Die neuen Metamorphosen des Drahtesels

19451960198020002020

In der Geschichte des Radfahrens bahnt sich ein weiterer Umbruch an. Das betrifft die Materialien und Technologien, aber auch die Verkehrsplanung und das Nutzungsverhalten. Über die Zukunft des Radelns -von den Superschnellstraßen bis zum "Smart Cycling".

19451960198020002020

In der Geschichte des Radfahrens bahnt sich ein weiterer Umbruch an. Das betrifft die Materialien und Technologien, aber auch die Verkehrsplanung und das Nutzungsverhalten. Über die Zukunft des Radelns -von den Superschnellstraßen bis zum "Smart Cycling".

Werbung
Werbung
Werbung

Die Elektroräder, die City-Bikes sowie die Lastenfahrräder mit ihren Transportkisten vorne dran sausen auf zwei Fahrbahnen aneinander vorbei, auf das Stadtzentrum zu. Sie fahren auf möglichst kreuzungsfreien Radwegen, die meist vom Umland in die Städte führen -auf sogenannten Radschnellbahnen, auch als Rad-Langstrecken oder "Cycle Superhighways" bekannt. All diese Räder finden dann genügend Parkraum und Servicestationen. Sie verändern den Charakter der Stadt: Mobilität ist sauberer, gesünder, sicherer, effizienter. Genau so könnte es in ein paar Jahren in vielen Großstadtregionen aussehen. In der "Green Capital 2014" Kopenhagen, oder in Deutschland, wo man bis 2020 mit dem Radschnellweg Ruhr 100 Kilometer lang zwischen Duisburg und Hamm alle großen Ruhrgebietsstädte verbinden möchte, ist das teilweise schon Realität.

"Der Radverkehrsanteil in Österreich kann von derzeit sieben auf 20 Prozent erhöht werden", schätzt Christian Gratzer von der Verkehrsorganisation VCÖ, nicht ohne hinzuzufügen: "Vorausgesetzt, es werden entsprechende Maßnahmen umgesetzt." In wachsenden Städten wie Wien werde der Bedarf an platzsparender und energieeffizienter Mobilität weiter steigen, während er sich in den ländlichen Regionen verringert. Gemeinden genauso wie Städte werden umdenken müssen.

Mit dem Faltrad in der S-Bahn

In Summe werden hierzulande rund 1,9 Milliarden geradelte Kilometer pro Jahr - das entspricht rund sechs Mal zur Sonne und wieder zurück! - für Alltagserledigungen zurückgelegt. Das zeigt eine VCÖ-Analyse auf Basis von Daten des Verkehrsministeriums. Besonders an Bedeutung gewonnen haben in letzter Zeit die Berufspendler auf dem Drahtesel. Das beweist die Motivationskampagne der Radlobby. Ihr Motto "Österreich radelt zur Arbeit" lockt seit 2011 tausende Österreicher und Österreicherinnen auf ihre Fahrräder. Im Vorjahr haben mehr als 30.000 Menschen an der Aktion teilgenommen. Sie haben insgesamt vier Millionen Kilometer per Rad zurückgelegt und dadurch mehr als 500 Tonnen CO2-Ausstoß im Vergleich zu Pkw-Fahrten vermieden.

Moderne Radtechnik in Form der E-Bikes oder "Pedelecs" - also jener Elektrofahrräder, bei denen der Elektro-Antrieb nur dann unterstützt, wenn der Fahrer gleichzeitig auch selbst die Pedale tritt - erhöht zudem die Geschwindigkeit. "Daher kommt schnellen und leistungsstarken Radrouten eine immer größere Rolle zu", erkennt man auch im zuständigen Ministerium für Verkehr, Innovation und Technologie, wo man sich auch überlegt, durch welche Maßnahmen Schnelligkeit und Flüssigkeit im Radverkehrsnetz verbessert werden können. Dafür sieht man sich im Ausland nach Vorbildern um: Die 2013 eröffnete Verbindung zwischen Leiden und Den Haag konnte beispielsweise zu einer Erhöhung der Fahrradnutzung um 25 Prozent beitragen. In Dänemark verdoppelte sich der Radverkehr auf der rund 22 Kilometer langen Farum-Route innerhalb von nur drei Jahren.

In Österreich nutzen momentan neun Prozent der Radfahrenden ein E-Bike, weitere 14 Prozent möchten in Zukunft eines besitzen. "Allein im Vorjahr wurden fast 90.000 E-Fahrräder neu gekauft", weiß VCÖ-Sprecher Christian Gratzer. Aufgrund seiner Topographie mit den oft zahlreichen Steigungen sei Österreich ein ideales Land für EFahrräder. Auch den Städtern treibt es fortan keine Schweißperlen mehr auf die Stirn, und älteren Menschen ermöglicht der unterstützende E-Motor, dass sie ihre "Radfahrkarriere" verlängern können und Strecken radeln können, die sie mit einem konventionellen Fahrrad nicht mehr fahren würden.

