ich wie gewöhnlich, in meinem Amt von hun-derten Hilfesuchenden umlagert war, verbreitete sich plötzlich die Nachricht: Die Engländer sind da! Kurz darauf kam auch ein großes Lastauto vorgefahren, dem Colonel But-terfield und Captain Martins entstiegen, die sich bei mir vorstellten und mich ersuchten, mit ihnen zu fahren, um geeignete Häuser und Wohnungen für die Kommando- und Dienststellen sowie Unterkunftsräume für die Offiziere und Mannschaften festzustellen. Auch Gasthäuser, die sich für Menagen, Magazine, Geschäftsräume usw. eigneten, mußten sofort zur Verfügung gestellt werden. Zu meinen schon gewohnten Obliegenheiten kam nun auch diese aufreibende Tätigkeit. In der Zwischenzeit hatte ich den in der Großmarkthalle ausgebrochenen Streik der Fleischverkäufer und Arbeiter, der wegen der Rückkehr einiger ehemaliger NSDAP-Angehöriger ausgebrochen war, zu schlichten. Mein dienstlicher Kontakt mit der russischen Ortskommandantur blieb unverändert aufrecht; nach wie vor mußte ich dafür sorgen, daß 300 ehemalige Nationalsozialisten täglich zum Bau des Stalin-Denkmales auf dem Schwarzenbergplatz gestellt wurden.

Am 10. August machte ich dem Town Major Prior, dessen Amtssitz das Mautner Markhofsche Schlössel in der Landstraßer Hauptstraße war, meine Aufwartung. Er empfing mich freundlich und lud mich gleich zu einer Gardenparty ein, die in den nächsten Tagen stattfand.

Tags darauf hätte ich mit Minister Heini nach Aussee fahren sollen, kam aber nur bis zur Demarkationslinie an der Ennsbrücke, mußte dort umkehren und mit der Bahn nach Hause fahren. Denn trotz sorgfältigster Vorbereitung und Besorgung aller damals für eine solche Reise nötigen Papiere, genügte mein vom russischen Stadtkommandanten, General Blagodatow, eigenhändig gefertigter Passierschein nicht. „Nix gut“ sagte der russische Offizier an der Brücke. Minister Heini hatte mehr Glück. Seine Papiere und die seines Chauffeurs waren vom Kom- * mandanten der Feldarmee, Marschall Konjew, in Baden unterfertigt, der in Enns offenbar größere Autorität genoß.

Man kann sich meine Enttäuschung vorstellen, als ich von Heini Abschied nehmen, zu Fuß nach Sankt Valentin gehen und dann im überfüllten Zug von 18 Uhr bis 6 Uhr nach Wien zurückfahren mußte.

Schon im Juni hatte man im Rathaus begonnen, auf die Bezirksvorsteher einzuwirken, daß sie die zahllosen ehrenamtlichen Mitarbeiter abbauen mögen. Um diese zu halten, sahen sich viele Bezirksvorsteher genötigt, sich Einnahmequellen zu verschaffen, die nicht nur mehr als bedenklich, sondern auch in keiner Weise mit der kameralistischen Gebarung des Magistrats vereinbar waren. Wenn auch der sogenannte „Ehrensold“ herzlich wenig war, machte es doch die große und unkontrollierte Masse der Empfänger auf die Dauer untragbar. Ich wurde allgemein bestaunt, als ich einen bedeutenden Geldbetrag, den der russische Ortskommandant in der aufgesprengten Kasse der Stadtgartendirektion gefunden und mir persönlich übergeben ließ, sofort, zur Gänze, ohne Abzweigung für den Bezirksfonds, dem Oberbürgermeister Körner zur Verfügung stellte. Dieser konnte gar nicht genug dafür danken. Schwierigkeiten machte aber die Stadtkasse, weil für diese Art des Geldempfanges keine Buchungsposten vorgesehen waren. Anfangs August begannen also die Verhandlungen mit Stadtrat Speiser wegen der Übernahme der ehrenamtlichen Mitarbeiter durch den Magistrat der Stadt Wien. Schon damals zeichnete sich der kommende Proporz ab: Mein Stellvertreter von der SPÖ hatte genauso seine Schützlinge unterzubringen, wie ich die meinen. Der Stellvertreter von der KPÖ zeigte sich dagegen gänzlich desinteressiert.

(Wird fortgesetzt)

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