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Mehr radfahren in Wien

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Die Straßen sind von Autos verstopft, dazwischen stecken die Straßenbahnen, die Busse, die Fußgänger, von Abgasen eingehüllt - oder unter die Erde verbannt. In den umliegenden Häusern läßt der Lärm die Scheiben klirren; Nervosität und Aggression liegen in der Luft. Das Verkehrsproblem vor allem der Großstädte ist zu einem nicht mehr zu bändigenden Ungeheuer angewachsen, das alles zu verschlingen droht.

Wären da nicht wieder als Hauptverkehrsmittel für kürzeste Distanzen die Füße und für weitere ein schon recht altes, dafür umso vernünftigeres Fortbewegungsinstrument zu benützen, das gerade heute, wo man von Energiekrise, Lärm und Gestank, mangelnder körperlicher Betätigung der Städter, Parkplatzproblemen u. ä. spricht, geradezu ideal erscheint: das Fahrrad?

Bevor man das als verrückte Idee -den Spinnern vorbehalten - abtut, möge man folgendes bedenken: Ein durchschnittlicher Fahrweg in der Stadt beträgt im Mittel fünf Kilometer. Rechnet man sich die Kosten für einen Mittelklassewagen, Benzin, Wartung, Abschreibungen aus, so ergeben sich bei einem Kilometergeld von vier Schilling (zahlreiche Tests von Autofach-leuten bestätigen dies) für diesen kurzen Weg rund zwanzig Schilling.

Dazu kommen das Zeitmoment bei Stauungen, Parkplatzsuche sowie die leider schwer in Zahlen faßbaren externen Effekte, wie Belastung durch Lärm und Gestank, unnötige nervliche Beanspruchung u. ä.

Das Fahrrad hingegen ist auf diese kurze Distanz nicht wesentlich langsamer, oft sogar schneller (vom Autor in Wien oft erprobt), in dafür vorgesehenen Straßen ungefährlich und äußerst billig: um 2000 Schilling sind langlebige Qualitätsfahrräder, zu haben. Das Verhältnis von Energieaufwand zur Leistung ist optimal (ein Beispiel zur Illustration: Ein Fußgänger oder auch sein Hund, ebenso wie alle anderen Lebewesen, setzt zur Bewältigung einer bestimmten Strecke beträchtlich mehr Energie um als ein Radfahrer), ein Auto benötigt die Energie für oft mehr als eine Tonne, um 80 Kilo weiterzubewegen.

Weiters ist das Fahrrad umweltfreundlich, stadtbilderhaltend, angenehm für die Anrainer, rohstoffschonend, gesund (heute ist die geradezu perverse Situation eingetreten, daß viele Menschen im Auto fluchend ihre Wege zurücklegen, um dann zu Hause im Kämmerlein auf dem Zimmerfahrrad zu strampeln) - mit einem Wort ideal.

Auch die Wetterproblematik, gerne als Gegenargument angeführt, muß kein Hindernis sein. Der menschliche Erfindungsgeist hat schon schwierigere Probleme gelöst: geeigneter Regenschutz, Umkleide- und Duschmöglichkeiten könnten zur Verfügung gestellt werden.

In Holland, England und in einigen deutschen Städten fahren schon täglich Tausende zur Arbeit, zur Schule; die wenigen Grünstraßen, von einem Netz kann noch nirgends die Rede sein, begeistern die Anrainer: Man kann wieder lüften, auf der Straße sitzen und Spazierengehen, die Kinder ungefährdet vor der Haustür spielen lassen, endlich die Nachbarn kennenlernen. Veranstaltungen, Diskussionen, Musik sind für viele eine neue Möglichkeit, der städtischen Einsamkeit zu entrinnen.

Leider stößt man in Wien mit diesen Ideen bei den meisten Verantwortlichen auf taube Ohren. Während ein deutscher Bundesminister die Bevölkerung in dieser Richtung zu motivieren versucht, ein österreichischer Botschafter im Ausland täglich mit dem Fahrrad seine Wege zurücklegt, meinen unsere Politiker, diese Versionen seien zu absurd - und planen weitere Stadtautobahnen. Und um die Fahrradfahrer wenigstens ein bißchen zu befriedigen, legt man am Stadtrand einige wenige Radwege an, völlig dem Irrtum erliegend, der Drahtesel sei ein reines Freizeit-uhd Sportgerät.

In Österreich, so heißt es allgemein, kämen die meisten Entwicklungen, oft zum Glück, erst stark verspätet zum Zug. Warum könnten wir uns, Auto-städte wie Los Angeles und „Grüne Städte" vergleichend, nicht einmal in einer so wichtigen Frage als bahnbrechend erweisen?

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