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Der Tag ist voll von Explosionen

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Vor dreißig Jahren hätte das Thema „Naturschutz und Lärm“ erstauntes Kopf schütteln ausgelöst. Heute ist es hochaktuell. Denn wii stehen vor einem sozialen Problem, das nicht ernst genug genommen werden kann, erleben wir doch eine brutale Diktatur des Lärms.

Der Lärm wirkt barbarisch, wenn er gewollt wird. Die Ohrenfolter des Lärms wird gewollt, weil sie einem Großteil ihrer Erreger ein Lustgefühl bereitet. Ich denke da vor allem an die herausfordernden Motorrad- und Mopedwildlinge, die aus Angst vor ihrer inneren Leere die entlegensten Winkel des Landes mit Getöse erfüllen. Je weniger der Mensch i n sich hat, um so mehr Lärm macht er. Würde ein Fußgänger solchen Radau verursachen, er würde wegen öffentlicher Ruhestörung belangt werden. Warum läßt sich die Mehrheit der Menschen von einer rücksichtslosen Minderheit tyrannisieren, die ein Bedürfnis nach betäubenden Geräuschen hat? Sind wir dagegen wirklich wehrlos?

Wer lärmt, will mehr scheinen, als er ist. Der Außenstehende kommt sich immer angerempelt vor. Der grundlos Lärmende will sein Vorhandensein unter Beweis stellen: Achtung, ihr Leute; jetzt bin ich dal

Der Besitz und das Steuern eines motorisierten Fahrzeuges hebt die Klassenunterschiede auf, stützt die Persönlichkeit, steigert das Selbstgefühl in ungeahnter Weise, ersetzt den fehlenden inneren Halt und zaubert Minderwertigkeitskomplexe weg. Dürfen wir uns da wundern, daß die Jugend dem faszinierenden Motor restlos verfallen ist? Raserei und hemmungslose Lärmorgien sind „Sport“, wobei man die Stärke seiner Maschine für seine eigene hält und sich als bewunderter Held vorkommt. Prahlsucht, Geschwindigkeitsrausch, Gefühl der Macht und Ueberlegenheit, Befriedigung des Herrschafmn'ebes. Eine. teuflische Sache. Es fehlen nur noch Motorräder mit eingebauten

Musikboxen und Kofferradios. Den Weihraucr der Zivilisation besorgen die Auspuffgase, die der lufthungrige Wanderer schlucken muß.

Wer gegen dieses Glücksideal, dem dringende Bedürfnisse, Familie und Lebenskultur zun Opfer fallen, protestiert, kämpft, wie weiland Don Quichote, gegen Windmühlen. Die Menschen rasen weiter. In die Langeweile. Ihrei seelischen Verarmung werden sie sich dabei gar nicht bewußt.

Die Motorisierung wird wegen ihrer unleugbaren praktischen Vorteile noch bedeutend zunehmen. Sie hebt die Volkswirtschaft, sie gibt Arbeit. Milliardenumsätze. Niemand wagt daher, die Motorisierung zu drosseln. Die durch die angelaufene Automatisation vermehrte Freizeit wird zu ihrer Steigerung ebenso beitragen wie der dämonische Bewegungstrieb des Motors an sich. Der lebt ja von ständigen Explosionen, also von Entladungen. Er hat etwas Gewaltsames, das den Fahrer ansteckt und auf seinen Charakter abfärbt. Für viele fängt ja der Mensch erst beim Auto oder Motorrad an. Am Volant werden viele zum Angreifer; Egoismus ist Trumpf.

Der Lärm bringt den Menschen um sein Bestes, um sein Ich, um sein Innenleben. Auf weitere Sicht bedeutet er eine ungeheure Gefahr für die Kultur. Nur in der Stille reifen große Gedanken. Nur die Stille ermöglicht schöpferisches Arbeiten. Die Stille ist nach Laotse, dem vor zweitausendfünfhundert Jahren lebenden chinesischen Weisen, die größte Offenbarung. Nur aus der Stille erwächst wirkliche Stärke, erwächst der innere Einklang mit uns selbst. Der Lärm aber ist nach Schopenhauer der Mörder aller Gedanken.

Der Lärm kommt jetzt auch dorthin, wo er nichts zu suchen hat. In die* Einsamkeit der Natur, der Landschaft, der Berge. Es geht darum, ob uns diese erhalten bleiben als das, was sie uns bisher waren: ein nie versiegender seelischer und körperlicher Kraftquell, der das durch die Hast des Alltags ins Wanken geratene Gleichgewicht wiederherstellt. Soll das Motorengeknatter die Musik der Natur werden? Wenn du, o Bergsteiger, auf einsamer Höhe das Alpenglühen bewunderst, dann sei auch ein Menschenfreund und stell dein Kofferradio abl Die Gefahren des Lärms für unsere Gesundheit werden von der Aerzteschaft warnend immer wieder betont: Störungen des Kreislaufs und des Blutdrucks, Herzkrankheiten, Schädigung des Nervensystems, chronische Müdigkeit, Schlaflosigkeit, Leistungsabnahme, innere Unruhe und Unsicherheit infolge Ueberlastung des Organismus. Neurosen auch und psychische Erkrankungen. Es gibt da keine „An-p a s s u n g“, sagen die Nervten-spezialisten. Sind das nicht Körperverletzungen im Sinne des Strafgesetzes?

