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Hochwasser

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Wieder einmal ist in diesen Tagen die Bevölkerung durch Zeitungsmeldungen über Hochwasserkatastrophen und deren verheerende Auswirkungen in Atem gehalten worden. Durch jahrelanges Leid fatalistisch geworden, nimmt man derartige Meldungen allzuoft ohne viel Nachdenken als unabwendbare Fügungen zur Kenntnis. Diese Einstellung ist falsch, denn, so widersinnig dies klingen mag, es bildet fast jeder Grundbesitzer, vornehmlich der des Hochgebirges, durch seine „Kulturtätigkeit“ oder besser gesagt durch deren Unterlassung ein Glied in der Kette, die schließlich die Katastrophe verschuldet.

Es ist bekannt, daß Katastrophen stets nur durch Summenwirkung entstehen, und ebenso, daß nicht das Wasser allein die verheerenden Wirkungen einer Hoch-wasserkatastrophe zeitigt, daß sich vielmehr diese Wirkungen erst einstellen, wenn das Hochwasser übermäßige Geschiebemengen in Bewegung gesetzt hat. Dies geschieht in der Regel dann, wenn der Wasserabfluß stoßweise erfolgt, also die natürliche Retention, die Wasser-/ Zurückhaltung im Einzugsgebiet, nicht ordnungsgemäß funktioniert. Wenn dann noch, wie dies in den engen Alpentälern die Regel ist, die Bäche und Flüsse durch Schuttkegel und Muren aus seitlichen Zubringern verstopft werden, Verwerfungen des Flußlaufes, Lehnen- und Uferbrüche in Kettenreaktion entstehen und schließlich das mit Geschiebe übersättigte Wasser auf nicht gesicherte Holzlager und nicht hochwasserfrei trassierte Wege, Straßen und Brücken auftrifft, so entsteht infolge von Verklausungen Schwallbildung, welche die Hochwasserwirkung ins Ungemessene steigert.

Die primäre Ursache ist also der stoßweise Wasserabfluß und die unzureichende Retention im Einzugsgebiet. Für beides zeichnet aber unsere „Kulturtätigkeit“ verantwortlich, also der Mensch. Die Natur hat den Wald als natürlichen Schwamm geschaffen, welcher sich bei Regen und Schneeschmelze mit Wasser anfüllt, um es dann langsam zu entlassen. Seit Jahrtausenden rodet und brennt der Mensch den Wald nieder, um Kultur- und Siedlungsflächen zu erhalten. Der natürliche „Schwamm“ wird trotz Waldschutz- und Walderhaltungsgesetzen immer kleiner. Seit dem ersten Weltkrieg wird der spärliche Rest durch Holzhunger, Kriegserfordernisse und Profitgier übermäßig genutzt. Diese Nutzung erfolgt im Hochgebirge, also gerade in den für Katastrophen besonders anfälligen Gebieten in der Regel in Form von Großkahlschlägen, weil sonst die Rentabilität für die kostspieligen Bringungsanlagen nicht gefunden werden kann. So wird auf großen Flächen der Schwamm in das Gegenteil verwandelt. Vielfach werden solche Kahlschläge als Viehweide erklärt, und der Viehtritt verändert die Bodenstruktur noch weiter ungünstig. Im letzten Jahrhundert wurde überdies der Rest des einstigen Naturwaldes aus falsch verstandenen Rationalisierungsgründen in eine Fichtenholzfabrik verwandelt, welche durch ihre unverrottete Nadelstreudecke wasserabstoßend wirkt und den Wasserabfluß erheblich beschleunigt. Während der Napoleonischen Kriege wurden unter anderem in der Steiermark ganze Höhenzüge kahlgeschlagen und das Holz für die Waffenschmiede zu Holzkohle verarbeitet. Aus dieser Zeit stammt die einschneidendste Herabdrückung der oberen Baumgrenze stellenweise bis zu 500 Meter. Die Urwälder der Eisenerzer Alpen, der Rotten-manner Tauern, der Seckauer Alpen und viele andere wurden damals geradezu ausgerottet, und man scheute sich auch nicht, selbst Latschenbestände zu verkohlen. Vor 150 Jahren trugen alle diese Berge den herrlichsten Urwald, wie alte Chroniken dies erzählen, heute sind die Kuppen weithin kahl und hunderte Quadratkilometer völlig unproduktiv. Derart einschneidende Eingriffe in'den Haushalt der Natur müssen nrtürlich die verheerendsten Folgen zeitigen. Daher ist es interessant, feststellen zu können, daß schon damals nach der ersten Entwaldung der Weststeiermark das Murtal von einer sich ständig steigernden Reihe von Hochwasserkatastrophen heimgesucht wurde, deren Höhepunkt das Jahr 1827 mit einem Hochwasser brachte, welches sogar die Stadt Graz im höchsten Grade gefährdete.

