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Der Glauke an Jas Auto

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Der Fußgänger gehört eigentlich nicht mehr in unsere Welt, er gehört einer aussterbenden Rasse an, die Geschichte wird morgen nicht mehr von ihm sprechen. Er gehört zu den Lebewesen, die dem Untergang geweiht sind. Es wird der Zeitpunkt kommen, wo man inmitten unserer chromblitzenden und asphaltglänzenden Städte dem letzten Fußgänger ein Denkmal setzen wird, wie früher den Feldherren, Dichtern und Denkern. Das wird die Stunde seines endgültigen Vergessens sein, sie beschließt eine vieltausendjährige, dunkle Epoche: der Mensch ohne Stahlkarosserie, ohne Anlasser und Gaspedal tritt zurück in das geschichtslose Dunkel der Urmenschen, irgendwie gehörte er noch zu den Höhlen- und Steinzeitmenschen, er war nicht ernst zu nehmen, denn erst das Auto hat den Menschen recht eigentlich ium vollkommenen Menschen gemacht, und wir dürfen sagen, in dieser großen Epoche schon dabeigewesen zu sein.

Es ist klar: das Auto hat den Fußgänger besiegt. Es ist ein endgültiger, triumphaler und zugleich trauriger Sieg; traurig schon deshalb, weil er das Antlitz des Menschen für immer aus dem Straßenbild verbannte. Das Bild unserer Städte wird heute immer verkehrsreicher und doch zugleich menschenleerer. Die verchromten Stromlinien, das Plexiglas, das Nebelhorn und der Rückstrahler, das sanfte Surren und Hupen hat den Menschen, sein Auge, seinen Gang ersetzt. In Amerika gibt es heute schon hpchindustrialisierte Städte, die trotz ihres pulsenden, fünf- oder sechsreihigen Autoverkehrs einen vollkommen menschenleeren, ausgestorbenen Eindruck mächen. Ganze Straßenfluchten ohne einen Passanten zu Fuß, die Bürgersteige sind längst eingeebnet, an die Stelle der intimen Lichtspieltheater Sind die Autokinos getreten, wo Karawanen von Automobilen vor einer riesigen Leinwand parken und man bequem vom Steuerrad aus den Film sehen kann.

Bei uns in Mitteleuropa ist man noch nicht ganz soweit. Noch gibt es kleine Grüppchen, die verzweifelt die schwindenden Rechte der Fußgänger zu verteidigen suchen, aber man weiß: sie kämpfen auf verlorenem Posten. Noch zerbrechen sich die Stadtväter überall die Köpfe, wie man den lawinenartig anschwellenden Verkehr von morgen bewältigen soll. Straßenbahnschienen werden herausgerissen, Häuserfluchten niedergelegt, Kirchen „ausgelagert“. Denn die Parkplatznot ist bekanntlich die Staatsnot Nr. 1 geworden und ist dringlicher als die vielberedete Ehenot und die Krise des Abendlandes. Wichtiger als Lesen und Schreiben ist die Erziehung zur Verkehrsdisziplin geworden, denn der Mensch von morgen wird nicht unbedingt mehr Goethe und Shakespeare kennen müssen: er muß auf Signale reagieren, Verbotstafeln respektieren, er muß über diffizile Fragen des Vorfahrtsrechts Bescheid wissen und Zwischengas so sicher geben wie früher die Hand. Bei Rotlicht muß ihm instinktiv die Hand an die Bremse gehen, und Grün muß sich automatisch umsetzen in eine sanfte Bewegung des rechten Fußes, dabei etwas Radiomusik, eine gewichtige Sonnenbrille und die unvermeidliche zigarette —: das ungefähr wird der neue Mensch von morgen sein.

Warum das alles so gekommen ist, ist klar. Die Technik läuft unaufhaltsam weiter, der Siegeszug der Maschine konnte vor dem Verkehr nicht haltmachen. Aber ich frage mich manchmal, ob es wirklich nur diese äußere Entwicklung, dieser technische Fortschritt gewesen ist, der den Menschen so in die Zange genommen hat. Ich frage mich, was aus dem Menschen von heute wohl würde, wenn man ihm das Auto wieder nähme?