Zeitgleich entwickelt sich in punkto Mobilität der Trend zur Multimodalität -man kombiniert verschiedene Verkehrsmittel. In Kombination mit dem öffentlichen Verkehr schwören viele auf Falträder, die einfach klein zusammengelegt werden können und so in Bus, Bim oder U-Bahn rund um die Uhr mittransportiert werden dürfen. Vieles deutet darauf hin, dass das Fahrrad in all seinen Spielformen eine prominentere Rolle spielen wird als es zurzeit der Fall ist. Drei von vier Haushalten in Österreich besitzen heute mindestens ein Fahrrad. Spitzenreiter im Bundesländer-Vergleich ist übrigens Salzburg mit 86 Prozent.

Futuristische Modelle

Was sich außerdem als zukunftsträchtige Entwicklung abzeichnet, ist die wachsende Vielfalt der Modelle. Schon heute ist die Palette groß: Von herkömmlichen City-Fahrrädern über Falträder, Transportfahrräder, Mountainbikes und Rennrädern -nie gab es so viele Fahrradtypen wie heute. Die Auswahl könnte noch größer werden, auch weil viele Menschen nun das Fahrrad mit jener emotionalen Bedeutung aufladen, die man einst seinem Auto entgegengebracht hat. Der Wunsch nach Stil, Status und Individualisierung eröffnet hier jedenfalls einen großen Markt für innovative Ideen. Ganz futuristisch mutet zum Beispiel der Entwurf der US-Firma Cyclotron an, die das "Rad der Zukunft" und den nächsten großen Evolutionsschritt im Fahrradbau verspricht. Ab Sommer diesen Jahres soll das Rad verfügbar sein, das auf Speichen und Naben verzichtet und auf schlauchlosen Polymer-Kunststoffreifen fährt. Der Rahmen ist aus Carbon-Verbundmaterial gefertigt, und ein LED-Lichtkranz leuchtet aus den Reifen, was gezielt an den Science-Fiction-Film "Tron: Legacy"(USA, 2010) erinnert. Parallel zum High-Tech-Trend wächst die Sehnsucht nach einfachen Lösungen und Material, das weniger anfällig, ressourcenschonender und teils auch günstiger ist. Und so entstehen heute viele Räder schon aus Holz, Bambus oder recyceltem Karton.

Ein Trend, den etwa die Wiener Stadtpolitik unterstützt, sind die Transportfahrräder. Der Gemeinderat hat im März diesen Jahres die finanzielle Förderung beschlossen: Nach kurzer Zeit war die mit 200.000 Euro dotierte Fördersumme ausgeschöpft; sogleich wurde sie um weitere 100.000 Euro aufgestockt. Lastenräder, wie sie in skandinavischen Ländern schon gang und gebe sind, seien zunehmend "das Familienfahrzeug", meint Gratzer, vor allem im städtischen Raum. In Kopenhagen hat bereits jede vierte Familie mit Kindern ein solches Lastenrad. Zusätzlich sind sie für den urbanen Gütertransport im Einsatz, insbesondere für Zustelldienste. So liefert beispielsweise das Start-up-Unternehmen "Rita bringt's" vegetarisches Mittagessen damit aus.

"Freefloating Bike-Sharing"

Wie alle Lebensbereiche wird das Radeln heute auch von der Digitalisierung durchdrungen: Zum Beispiel bieten unterschiedliche Apps Orientierung und schützen vor Diebstahl. Bei dem vernetzten Fahrrad sind der Standort und der Ladezustand der Akkus per Smartphone-App abrufbar. Das Rad der Zukunft soll Unfallszenarien erkennen und den Krankenwagen rufen, wenn sein Besitzer auf Nachfrage nach einem Sturz nicht mehr reagiert. Auch das funktioniert über eine App und einen Bewegungssensor. Außerdem verändert sich das "Bike-Sharing". In den kommenden Jahren werde sich in Europas Städten das "freefloating Bike-Sharing" durchsetzen, so Gratzer: Im Unterschied zum stationsbasierten Radverleih sind die leichten "Smartbikes" aus Aluminium per Chip registriert. Sie können bei allen Fahrradständern abgestellt werden. Öffnen und Absperren erfolgen mittels Bluetooth.

Entwicklungen in diese Richtung stehen zwar erst am Anfang, und der Großteil der Menschen wird auch in den kommenden Jahren auf herkömmlichen Rädern durch die Gegend fahren -ganz ohne technologische Aufrüstung. Doch die neuen Möglichkeiten tragen ungemein zur Erweiterung der Zielgruppe für das Radfahren bei.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung