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Die Wüste droht

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Es ist nicht von ungefähr, daß das Buch „Die Wüste droht“ (Fr.-Trüjen-Verlag, Bremen) des fast sechzigjährigen Journalisten, Philosophen, Nationalökonomen und Europareisenden A. Metternich binnen kurzer Zeit bereits in zweiter Auflage erscheinen konnte.

Dazu hat nicht vor allem die schwungvolle Art zu schreiben, die äußerst spannende Darstellung, sein glänzender Stil und die außerordentliche Vielseitigkeit des Inhalts beigetragen, sondern am meisten wohl das geradezu unglaublich aktuelle Thema von der Verwüstung der Erde.

Selbst die Unaufmerksamen unter uns werden kaum übersehen können, daß auch Europa zusehends versteppt. Dia Warnung, der Überschätzung materieller Werte endlich Einhalt zu gebieten, kommt fürwahr nicht zu früh. Wir schlagen den Wald, regulieren die Flüsse, treiben Verschwendung mit Wasser, Kohle und Erdöl — und bedenken nicht, daß wir damit unheimlichen Zielen zutreiben.

Die letzten 150 Jahre haben das Antlitz der Erde weit gründlicher verändert als Jahrtausende zuvor. Welcher Denkende kann behaupten, es sei zu unserem, zu der Erde wahrem Vorteil und wirklichem Nutzen geschehen? Das Stadium akutester Gefahr ist erreicht.

Denn wo einmal Wüste ist, wird immer mehr Wüste.

In welch ungeheuerliche! Weise es dem modernen Menschen gelungen ist, besonders den Wasserhaushalt der Natur zu zerstören, davon geben nicht nur die einst fruchtbare Sahara, die Staubstürme Nordamerikas, der Karst und das kahle Griechenland ein trauriges Zeugnis; auch bei uns, im Herzen Europas, wird die Versteppung bereits zunehmend sichtbar. Es ist nicht zu leugnen, daß jede Wüste ein Werk von Menschen ist. Schon dort, wo die ältesten Kulturvölker saßen, entstanden die ersten Wüsten. Gewiß ist auch, daß Wüsten allmählich entstehen und — wachsen.

Je mehr Wald ein Erdteil besitzt, um so weniger Wüsten hat er. Wenn wir die Waldflächen verkleinern, wachsen die ödländereien. In dem gleichen Maß, in welchem der Wald abnimmt, geht unabwendbar auch der Wasservorrat zurück. Gefördert wird dieses allmähliche Austrocknen durch Drainagen, sogenannte Flurbereinigungen, durch viele Rationalisierungsmaßnahmen der Land-, Wirtschaft und manches andere.

Die Häufigkeit der Trockenjahre ist im Zunehmen, wie jedermann weiß. Raubbau an Wasser und Scholle, Monokultur und Agrochemie tragen das ihre zur Beschleunigung des Versteppens bei.

Sogar im gewaltigen Raum der Meere wirkt sich die unersättliche Habgier moderner Profitgier bereits aus. Die Fischernten steigen zwar anscheinend noch, aber der Fischbestand fast aller Arten, ganz besonders jener der Wale, wird immer geringer. Das Tempo der Vernichtung hat schon unheimliche Grade erreicht.

Die Auswege, welche man bisher aus der Gefährdung unseres Nährbodens, im Kampf gegen die kosmischen Gewalten, aus den schlimmen Folgen unseres fortgesetzten Sündigens gegen die Natur gesucht und gefunden hat, sie waren kläglich genug. Zuflucht zum Surrogat, zum synthetischen Erzeugnis höchst fragwürdigen Wertes, kurzum: zu kümmerlicher Künstlichkeit. Daß damit die Erde und die Menschheit nicht zu retten sein kann, muß inzwischen allen Einsichtigen längst klar geworden sein. Die bedenkenlose Rohstoffjagd hat uns auf Irrwege geführt, die Retorte soll die Natur ersetzen. Eine gewaltig gewordene Chemurgie vergeudet in chemischen Großprozessen wertvollste und unersetzliche Schätze der Erdoberfläche und des Erdinnern. Sie macht aus kostbaren, ewigen, einmaligen Dingen der Schöpfung wertlosen Plunder zu flüchtigem Zeitverbrauch. Die moderne Wissenschaft rät und verhilft uns zu Giften, die doch nicht Leben zu erhalten vermögen, sondern es letzten Endes nur zerstören können — auch wenn wir das Vielleicht erst zu spät bemerken werden.

Metternich weiß — wie wir alle — keinen eindeutigen und rechten Ausweg aus der uns alle bedrohenden Wüste. Er weiß nur, und wenn wir sein Buch gelesen haben, wissen auch wir es: mit allen nur erreichbaren Mitteln muß danach getrachtet werden, daß diesem Treiben einer blind gewordenen Menschheit rasch und gründlich Einhalt geboten .werde. Die Stimme dieses Warners geht uns alle an, soll der tragische Ablauf der Dinge uns nicht alle verderben. Der materialistische Ungeist unserer zivilisatorischen Ära scheint alle Gebote des Schöpfers vergessen zu haben, in seiner Vermessenheit führt dieser Ungeist die Wüste auf uns zu.

Am Schluß seines Buches erzählt der Verfasser von einem Fund, den man am Sturz der Steilfelsen von Solutre in

Südfrankreich gemacht Hat. Ein gewaltiges Leichenfeld mit Tausenden von Tierskeletten wurde dort entdeckt. Der Anatom hat sie als Skelette von Wildpferden identifiziert.

Was ist hier geschehen? Die Wissenschaftler kombinieren: primitive Steinzeitmenschen haben eine große Jagd veranstaltet. Sie trieben riesenhafte Herden von Wildpferden auf der Höhe zusammen, erregten durch Geschrei und Feuerbrände eine Panik unter den gedrängten Tiermassen und veranlaßten diese, in ihrer Angst Rettung durch Absprung in die Tiefe zu suchen. Am Fuß der Felsen blieb die formlose tote Masse liegen. Eine Orgie des Wohllebens mag von den Primitiven gefeiert worden sein, solange das Fleisch der Tiere genießbar war. Dann setzte für lange Zeit der Hunger ein, weil der ganze Tierbestand eines großen Gebiets in geradezu wahnwitziger Weise vernichtet worden war

Und Metternich fragt: Was liegt zwischen dem Damals und dem Heute? Zeitlich gesehen: etwa zehntausend Jahre, wie die Gelehrten schätzen; ideologisch gesehen:— nichts!

Der Mensch ist sich in seinem Verhalten zu den Grundlagen seines Daseins im großen und ganzen gleich geblieben. Er lebt für den Tag und für die Stunde, für flüchtigen Gewinn: Diesem Streben opfert er alles, sogar den Boden, auf dem er lebt und der ihn nährt. Er legt das Glück und den Frieden seines Daseins, die Quellen, die sein Leben speisen, sich selbst und die Zukunft seines ganzen Geschlechts als Opfer auf den Altar seiner modernen Götzen: der Technik, des angeblichen Fortschritts und des vermeintlichen Gewinns.

Er verwüstet die Erde ...

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