Bräche damit nicht vielleicht alles, was ihm heute noch Halt, Selbstgefühl und Lebenssinn gibt, zusammen? Ist die Karosserie vielleicht leine Art Ritterpanzer gegen den Nihilismus? Denn es ist klar, daß heute ein Mensch ohne Auto kein vollwertiger Mensch ist. Sein Wert und seine Bedeutung bemißt sich an der Stärke und Eleganz seiner Motorisierung. Ein Abgeordneter, der zur Sitzung mit dem Fahrrad käme, bringt das Ansehen und Renommee seiner Fraktion in Gefahr. Ein Hotelgast, der ganz bieder zu Fuß mit seinem Köfferchen vor dem Hotel aufkreuzt, tut unklug und wird auch durch noble Trinkgelder im Foyer nicht den Eindruck peinlicher Aermlichkeit verwischen können. Jeder Hochstapler, der mit einem,“an der nächsten Ecke gestohlenen Straßenkreuzer vorfährt, erhält mehr Kredit bei der Direktion, denn das Auto ist die Visitenkarte der feinen Gesellschaft, mögen da auch immer' noch ein paar arme Dichter und Denker mit der Straßenbahn fahren.

Junge Männer, die sich auf Freierifüßen bewegen, brauchen heute nicht mehr Anstand und gute Herkunft nachweisen — wenn sie nur schwungvoll mit einem Wagen vorbrauien können, 10 wird ihnen die Schöne nicht widerstehen können. Männer ohne Autos haben heute kaum noch Chancen bei modernen Frauen. Das Auto ist gleichsam das unwiderstehlichste männliche Attribut. Die Faszination, die von einem motorisierten Mann auf die Frauenwelt ausgeht, muß enorm sein und läßt für die Psychoanalytiker allerlei Rückschlüsse auf die menschliche Seele zu.

Und welter — die Ehen: was wären heute viele Ehen ohne das gemeinsame Auto? Man spricht gegenwärtig gern von der Nervosität, der Kontaktschwäche und Gemeinschaftsunfähigkeit, die das technische Zeitalter mit seinen vielen Ehescheidungen heraufgebracht hat. Aber hat man sich schon einmal die Frage vorgelegt, wie viele Ehen heute nicht geschieden Werden, eben weil ein Auto da ist? Das Auto hat einen gemeinschaftsfördernden, eheerhaltenden Charakter und sollte schon deswegen vom Familienminister gefördert werden. Wal sollen schließlich die vielen Ehepaare machen, die sich überdrüssig“ geworden sind und doch nur ein Auto besitzen? Sie müssen eben doch zusammenbleiben: der Mann steuert weiter das Lebensschiffchen, und die Frau sitzt brav und geduldig daneben und kann ihre entleerte Ehe auf das angenehmste durch Ausblick auf die vorbeiziehende Landschaft erfüllen. Das Auto ist eben wie eine Klammer, die die Menschen zusammenhält. Man braucht nicht einmal, mehr miteinander zu sprechen: die Ruhe und Selbstsicherheits mit der da herauf- und heruntergeschaltet wird, wirkt allein schon familienfördernd. Mag manchem dies auch Übertrieben erscheinen; sicher ist, daß die Stillegung der Motorisierung ein sprunghaftes Ansteigen der Sc'heidungsziffern nach sich ziehen würde.

Man versteht also nun, warum wir Heutigen im Zeitalter der Vollmotorisierung leben. Das Auto gibt unserem Leben einen neuen Sinn. Es steigert unser Selbstgefühl. Der Mensch von heute fühlt sieh irgendwo in den Tiefen minderwertig, wenn er zu Fuß gehen muß. Er leidet an Komplexen, ' sobald ihn Jemand schnittig überholt. Der erste Druck auf den Anlasser des Wagens, an dem man noch zwei Jahre abzahlen wird, entschädigt für alle Entbehrungen zu Hause.

Den Gashebel am Motorrad aufdrehen, daß et richtig knattert und raucht, ist für die Jugend ein Erlebnis rauschhaft gesteigerten Daseinsgefühls, wie es In früheren Jahrhunderten nur Königen und Heiligen zuteil wurde.

Was soll in einer solchen Zeit noch der Fußgänger? Er ist hoffnungslos ins Hintertreffen geraten; er stört eigentlich nur den Vet':ehr. Und doch - wohl dem, der sich noch eine Weile zu Fuß durch die Autokarawanen zu schlängeln versucht: es muß ein krisenfester, ein bewundernswerter Mann sein, ein Mann ohne Eile, ohne Minderwertigkeitsgefühl und Neurosen. Man sollte ihm bald ein Denkmal setzen!

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