Was kann gegen den Lärm unternommen werden? Sehr viel, vorausgesetzt, daß man wirklich will. In Wien wurde vor kurzem die „Oesterreichische Liga für Lärmbekämpfung“ gegründet. Die alpinen Vereine Oesterreichs erwägen: Lärmbekämpfung in der Natur, Schutz der Wanderwege, Schaffung entmotorisierter Zonen. Das Berg- und Hügelland muß unbedingt den Wanderern und Ruhebedürftigen als Erholungsraum erhalten bleiben. Eine entgegengesetzte Entwicklung würde letzten Endes den Fremdenverkehr in weiten Teilen des Landes unmöglich machen. Das bedeutet aber kein Ablehnen der Entwicklung des motorisierten Verkehrs, denn er dient den Bergsteigern und Wanderern zur schnelleren Erreichung ihrer Ausgangspunkte. Vor allem soll das markierte Wegenetz mit Rücksicht auf die vorgedrungene Motorisierung entsprechend überprüft oder geändert werden. Markierungen auf Güterwegen, die mit Kraftfahrzeugen befahren werden, müßten aufgelassen und an ihrer Stelle neue Steige angelegt werden. Weiter soll das Abstellen von Kraftfahrzeugen in der Nähe von Schutzhütten verhindert werden, wozu entsprechende Parkplätze notwendig wären. Soweit Personen durch groben Unfug und Motorenlärm die Ruhe im Wald und auf der Alm stören, sollen sie bestraft werden. Auch gegen das Hubschrauberunwesen in der Schweiz wurde Stellung genommen, da man dort bald auf dem Luftweg fast jeden Gipfel erreichen kann. In der Steiermark wurden Naturschutzgebiete in den Schladminger Tauern und auf der Koralpe gefordert.

„nachahmenswertes„ Beispiel: der Ge-mejnderat yc-n Scbwaz in. Tirol beschloß für alle. Waldwege seines Gebietes ein allgemeines Fahrverbot für Kraftfahrzeuge. Ausgenommen sind nur zwei Zufahrtsstraßen zu Touristenhütten.

In Deutschland wirken auf gleiche Weise der „Deutsche Arbeitsring für Lärmbekämpfung“, der mit der Zentrale für Volksgesundheitspflege zusammenarbeitet. Dann die Bundesanstalt für Naturschutz und Landschaftspflege sowie die Schutzgemeinschaft „Deutscher Wald“. In Deutschland mehren sich die Gürtel von Landschaftsschutzgebieten, die Städte als Erholungsraum in ihren Außenbezirken anlegen. Hamburg ist hier führend. Unter dem Motto „Schafft Oasen der Ruhe!“ sind diese Gebiete für motorisierte Ausflügler gesperrt, zumal auch schon die Fremdenindustrie auf Grund der Gästewünsche die Forderung nach solchen Reservaten erhebt.

Schaffen wir daher auch in Oesterreich Großlandschutzgebiete für Erholungsuchende! Wir brauchen ferner ein Gesetz, das die Benutzung von Wald- und Wiesenwegen durch motorisierte Fahrzeuge (einschließlich Mopeds) verbietet und außerdem den Spaziergängern in der näheren und weiteren Umgebung von Siedlungen bestimmte Straßen als motorenfrei garantiert. Eine Behinderung für arbeitende Bauern, Land- und Forstarbeiter darf damit selbstredend nicht verbunden sein. Wohl aber ist eine ständige Ueberwachung notwendig, denn sonst steht alles nur auf dem Papier. Kein Motorrad, kein Moped ohne plombierten Schalldämpfer! Strenge Strafen für jene Gangster, die diese ihrer privaten Belustigung wegen abmontieren oder „frisieren“ und wie ein Maschinengewehr bei Tag und Macht darauflos knattern. Lärmende Menschen sind schlecht erzogen, lärmende Fahrzeuge sind schlecht gebaut. Ein entsprechender Druck auf iie Industrie ist dringend notwendig.

Empfohlen wird enge Zusammenarbeit von Naturschutz, Land- und Forstwirtschaft, alpinen Vereinen, Waldschutzverband und Jägerschaft. Letztere muß ja ein großes Interesse an der uhe des Waldes haben, dessen Tiere durch len motorisierten Lärm beunruhigt und verhieben werden.

Wir haben einen gesetzlichen Schutz für 'flanzen, für Tiere, wir haben den Denkmal-ichutz. Wo bleibt der Schutz des Menschen ror dem unsozialen Lärm?

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