Die Politik dreht am Rad

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Wien möchte seinen Radfahrer-Anteil in den nächsten Jahren verdoppeln. Wie das gelingen kann, schaut man sich am Erfolgsbeispiel München ab.

Von einem rücksichtsvollen und höflichen Miteinander aller Verkehrsteilnehmer ist man in Wien weit entfernt. Egal, ob es um die Forderung nach Nummerntafeln oder nach Alkoholtests für Radfahrer geht - die Klagen über undisziplinierte Radfahrer entwickeln sich zu einem jährlich wiederkehrenden Sommerthema. Fakt ist, dass die städtischen Radfahrer immer mehr werden und damit auch das Konfliktpotenzial steigt. Der Ausbau der Infrastruktur hinkt der wachsenden Zahl an Radfahrern hinterher. Denn das Rad liegt im Trend: Allein zwischen 2005 und 2010 ist die Anzahl der österreichischen Haushalte mit einem Fahrrad von 58 auf 76 Prozent gestiegen.

Wien radelt München hinterher

Seit die weltgrößte Rad-Konferenz "Velo City“ 2007 in München tagte, hat sich die bayrische Hauptstadt zu einer Radfahrer-Metropole entwickelt. Die Stadt hat den Autofahrern im größeren Stil Raum weggenommen und acht neue Stellen zur Förderung des Radverkehrs geschaffen. Mit der Kampagne "Radlhauptstadt München“ startete 2010 ein systematisches Werben für den Umstieg auf das Rad. Im Herbst will auch die Radagentur Wien nachziehen und ein ähnliches Marketing-Konzept samt Logo präsentieren.

Das traditionell rote Wien hat in punkto Fahrradkultur einen Nachholbedarf. Seit die Grünen mitregieren, erlebt das Radfahren einen Aufschwung. In München bemüht sich schon seit 20 Jahren eine rot-grüne Koalition um nachhaltige Mobilität. Die Erfolge sind beachtlich: Zwischen 1996 und 2011 kletterte der Münchener Radfahrer-Anteil von sechs Prozent auf 17 Prozent. In Wien hingegen ist man noch immer bei einer sechsprozentigen Radfahrer-Quote.

Das Erfolgsmodell München besteht in der Kombination aus infrastrukturellen, administrativen und werbenden Maßnahmen und soll nun auf Wien übertragen werden. "Wir stehen in intensivem Kontakt mit den Münchnern“, sagt Andreas Baur, Sprecher der grünen Verkehrsstadträtin Maria Vassilakou. Das ambitionierte Ziel der Wiener Grünen ist es, den Anteil der Radfahrer bis 2015 auf zehn Prozent zu heben, also quasi zu verdoppeln. Die Zeichen stehen gut: 2013 findet in Wien die "Velo City“ statt. "Wien will den Schwung der Velo City genauso mitnehmen wie es München gemacht hat“, sagt Christian Rupp von der Radagentur Wien.

Das Marketing-Geheimnis der Münchner lautet weg von der Vernunft und hin zur Emotion. Die Bayern haben einen emotionalen Bezug zu ihrem BMW oder Audi. "München steht aber auch für Mode. Hier will man sich mit dem Fahrrad präsentieren. Das nützen wir für unser Marketing“, erklärt Martin Schreiner von der Münchner Abteilung für Verkehrsmanagement. Auch in Wien will man das Rad künftig als sportlich, jung, urban und chic verkaufen.

Wo es in Wien noch bremst

Das Münchner Zentrum bietet zwar breitere Straßen und Boulevards als die Wiener Innenstadt. Auch ist München etwas ebener als Wien. Ansonsten verfügen die beiden Städte durch ihre vergleichbare Größe, Stadtstruktur, Verkehrsmentalität und Witterung über ähnliche Voraussetzungen für das Radfahren. Beide Metropolen sind dicht besiedelt. "Das bedeutet kurze Wege für Radfahrer. In München kann man in 30 bis 40 Minuten vom Stadtrand ins Zentrum radeln“, betont Schreiner. Das trifft genauso auf Wien zu.

Das Rad sicher abzustellen, gestaltet sich in Wien schwieriger: "In München werden die Räder entlang der Häuser zu Tausenden abgestellt. In Wien müssen sie an einer Abstellanlage befestigt werden, weil so viel gestohlen wird“, sagt Wolfgang Dvorak von der MA 18 für Stadtentwicklung. Dafür hat Wien das bessere Fahrradverleih-System: "An fixen Stationen kann man in Wien immer ein Rad finden. In München hingegen stehen die Räder an wechselnden Orten“, so der Münchner Mobilitätsexperte Schreiner.

Obwohl das Wiener Radwegnetz zunehmend ausgebaut wird, leidet oft die Qualität der Fahrwege. "Dort, wo viele Fußgänger und Radfahrer unterwegs sind, braucht es eine bauliche Trennung“, fordert Andrzej Felczak, Vorsitzender der Radlobby Argus. "An großen Straßen sollte den Autofahrern eine Park- oder Fahrspur weggenommen werden, um einen Radweg neu - oder auszubauen“, meint Felczak. Denn die eineinhalb Meter breiten Mehrzweckstreifen neben Parkspuren seien für Radfahrer gefährlich: "Da der Sicherheitsabstand zu unachtsam geöffneten Autotüren zu gering ist, sollten die Streifen verbreitert werden.“

Eine weitere Forderung der Radlobby Argus ist die Entschleunigung des motorisierten Verkehrs: "Wenn die Autos nur Tempo 30 fahren, können Radfahrer dieselbe Straße benutzen.“ Die Radabstellplätze sind in Wien zwar schon wesentlich mehr geworden, doch der Bedarf ist noch nicht gedeckt. "Weil ein Drittel der Radfahrer bei jedem Wetter unterwegs ist, sollte auch ein Drittel der Radabstellplätze überdacht sein“, sagt Radlobbyist Felczak.

Zukunft auf zwei Rädern

Sowohl München als auch Wien wachsen kontinuierlich, die Stadtfläche wird immer knapper. Staus und ein Kollaps des öffentlichen Verkehrs sind die Folge. Zudem werden sämtliche Feinstaubwerte schon jetzt überschritten. "Künftig werden die Leute Rad fahren müssen, wenn sie mobil bleiben wollen. Dieser Trend ist global zu beobachten“, konstatiert Verkehrsexperte Schreiner. Dabei wird der Klimawandel den Radfahrern im Winter zunehmend zu Gute kommen. "In Zeiten, in denen die soziale Schere auseinandergeht, ermöglicht das Rad großen Bevölkerungsteilen Mobilität. Durch den E-Bike-Trend können auch ältere Menschen und Leute in hügeligen Gebieten das Rad nutzen“, so Schreiner. "Die schnellen Radfahrer werden künftig auf einer eigenen Straßenspur fahren, die langsamen Radler auf den alten Radwegen.“ In Kopenhagen ist dieses Modell bereits Praxis.

Künftig werden Städte umfassende Mobilitätskonzepte entwickeln: Von Car-Sharing-Modellen und Fahrradverleih-Systemen bis hin zur City-Maut. "Weil während der Stoßzeiten der öffentliche Verkehr überlastet ist, sollten auch Öffi-Nutzer auf das Rad umsteigen“, meint der Wiener Grünen-Gemeinderat Christoph Chorherr. Dazu brauche es einen Sinneswandel hin zur sanften Mobilität: "In den Niederlanden fahren Manager genauso selbstverständlich mit dem Rad zur Vorstandssitzung wie Jugendliche in die Schule oder Senioren zum Einkaufen.“

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