Wir stehen also heute folgender Situation gegenüber: Der wasserabstoßenden, durch Herabdrückung der oberen Waldgrenze stark vermehrten Kahlgesteinsund Almzone gesellt sich eine durch Brandkultur und Rodung dezimierte, durch Großkahlschlag- und Weidewirtschaft teilweise bereits verkarstete, durch Fichtenmonokultur den Wasserabfluß beschleunigende Waldzone zu, die durch die Holzbringung in Erdriesen in viele Runsen aufgespalten ist, deren jede durch das ungehemmt zu Tal stürzende Niederschlagswasser zur Torrente, zum gefährlichsten Geschiebeherd wird. Die moderne Forstwirtschaft hat diese übelnde längst erkannt und bemüht sich, die ausgedehnten Fichtenmonokulturen in naturgemäße Mischbestände überzuführen. Es werden aber Jahrzehnte vergehen, bis dieses Ziel erreicht ist und damit die Sünden der Väter ausgemerzt sein werden. Um so wichtiger ist es aber, die schon spärlich gewordenen wasserwirtschaftlich voll wirksamen Wälder in diesem Zustand zu erhalten und mit dem nun schon Jahrzehnte geübten Raubbau an unseren Wäldern Schluß zu machen. H i ej- wird man um eine legislative Vorsorge nicht herumkommen.

Die zweite Katastrophenkomponente ist das Geschiebe. Dieses entsteht durch Bodenverwundung, sei es beim Holztransport, sei es durch Viehtritt, sonstige menschliche Kulturtätigkeit und schließlich durch das Wasser selbst, durch Erosion und Korrosion. Jede Bodenwunde wird, soferne sie sich nicht von selbst rasch schließt, zum mehr oder minder gefährlichen Geschiebeherd und gleicht einem Geschwür, das sich immer weiter ausbreitet. Die Bodenwunde ist also eine Krankheit in der vom Menschen beeinflußten Natur. Täglich entstehen aus den verschiedensten Ursachen tausende neuer Bodenwunden, die sich selbst überlassen bleiben. Es ist dies eine Seuche wie jede andere, der nur radikal beizukommen ist, wenn die Bekämpfung systematisch und auf breitester Basis erfolgt. Die Wild-bachverbauung kann sich unmöglich mit jedem einzelnen der vielen zehntausende Geschiebeherde befassen. Ebenso wie auf dem Gebiete der Tier- und Pflanzenseuchenbekämpfung der Staat der Mitwirkung der breiten Bevölkerung nicht entraten kann und durch entsprechende Gesetze diese Mitwirkung zum Wohle der Allgemeinheit erzwungen hat, müßten auch auf dem in Rede stehenden Gebiete die gesetzlichen Bestimmungen eine Ergänzung dahingehend erfahren, daß jeder Grundbesitzer verpflichtet wird, von sich aus sofort bei einer Neubildung von Bodenwunden entsprechende Maßnahmen zur Bekämpfung beziehungsweise Ausrottung des Übels zu treffen. Vielfach greift schon jetzt die Bevölkerung bei Hochwasserkatastrophen zur Selbsthilfe, und man findet oft primitive und leider unzulängliche Versuche der Anrainer, Ufereinrisse, welche den angrenzenden Kulturboden gefährden, dadurch vor Erweiterung zu bewahren, daß am Ufer stehende Bäume gefällt und in diese Einrisse geworfen werden, um auf diese Weise weitere Auskolkungen zu verhindern. Man müßte diesen Selbsthilfewillen in den Dienst der guten Sache stellen und durch Belehrung weiten Schichten der ländlichen Bevölkerung die Möglichkeit geben, von sich aus etwas Richtiges zum Schutze des Boden tun zu können. Durch ein entsprechendes Gesetz .müßte die Bekämpfung der Geschiebeseuche obligatorisch gemacht und die Meldepflicht eingeführt werden.

Alle anderen Katastrophenursachen lassen sich auf die Im vorstehenden angeführten zwei Hauptkomponenten zurückführen. Für alles aber ist — und das ist eine feststehende, nicht wegzuleugnende Tatsache — einzig und allein der Mensch verantwortlich. Hochwasserkatastrophen sind vermeidbar, wenn der moderne Mensch es wieder lernt, die Natur zu verstehen und ihre Zeichen zu deuten.

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